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»Vielleicht wird Al Junior es Euch später erklären«, entgegnete Geschichtentauscher.

Während sie sich unterhielten, kroch Alvin vor sie, um sich die Handschrift des Alten Ben anzuschauen. Sie sah überhaupt nicht anders aus als andere. Alvin war ein wenig enttäuscht, obwohl er nicht hätte sagen können, was er eigentlich erwartet hatte. Hätten die Buchstaben etwa aus Gold sein sollen? Natürlich nicht. Es gab keinen Grund, weshalb die Worte eines großen Mannes anders aussehen sollten als die Worte eines Narren.

Und doch war er irgendwie enttäuscht. Er griff nach dem Buch und blätterte einige Seiten um und wellte sie dabei mit den Fingern. Die Worte waren alle gleich: rauhe Tinte auf vergilbendem Papier.

Plötzlich schoß ein Lichtblitz aus dem Buch hervor und blendete ihn einen Augenblick.

»Spiel nicht so mit den Seiten«, sagte Papa. »Sonst zerreißt du noch eine.«

Alvin wandte sich zu Geschichtentauscher um. »Was ist denn das für eine Seite mit dem Licht?» fragte er. »Was steht denn dort?«

»Licht?» fragte Geschichtentauscher.

Alvin begriff, daß er es als einziger gesehen hatte.

»Such die Seite selbst«, sagte Geschichtentauscher.

»Er wird sie nur zerreißen«, meinte Papa.

»Er wird schon vorsichtig sein«, erwiderte Geschichtentauscher.

Aber Papa klang zornig. »Ich habe gesagt, du sollst das Buch in Ruhe lassen, Alvin Junior.«

Alvin wollte gerade gehorchen, da fühlte er Geschichtentauschers Hand auf seiner Schulter. Geschichtentauschers Stimme war ruhig, und Alvin spürte, wie sich die Finger des alten Mannes zu einem Zeichen der Abwehr bewegten. »Der Junge hat etwas in dem Buch gesehen«, sagte Geschichtentauscher, »und ich möchte, daß er es für mich wieder sucht.«

Zu Alvins Überraschung gab Papa nach. »Wenn es Euch nichts ausmacht, daß dieser achtlose, faule Junge Euer Buch zerfetzt«, murmelte er und verstummte.

Alvin wandte sich wieder dem Buch zu und blätterte vorsichtig die Seiten um, eine nach der anderen. Schließlich hatte er eine erreicht, aus der ein Licht hervortrat, das ihn zuerst blendete, aber langsam matter wurde, bis das Licht nur noch von einem einzelnen Satz ausstrahlte, dessen Buchstaben brannten.

»Seht Ihr sie brennen?» fragte Alvin.

»Nein«, sagte Geschichtentauscher. »Aber ich rieche den Rauch. Berühre die Worte, die für dich brennen.«

Alvin streckte die Hand vor und berührte vorsichtig den Anfang des Satzes. Zu seiner Überraschung war die Flamme nicht heiß, obwohl sie ihn zunächst wärmte. Sie wärmte ihn bis auf die Knochen. Er erschauerte, als die letzte Herbstkälte aus seinem Körper entwich. Er lächelte, so hell war alles in ihm. Doch kaum hatte er sie berührt, da erlosch die Flamme, kühlte sich ab, war verschwunden.

»Was steht dort?» fragte Mama. Sie stand an der anderen Seite des Tisches vor ihnen.

Geschichtentauscher las vor. »Ein Macher ist geboren.«

»Es hat keinen Macher oder Schöpfer mehr gegeben«, sagte Mama, »seit jenem, der das Wasser in Wein verwandelt hat.«

»Vielleicht nicht, aber das hat sie jedenfalls geschrieben«, sagte Geschichtentauscher.

»Wer hat es geschrieben?» wollte Mama wissen.

»Ein kleines Mädchen. Es ist ungefähr fünf Jahre her…«

»Welche Geschichte gehörte zu ihrem Satz?» fragte Alvin Junior.

Geschichtentauscher schüttelte den Kopf.

»Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Leute nie hineinschreiben laßt, es sei denn, Ihr kennt ihre Geschichte.«

»Sie hat es hineingeschrieben, als ich gerade nicht hinsah«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich habe es erst bei meinem nächsten Halt bemerkt.«

»Woher wißt Ihr dann, daß sie es gewesen ist?» fragte Alvin.

