Geschichtentauscher verstummte, schlurfte den Abhang hinab durch hohes Laub, das unter seinen Füßen laut flüsterte.
»Nun, was war es denn?«
»Willst du nicht lieber warten, bis du nach Hause gekommen bist und es selbst lesen kannst?«
Alvin wurde wütend. »Ich hasse es, wenn Leute etwas wissen und es nicht sagen wollen!«
»Kein Grund, die Fassung zu verlieren, Junge. Ich werde es dir sagen. Was er geschrieben hat, war folgendes: Das einzige, was ich jemals wirklich gemacht habe, waren Amerikaner.«
»Das ergibt doch keinen Sinn. Amerikaner werden geboren.«
»Nein, ganz so ist es nicht, Alvin. Babys werden geboren. In England genauso wie in Amerika. Es ist also nicht die Geburt, die sie zu Amerikanern macht.«
Darüber dachte Alvin einen Augenblick nach. »Es geht darum, in Amerika geboren zu werden.«
»Nun, das stimmt schon. Aber bis vor ungefähr fünfzig Jahren hat man ein Baby, das in Philadelphia geboren wurde, niemals ein amerikanisches Baby genannt. Es war ein pennsylvanisches Baby. Und Babys in New Amsterdam waren Knickerbocker, und Babys in Boston waren Yankees, und Babys in Charleston waren Jakobiter oder Cavaliers oder irgend so etwas.«
»Das sind sie immer noch«, wandte Alvin ein.
»Das sind sie in der Tat, mein Junge, aber außerdem sind sie noch etwas anderes. All diese Namen, überlegte sich der Alte Ben, teilen uns in Weiße, Rote und Schwarze, in Puritaner und Presbyterianer, in Holländer, Schweden, Franzosen und Engländer. Der Alte Ben hat gesehen, wie ein Weißer Mann niemals einem Roten ganz traute, einfach nur weil sie anders waren. Und er hat sich gefragt, wenn wir all diese Namen haben, die uns voneinander trennen, warum sollten wir dann nicht auch einen Namen haben, der uns miteinander verbindet? Er hat mit einer Menge Namen gespielt, die bereits in Gebrauch waren. Koloniale, zum Beispiel. Aber er mochte es nicht, uns alle Koloniale zu nennen, denn damit hätten wir den Blick immer zurück nach Europa gewandt, und außerdem sind die Roten doch gar keine Kolonialen.«
»Er wollte einen Namen, den wir alle gleichermaßen tragen konnten«, meinte Alvin.
»Ganz genau. Und es gab eine Sache, die wir alle gemeinsam hatten. Wir lebten alle auf demselben Kontinent. Nordamerika. Also dachte er daran, uns Nordamerikaner zu nennen. Aber das war zu lang. Daher…«
»Amerikaner.«
»Das ist ein Name, der zu jedem Fischer gehört, der an der zerklüfteten Küste von West Anglia lebt, ebensosehr wie zu einem Baron, der im südwestlichen Teil von Dryden über seine Sklaven herrscht. Er eignet dem Mohikanerhäuptling in Irrakwa ebenso wie dem Knickerbockerkaufmann in New Amsterdam. Der Alte Ben wußte, daß wir einmal ein Volk werden würden, wenn die Leute erst einmal anfingen, sich als Amerikaner zu sehen. Nicht einfach nur als Teil irgendeines müden, alten europäischen Landes, sondern als einzige neue Nation hier in einem neuen Land. Also begann er damit, dieses Wort in allem zu verwenden, das er schrieb. Der Poor Richard's Almanac war voller Aussagen über Amerikaner hier und Amerikaner dort. Und der Alte Ben schrieb an jedermann Briefe, in denen er Dinge sagte wie: Streit über Landansprüche ist ein Problem, das Amerikaner gemeinsam lösen müssen. Europäer können unmöglich begreifen, was Amerikaner zum Leben brauchen. Warum sollten Amerikaner für europäische Kriege sterben? Warum sollten Amerikaner an unseren Gerichtshöfen an europäische Präzedenzfälle gebunden sein? Innerhalb von fünf Jahren gab es kaum noch einen Menschen von New England bis Jacobia, der sich nicht zumindest teilweise als Amerikaner fühlte.«
»Aber das war doch nur ein Name.«
»Aber der Name, mit dem wir uns alle bezeichnen. Und dazu gehören alle anderen auf diesem Kontinent, die bereit sind, den Namen anzunehmen. Der Alte Ben hat hart dafür gearbeitet, um sicherzugehen, daß dieser Name so viele Leute wie möglich einschloß. Ohne jemals ein anderes öffentliches Amt als das des Postmeisters innezuhaben, hat er ganz allein einen Namen in eine Nation verwandelt. Angesichts des Königs, der im Süden über die Cavaliers herrschte, und der Männer des Lordprotektors, die im Norden New England regierten, sah er vor sich nichts als Chaos und Krieg mit Pennsylvania als Krisenherd. Er wollte diesen Krieg verhindern, und er benutzte den Namen ›Amerikaner‹, um ihn abzuwehren. So brachte er die New Englander dazu, Pennsylvania nicht zu verärgern, und er bewegte die Cavaliers dazu, ungemeine Anstrengungen zu unternehmen, um pennsylvanische Unterstützung zu gewinnen. Er war es, der für einen amerikanischen Kongreß agitierte, der die Handelspolitik und ein einheitliches Landrecht bestimmen sollte.
