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Dann gab der Regen ein kleines bißchen nach; sie blickte hinunter, um nachzusehen, ob die Schmiede noch dastand. Doch sie sah etwas ganz anderes: Feuerfunken weitab im Wald, flußabwärts in Richtung Hatrack, unten, wo die Furt war, nur daß es heute, bei diesem Regen, nicht die leiseste Chance gab, die Furt zu überqueren. Funken, ganz viele Funken, und sie wußte, daß jeder einzelne von ihnen auf einen Menschen hinwies. Sie dachte kaum daran, etwas zu tun, sie mußte einfach nur das Herzensfeuer dieser Leute sehen; vielleicht die Zukunft, vielleicht die Vergangenheit, alle Visionen lebten gemeinsam im Feuer des Herzens.

Was sie nun erblickte, galt für alle Herzen gleichermaßen: Ein Wagen mitten auf dem Hatrack, bei steigendem Wasser und alles, was sie besaßen, in diesem Wagen.

Kleinpeggy sprach nicht viel, aber jedermann hier kannte sie nur als Fackel, daher hörte jeder zu, wenn sie etwas über Schwierigkeiten sagten. Vor allem über diese Art von Schwierigkeiten. Gewiß, die Siedlungen in diesen Gegenden waren inzwischen ziemlich alt, ein gutes Stück älter als Kleinpeggy selbst, aber man hatte noch nicht vergessen, daß ein Wagen, der von den Fluten fortgespült wurde, für alle ein Verlust bedeutete.

Sie flog förmlich den grasbewachsenen Hügel hinunter, sprang über Maulwurflöcher und rutschte an den steilen Stellen hinab, so daß seit ihrer Entdeckung jener fernen Herzensfeuer keine zwanzig Sekunden verstrichen waren, bis sie auch schon in der Schmiedewerkstatt davon berichtete. Dieser Farmer aus West Fork wollte zuerst, daß sie wartete, bis er eine seiner Geschichten von noch schlimmeren Stürmen erzählt hatte, doch Makepeace wußte Bescheid über Kleinpeggy. Er hörte ruhig zu, dann befahl er den beiden Jungen, ihre Pferde zu satteln, ob mit oder ohne Beschlag; an der Hatrack-Furt waren Leute in der Klemme, da durfte man keine Zeit verlieren. Kleinpeggy bekam nicht einmal mehr Gelegenheit, sie davonreiten zu sehen — Makepeace hatte sie bereits ins große Haus geschickt, um ihren Vater und alle Knechte und Gäste dort zu holen. Keinen gab es unter ihnen, der nicht auch schon einmal alles, was er besaß, in einen Wagen geladen und gen Westen gebracht hatte; keiner, der nicht schon einmal einen reißenden Fluß durchquert und dabei fast seine ganze Habe verloren hatte. Sie machten sich alle sofort ans Werk. Denn so war das damals: Die Menschen bemerkten die Schwierigkeiten anderer ebenso schnell, als wären es ihre eigenen.

4. Hatrack River

Vigor wies die Jungen an, den Planwagen zu schieben, während Eleanor die Pferde antrieb. Alvin Miller verbrachte die Zeit damit, die kleinen Mädchen nacheinander ans gegenüberliegenden Ufers zu tragen. Die Strömung glich einem Teufel, der an ihm zerrte und flüsterte: Ich werde deine Babys kriegen, ich werde sie alle bekommen. Alvin aber sagte nein; mit jedem Muskel seines Körpers sagte er nein zu diesem Flüstern, während er uferwärts stapfte, bis seine Mädchen alle durchnäßt am Ufer standen, und während der Regen ihre Gesichter herablief wie die Tränen einer Welt voll Leid.

Er hätte auch Faith getragen, samt dem Kind in ihrem Bauch, doch sie wollte sich nicht vom Fleck rühren. Saß einfach im Inneren des Planwagens, stemmte sich gegen die Truhen und die Möbel, während der Wagen schwankte und schaukelte. Blitze krachten und Äste brachen; einer davon riß das Zelttuch auf, und der Regen ergoß sich in den Wagen, doch Faith hielt tapfer durch. Alvin erkannte an ihren Augen, daß er nicht das geringste hätte sagen können, um sie dazu zu bewegen, den Wagen zu verlassen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, Faith und ihr Ungeborenes aus diesem Fluß zu bringen, nämlich den Wagen herauszuholen.

