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»Nun, Mr. Miller, was habt Ihr ihm geantwortet?«

Miller atmete einige Male tief durch. »Ich wußte nicht, was ich ihm sagen sollte. Manche Dinge sind einfach zu groß, als daß ein Mann wie ich sie verstehen könnte. Ich meine, so wie dieses Wasser hinter meinem Jungen Alvin her ist, um ihn umzubringen. Und dann dieser Schwede mit seinem Sohn. Vielleicht gibt es auch Kinder, die gar nicht erwachsen werden sollen. Meint Ihr das auch, Geschichtentauscher?«

»Ich glaube, es gibt Kinder, die sind so bedeutsam, daß irgend jemand — irgendeine Macht auf der Welt — sie tot wissen will. Aber es gibt immer auch andere Mächte, vielleicht auch stärkere Mächte, die wollen, daß sie überleben.«

»Warum zeigen sich diese Mächte dann nicht, Geschichtentauscher? Warum kommt nicht irgendeine Macht vom Himmel herab, sucht diesen armen Schweden auf und sagt: ›Fürchte dich nicht länger, dein Junge ist in Sicherheit, sogar vor dir!‹«

»Vielleicht sprechen diese Mächte ja nicht in Worten. Vielleicht zeigen diese Mächte einem einfach nur, was sie tun.«

»Die einzige Macht, die sich auf dieser Welt zeigt, ist jene, die tötet.«

»Ich weiß ja nicht, wie es mit diesem Schwedenjungen steht«, meinte Geschichtentauscher, »aber ich würde schon sagen, daß auf Eurem Sohn ein mächtiger Schutz ruht. Nach allem, was Ihr erzählt habt, ist es doch ein Wunder, daß er nicht schon zehnmal gestorben ist.«

»Das ist wahr.«

»Ich glaube, daß etwas über ihn wacht.«

»Nicht gut genug.«

»Das Wasser hat ihn doch noch nie bekommen, nicht wahr?«

»Es ist ihm schon so nahe gekommen, Geschichtentauscher!«

»Und was diesen Schwedenjungen betrifft, so weiß ich, daß er jemanden hat, der über ihn wacht.«

»Wer denn?» wollte Miller wissen.

»Nun, sein eigener Vater natürlich.«

»Sein eigener Vater ist auch sein Feind«, meinte Miller.

»Das glaube ich nicht«, widersprach Geschichtentauscher. »Wißt Ihr, wie viele Väter ungewollt ihre Söhne töten? Da ziehen sie zur Jagd aus, und ein Schuß verirrt sich. Oder ein Wagen zermalmt den Jungen, oder er stürzt. Das passiert doch ständig. Vielleicht haben diese Väter einfach nicht gesehen, was geschah. Aber dieser Schwede ist klüger, er sieht, was geschieht, und er paßt auf sich auf, reißt sich immer noch rechtzeitig zusammen.«

Miller klang schon ein wenig hoffnungsfroher. »So, wie Ihr es darstellt, klingt es, als wäre der Vater gar nicht so schlecht.«

»Wenn er so schlecht wäre, Mr. Miller, dann wäre dieser Junge schon längst tot und beerdigt.«

»Vielleicht.«

Miller dachte eine Weile nach. Tatsächlich tat er es so lange, daß Geschichtentauscher ein wenig einnickte. Ruckartig erwachte er wieder, als Miller bereits sprach.

»… und es wird einfach immer nur schlimmer, nicht besser. Immer schwieriger, diese Gefühle abzuwehren. Es ist nicht lange her, da stand er oben in der… in seiner Scheune… und lud Heu ab. Und unter ihm war sein Junge, und alles, wessen es bedurft hätte, war, die Gabel fliegen zu lassen; er hätte sagen können, daß die Heugabel ihm ausgerutscht sei, und niemand hätte es jemals erfahren. Einfach nur fliegen lassen und diesen Jungen voll durchbohren. Und er wollte es auch tun. Versteht Ihr mich? Es war so schwierig, diese Gefühle abzuwehren, schwieriger denn je, und er gab einfach auf. Er entschied einfach, die Sache hinter sich zu bringen, nachzugeben. Und in diesem Augenblick, erschien ein Fremder in der Tür und rief: ›Nein!‹ Und ich stellte die Heugabel ab — das hat er gesagt: ›Ich stellte die Heugabel ab, aber ich zitterte so schlimm, daß ich kaum noch gehen konnte, weil ich wußte, daß der Fremde mich mit dem Mord in meinem Herzen gesehen hatte. Er muß mich für den schlimmsten Mann auf Erden halten, weil ich daran dachte, meinen eigenen Jungen zu töten, er hat ja nicht den leisesten Verdacht, wie sehr ich all diese Jahre davor mit mir gerungen habe…‹«

»Vielleicht wußte dieser Fremde ja etwas über die Mächte, die im Herzen eines Menschen arbeiten können«, meinte Geschichtentauscher.