Und schließlich«, fuhr Geschichtentauscher fort, »kurz bevor er mich einlud, von England herüberzukommen, schrieb er den Amerikanischen Pakt und brachte die sieben ursprünglichen Kolonien dazu, ihn zu unterschreiben. Das war nicht einfach, mußt du wissen — sogar die Anzahl der Staaten war ein großer Streitpunkt. Die Holländer sahen, daß die meisten Einwanderer in Amerika Engländer, Iren und Schotten waren, und sie wollten nicht geschluckt werden — daher gestattete der Alte Ben es ihnen, New Netherland in drei Kolonien zu unterteilen, damit sie mehr Stimmen im Kongreß besaßen. Als dann Suskwahenny sich von dem Territorium abspaltete, das von New Sweden und Pennsylvania beansprucht wurde, löste sich damit ein weiterer Konflikt auf.«
»Das sind aber erst sechs Staaten«, wandte Alvin ein.
»Der Alte Ben gestattete es niemandem, den Pakt zu unterzeichnen, es sei denn, daß Irrakwa als siebter Staat miteingeschlossen wurde, und zwar mit festgesetzten Grenzen, wo die Roten sich selbst regieren konnten. Es gab sehr viele Menschen, die nur eine Weiße Nation haben wollten, doch der Alte Ben wollte nichts davon hören. Die einzige Möglichkeit, Frieden zu erhalten, so sagte er, bestand darin, daß alle Amerikaner sich zusammenfanden. Deshalb gestattet sein Pakt auch keine Sklaverei oder auch nur Leibeigenschaft. Deshalb duldet sein Pakt es nicht, daß irgendeine Religion mehr Bedeutung haben soll als eine andere. Deshalb läßt es sein Pakt nicht zu, daß die Regierung eine Druckerpresse schließen oder einen Redner zum Schweigen bringen darf. Weiße, Schwarze und Rote; Papisten, Puritaner und Presbyterianer; Reiche, Arme, Bettler, Diebe — wir alle leben unter denselben Gesetzen. Eine Nation aus einem einzigen Wort erschaffen.«
»Amerikaner.«
»Verstehst du jetzt, warum er es als seine größte Tat bezeichnet hat?«
»Wie kommt es, daß der Pakt selbst nicht wichtiger ist?«
»Der Pakt, das waren nur die Worte. Der Name ›Amerikaner‹ war die Idee, die die Worte schuf.«
»Er umfaßt immer noch nicht die Yankees und die Cavaliers, und den Krieg hat er auch nicht verhindert, denn die Leute von Appalachee kämpfen noch immer gegen den König.«
»Aber er umschließt doch all diese Leute, Alvin. Erinnerst du dich an die Geschichte von George Washington in Shenandoah? Damals war er Lord Potomac, der die größte Armee des Königs Robert gegen den armseligen Lumpenhaufen anführte, der alles war, was Ben Arnold geblieben war. Es war ganz klar, daß Lord Potomacs Cavaliers am Morgen die kleine Festung stürmen und damit Tom Jeffersons Rebellion den Todesstoß versetzen würde. Aber Lord Potomac hatte in den Kriegen gegen die Franzosen an der Seite von Jeffersons Leuten gekämpft. Und Tom Jefferson war früher sein Freund gewesen. In der Tiefe seines Herzens ertrug er es nicht, an die morgige Schlacht zu denken. Wer war schon König Robert, daß seinetwegen soviel Blut vergossen werden sollte? Alles, was diese Rebellen wollten, war, ihr eigenes Land zu besitzen, und sie wollten, daß der König ihnen keine Barone vorsetzte, sie mit Steuern auspumpen und ebenso sicher in Sklaven verwandeln konnte, wie jeden Schwarzen in den Kronkolonien. In dieser Nacht hat er überhaupt nicht geschlafen.«