»Die Pferde kriegen keinen Halt, Papa«, rief Vigor. »Sie stolpern nur und werden sich noch die Beine brechen.«

»Aber ohne die Pferde können wir ihn nicht herausziehen!«

»Die Pferde sind auch etwas wert, Papa. Wenn wir sie hier im Wasser lassen, verlieren wir den Wagen und die Pferde dazu!«

»Eure Mama will den Wagen nicht verlassen.«

Er sah das Verstehen in Vigors Blick. Die Dinge im Wagen waren es nicht wert, daß man den Tod riskierte, um sie zu retten. Seine Mama dagegen sehr wohl.

»Dennoch«, sagte Vigor. »Am Ufer könnte das Gespann kräftig ziehen. Hier im Wasser können sie überhaupt nichts tun.«

»Dann laß die Jungen sie abkoppeln. Aber befestigt zuerst ein Seil an einem Baum, um den Wagen festzuhalten!«

Es dauerte keine zwei Minuten, da waren die Zwillinge Wastenot und Wantnot schon am Ufer und befestigten das Seil an einem stämmigen Baum. David und Measure verschnürten ein zweites Tau an der Planke, die die Pferde hielt, während Calm die Riemen durchschnitt, die sie an den Wagen banden. Gute Jungen, sie machten ihre Arbeit ordentlich. Vigor rief seine Anweisungen, während Alvin nur zusehen konnte, hilflos stand er am hinteren Teil des Wagens, und blickte mal zu Faith hinauf, die gerade versuchte, das Baby nicht zu gebären, mal auf den Hatrack River, der gerade versuchte, sie alle in die Hölle hinabzuspülen.

Kein besonders großer Fluß, hatte Vigor gesagt, aber dann waren die Wolken gekommen und der Regen, und der Hatrack war ein Ungeheuer geworden. Doch selbst jetzt sah er noch passierbar aus. Die Pferde arbeiteten schwer, und Alvin sagte gerade zu Calm, der die Zügel hielt: »Na, das war keine Minute zu früh«, als der Fluß plötzlich verrückt spielte. Von einem Augenblick auf den nächsten verdoppelte er seine Wucht. Die Pferde gerieten in Panik, verloren die Orientierung und sprangen umher. Die Jungen stürzten sich in den Fluß und versuchten, sie ans Ufer zu führen, doch inzwischen hatte der Wagen seinen Schub eingebüßt und die Räder steckten im Schlamm fest. Es schien beinahe, als hätte der Fluß gewußt, daß sie kamen, und als hätte er seinen schlimmsten Zorn aufgespart, bis sie ihm nicht mehr entkommen konnten.

»Aufgepaßt! Aufgepaßt!» rief Measure vom Ufer aus.

Erschreckt blickte Alvin stromaufwärts, um nachzusehen, welche Teufelei der Fluß jetzt im Schilde führte. Tatsächlich trieb ein ganzer Baum heran; wie ein Rammbock, mit seinem weitläufigen Wurzelwerk genau auf den Planwagen zu, wo noch immer Faith saß, mit ihrem ungeborenen Kind. Alvin konnte überhaupt nichts mehr denken, konnte nur mit aller Macht den Namen seiner Frau schreien. Vielleicht dachte er in der Tiefe seines Herzens, daß er sie am Leben erhalten können, indem er ihren Namen auf seinen Lippen behielt, doch dafür gab es keinerlei Hoffnung mehr.

Nur Vigor wußte nicht, daß es eigentlich keine Hoffnung gab. Der Junge sprang hinaus, als der Baum nur noch eine Elle entfernt war. Sein Körper prallte gegen das Wurzelwerk, und der Stamm driftete ab, weg vom Planwagen. Der Baum riß Vigor mit. Der Junge verschwand, tauchte unter im schäumenden Wasser, aber das Wunderbare geschah — der Baum verfehlte den Wagen, nur ein paar Aste versetzten ihm einen leichten ungefährlichen Stoß.

Der Baumstamm krachte gegen einen Felsen am Ufer. Alvin war zwar fünf Ellen davon entfernt, doch später sollte er es in seiner Erinnerung stets so sehen, als hätte er genau daneben gestanden. Der Baum schlug Vigor gegen den Felsen. Nur einen Herzschlag lang, der eine Ewigkeit dauerte, öffneten sich Vigors Augen vor Schmerz und Entsetzen. Blut schoß ihm aus dem Mund, spritzte auf den Baum, der ihn tötete. Im nächsten Moment riß der Hatrack River den Baum wieder mit sich. Vigor glitt unter Wasser, nur sein lebloser Arm blieb im Wurzelwerk hängen und ragte aus dem Wasser, auf daß alle ihn sehen konnten, wie die Hand eines Nachbarn, der nach einem Besuch zum Abschied winkte.