»Sie war es«, erwiderte er. »Sie war die einzige dort, die den Zauber hätte öffnen können, den ich damals auf dieses Buch gelegt hatte.«

»Dann wißt Ihr also gar nicht, was es bedeutet? Ihr könnt mir nicht einmal sagen, warum ich diese Buchstaben habe brennen sehen?«

Geschichtentauscher schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich recht erinnere, war sie die Tochter eines Gastwirts. Sie sprach nur sehr wenig, und wenn sie es tat, so war es immer völlig wahr. Nicht eine Lüge, nicht einmal, um gütig zu sein. Sie galt als etwas widerspenstig. Doch wie das Sprichwort sagt: Wenn du immer sagst, was du denkst, wird der böse Mann dich meiden. Oder irgend etwas ähnliches.«

»Und ihr Name?» fragte Mama. Überrascht hob Alvin den Blick. Mama hatte die leuchtenden Buchstaben nicht gesehen, warum wollte sie nur unbedingt erfahren, wer sie geschrieben hatte?

»Tut mir leid«, sagte Geschichtentauscher. »Ich erinnere mich im Augenblick nicht an ihren Namen. Und wenn ich mich erinnerte, so würde ich ihn nicht sagen, und ich werde auch nicht sagen, ob ich noch weiß, wo sie lebte. Ich möchte nicht, daß die Leute sie aufsuchen und um Antworten belästigen, die sie möglicherweise nicht geben will. Aber soviel will ich sagen. Sie war eine Fackel und sah mit wahren Augen. Wenn sie also schrieb, daß ein Macher geboren wurde, so glaube ich es, und deshalb habe ich ihre Worte auch im Buch gelassen.«

»Eines Tages möchte ich ihre Geschichte hören«, sagte Alvin. »Ich möchte wissen, warum die Buchstaben so hell waren.«

Er hob den Blick wieder und sah, wie Mama und Geschichtentauscher einander fest in die Augen blickten.

Und dann, irgendwie in der Ferne spürte er den Entmacher, bebend, unsichtbar, darauf wartend, die Welt zu vernichten. Ohne auch nur darüber nachzudenken, zog Alvin den vorderen Teil seines Hemdes aus der Hose und verknotete die Ecken miteinander. Der Entmacher zögerte, dann zog er sich zurück.

11. Mühlstein

Geschichtentauscher erwachte. Draußen war es immer noch dunkel, aber es war Zeit aufzustehen. Er setzte sich auf, streckte sich ein wenig und freute sich, wie ausgeruht er war, seit er auf einem weichen Bett schlief. Es könnte mir gefallen, hier zu leben, dachte er.

Der Speck war so fett, daß er ihn in der Küche brutzeln hörte. Er wollte gerade seine Stiefel anziehen, als Mary an der Tür klopfte. »Ich bin mehr oder weniger vorzeigbar«, sagte er.

Sie trat ein, reichte ihm zwei Paar langer, dicker Socken. »Ich habe sie selbst gestrickt«, sagte sie.

»Solchen Socken würde ich nicht einmal in Philadelphia zu kaufen bekommen.«

»Im Winter wird es hier im Wobbish-Land ziemlich kalt, und…«

Sie beendete den Satz nicht. Schüchtern zog sie den Kopf ein und huschte wieder aus dem Raum.

Geschichtentauscher zog die Socken an und streifte die Stiefel darüber, dann grinste er. Er hatte kein schlechtes Gewissen, Geschenke anzunehmen. Er arbeitete genauso hart wie alle anderen und hatte sehr viel dazu beigetragen, die Farm winterfest zu machen.

Ohne irgendwelche Hilfe hatte er die Mühle für einen Mühlstein vorbereitet. Er selbst hatte das Heu vom Mühlenboden auf Karren geladen. Die Zwillinge, deren eigene Farmen ihnen noch nicht soviel Arbeit machten, da sie erst in diesem Sommer geheiratet hatten, hatten die Wagen in der großen Scheune entladen. Alles war geschehen, ohne daß Miller selbst auch nur eine Heugabel hätte anrühren müssen.

Andere Dinge jedoch liefen nicht so gut. Ta-Kumsaw und seine Shaw-Nee-Roten vertrieben so viele Leute unten aus Carthage, daß die Weißen Angst bekamen. Zwar war erfreulich, daß der Prophet in seiner großen Stadt auf der anderen Seite des Flusses ständig davon redete, daß seine Roten niemals die Hand zum Krieg erheben würden. Aber es gab sehr viele Rote, die so dachten wie Ta-Kumsaw, nämlich daß man die Weißen am besten nach Europa zurücktreiben sollte. Man sprach vom Krieg; es hieß, daß Bill Harrison unten in Carthage nur zu begierig war, dieses Feuer zu schüren, ganz zu schweigen von den Franzosen in Detroit, die die Roten ständig drängten, die amerikanischen Siedler in jenem Land anzugreifen, das die Franzosen als Teil Kanadas beanspruchten.