»Meint Ihr?«

»Oh, sicher kann ich mir da nicht sein, aber vielleicht hat dieser Fremde auch gesehen, wie sehr dieser Vater seinen Jungen liebte. Vielleicht war der Fremde lange Zeit verwirrt, aber schließlich begann er zu erkennen, daß das Kind außergewöhnlich war und mächtige Feinde besaß. Und dann begriff er vielleicht, daß der Junge noch so viele Feinde haben mochte, sein Vater aber nicht dazugehörte. Und er wollte diesem Vater etwas mitteilen.«

»Was wollte der Fremde ihm mitteilen?«

Miller fuhr sich wieder mit dem Ärmel über die Augen.

»Vielleicht wollte er sagen: ›Ihr habt alles getan, was Ihr konntet, und nun ist es zu mächtig für Euch geworden. Nun solltet Ihr diesen Jungen fortschicken. Vielleicht zurück zu Verwandten in den Osten oder in die Lehre in irgendeine Stadt.‹ Das mag für diesen Vater vielleicht hart sein, da er den Jungen so sehr liebt, aber er wird es tun, weil er weiß, daß wirkliche Liebe darin besteht, den Jungen außer Gefahr zu bringen.«

»Ja«, sagte Miller.

»Und wenn wir schon dabei sind«, sagte Geschichtentauscher, »Vielleicht solltet ihr mit Eurem eigenen Jungen, Alvin, auch etwas Ähnliches tun.«

»Vielleicht«, erwiderte Miller.

»Würdet Ihr nicht sagen, daß ihm vom Wasser in dieser Gegend eine gewisse Gefahr droht? Irgend jemand beschützt ihn oder irgend etwas. Aber wenn Alvin vielleicht gar nicht hier lebte…«

»Dann würden einige der Gefahren verschwinden«, ergänzte Miller.

»Denkt einmal darüber nach«, riet Geschichtentauscher.

»Es ist eine schreckliche Sache«, meinte Miller, »seinen Jungen fortzuschicken, damit er bei Fremden lebt.«

»Aber es ist noch schrecklicher, ihn zu beerdigen.«

»Ja«, stimmte Miller ihm zu. »Das ist das Schrecklichste auf der Welt.«

Nun sagten sie beide nichts mehr und schliefen nach einer kurzen Weile ein.

Der Morgen war kalt. Miller gestattete es Al Junior nicht, zum Fels emporzusteigen, bevor die Sonne nicht den Morgentau vertrieben hatte. Statt dessen verbrachten sie den Vormittag damit, den Boden von der Felswand bis zum Schlitten vorzubereiten, damit sie den Stein den Berg hinabrollen konnten.

Inzwischen war sich Geschichtentauscher sicher, daß Al Junior eine verborgene Kraft angewandt hatte, um den Mühlstein aus der Felswand zu hauen. Geschichtentauscher war neugierig. Er wollte feststellen, wie mächtig diese Macht genau war, damit er sie besser verstand. Und da Al Junior vermutlich gar nicht wußte, was er tat, mußte Geschichtentauschers sehr überlegt vorgehen. »Wie kerbt Ihr Euren Stein?» fragte Geschichtentauscher.

Miller zuckte die Schultern. »Früher habe ich Buhrstein verwendet. Die werden alle mit Sichelkerben versehen.«

»Könnt Ihr mir das zeigen?» fragte Geschichtentauscher.

Mit einer Ecke seines Rechens malte Miller einen Kreis in den mit Reif überzogenen Boden. Dann zeichnete er eine Reihe von Bögen, die sich von der Kreismitte über die Kanten zogen. Zwischen jedem Bogenpaar zog er einen kürzeren Bogen, der am Kreisrand begann, aber stets nur zwei Drittel der Strecke bis zum Mittelpunkt lang war. »So«, sagte Miller.

»Die meisten Mühlsteine in Pennsylvania und Suskwahenny besitzen eine Viererkerbung«, sagte Geschichtentauscher. »Kennt Ihr diesen Schnitt?«

»Zeigt ihn mir.«

Also zog Geschichtentauscher einen weiteren Kreis. Der war nicht ganz so gut zu erkennen, da der Reif langsam forttaute. Anstelle von gekrümmten zog er gerade Linien von der Kreismitte bis zur Kante, und die kürzeren Linien gabelten sich unmittelbar von den längeren ab und verliefen gerade zum Rand. »Manche Müller ziehen das vor, weil man so alles länger scharf halten kann. Da die Linien alle gerade sind, erhält man einen schönen, gleichmäßigen Zug, wenn man den Stein benutzt.«