»Das verstehe ich«, meinte Miller. »Aber ich weiß nicht so recht. Ich bin an diese Bogenlinien gewöhnt.«
»Nun, wie Ihr wollt«, sagte Geschichtentauscher. »Ich bin nie Müller gewesen, daher kann ich es nicht beurteilen. Ich erzähle nur Geschichten über das, was ich gesehen habe.«
»Oh, ich habe nichts dagegen, daß Ihr es mir zeigt«, erwiderte Miller.
Al Junior stand da und musterte beide Kreise.
»Ich glaube, wenn wir diesen Stein nach Hause geschafft bekommen«, meinte Miller, »werde ich es mit dieser Viererkerbung versuchen. Sieht mir danach aus, als wäre es damit leichter, sauber zu mahlen.«
Schließlich war der Boden wieder trocken, und Al Junior schritt zur Felswand hinüber. Die anderen Jungen waren alle unten, brachen das Lager ab oder brachten die Pferde hinauf zum Steinbruch. Nur Miller und Geschichtentauscher sahen zu, wie Al Junior seinen Hammer schließlich an die Felswand führte. Er mußte noch etwas hauen, um den Kreis rundherum fertigzubekommen.
Zu Geschichtentauschers Überraschung setzte Al Junior den Meißel an und hieb einmal mit dem Hammer darauf, worauf ein ganzer Steinbrocken, fast sechs Zoll lang, von der Felswand absplitterte und zu Boden bröckelte.
»Aber dieser Stein ist ja so weich wie Kohle«, meinte Geschichtentauscher. »Was soll denn das für einen Mühlstein abgeben?«
Miller grinste und schüttelte den Kopf.
Al Junior wich von dem Stein zurück. »Oh, Geschichtentauscher, es ist schon harter Stein, es sei denn, man kennt genau die richtigen Stellen, um ihn zu brechen. Versucht es nur, Ihr werdet sehen.«
Er reichte ihm Hammer und Meißel. Geschichtentauscher nahm sie entgegen und trat auf den Fels zu. Vorsichtig setzte er den Meißel an den Stein, nicht ganz im Lot. Dann, nachdem er ein paarmal leicht dagegen geklopft hatte, verpaßte er dem Meißel mit dem Hammer einen ordentlichen Hieb.
Der Meißel sprang ihm aus der Linken, und der Aufprall war so stark, daß er den Hammer fallenließ. »Tut mir leid«, sagte er, »ich habe so etwas zwar schon einmal gemacht, aber ich muß wohl die Fähigkeit verloren haben…«
»Oh, das liegt nur am Stein«, meinte Al Junior. »Er ist ein bißchen launisch. Er gibt nur in bestimmte Richtungen nach.«
Geschichtentauscher inspizierte die Stelle, die er hatte hauen wollen. Er konnte sie nicht wiederfinden. Sein mächtiger Hieb hatte nicht die leiseste Spur hinterlassen.
Al Junior nahm das Werkzeug und setzte den Meißel wieder an. Geschichtentauscher hatte den Eindruck, als würde er genau dieselbe Stelle wählen. Doch Al tat so, als hätte er ihn völlig anders angesetzt. »Seht Ihr, es ist nur leicht gewinkelt.«
Er schlug mit dem Hammer zu, das Eisen schepperte, Fels krachte, und wieder prasselten Steinbrocken zu Boden.
»Jetzt verstehe ich, warum Ihr ihm hier die Arbeit überlaßt«, meinte Geschichtentauscher.
»Scheint mir das beste zu sein«, meinte Miller.
Nach wenigen Minuten war der Stein völlig gerundet. Geschichtentauscher sagte nichts mehr, er beobachtete nur, was Al tat.
Der Junge legte sein Werkzeug beiseite, trat zu dem Mühlstein und umarmte ihn gleichsam. Die rechte Hand krümmte sich um seine Kante. Mit der Linken befühlte er die Rinne auf der gegenüberliegenden Seite. Alvin preßte die Wange gegen den Stein. Seine Augen waren geschlossen. Es sah ganz so aus, als würde er dem Fels lauschen.
Er begann sanft zu summen. Irgendeine kleine, geistlose Melodie. Er bewegte die Hände. Verschob seine Stellung. Lauschte mit dem anderen Ohr.
»Also«, meinte Alvin, »ich kann es ja kaum glauben.«
»Was glauben?» wollte sein Vater wissen.
»Diese letzten paar Hiebe müssen den Fels richtig erschüttert haben. Der hintere Teil ist bereits abgesplittert.«
»Ihr meint, dieser Mühlstein schwebt jetzt frei?» fragte Geschichtentauscher.
»Ich glaube, wir können ihn jetzt herausstoßen«, sagte Alvin. »Dazu werden wir die Seile brauchen, aber wir werden ihn schon ohne allzu viele Schwierigkeiten herausholen.«
Die Brüder trafen mit den Seilen und den Pferden ein. Alvin schob ein Seil hinter den Stein. Obwohl er die Rückseite mit keinem einzigen Hieb behauen hatte, fügte das Seil sich mühelos ein. Dann ein weiteres Seil, dann noch eins, und schon bald rissen sie alle daran, erst links, dann rechts, um den schweren Stein langsam aus seinem Bett in der Felswand zu bewegen.
»Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte«, murmelte Geschichtentauscher.
»Habt Ihr aber«, sagte Miller.
Sie hatten ihn erst wenige Zoll bewegt, als sie die Seile wechselten und vier davon durch das Mittelloch zogen, um sie an das Pferdegespann zu schirren, das bergaufwärts über dem Stein stand. »Er wird mühelos bergabwärts rollen«, erklärte Miller Geschichtentauscher. »Die Pferde dienen als Bremse, sie geben Gegenzug.«
»Er sieht mir sehr schwer aus.«
»Legt Euch einfach nicht vor ihn«, meinte Miller.
Vorsichtig begannen sie ihn zu rollen. Miller packte Alvins Schulter und hielt den Jungen ein gutes Stück vom Stein entfernt — noch dazu bergauf. Geschichtentauscher half bei den Pferden, so daß er die Rückseite des Steins erst richtig zu sehen bekam, als er unten neben dem Schlitten auf ebener Erde lag.
Er war völlig glatt und so flach wie Eis in einer Schüssel. Nur daß er nach der Vierermanier gekerbt war, mit geraden Furchen, die sich vom Mittelloch bis zur Außenkante zogen.
Alvin kam heran und stellte sich neben ihn. »Habe ich es richtig gemacht?» fragte er.
»Ja«, erwiderte Geschichtentauscher.
»Es war wirklich großes Glück«, meinte der Junge. »Ich habe einfach gespürt, daß dieser Stein bereit war, genau an diesen Linien abzubrechen. Er wollte einfach abbrechen, völlig mühelos.«
Geschichtentauscher fuhr mit dem Finger sanft über den Rand einer Furche.
Etwas stach ihn. Er führte den Finger an den Mund, saugte daran und schmeckte Blut.
»Hat eine schöne scharfe Kante, der Stein, nicht wahr?» fragte Measure. Es klang, als würde derlei jeden Tag passieren. Doch Geschichtentauscher konnte die Ehrfurcht in seinem Blick erkennen.
»Gut gehauen«, meinte Calm.
»Bisher der Allerbeste«, sagte David.
Dann kippen sie ihn sanft auf den Schlitten, mit der gefurchten Seite nach oben, während die Pferde sich gegen einen plötzlichen Sturz anstemmten.
»Tut Ihr mir einen Gefallen, Geschichtentauscher?» fragte Miller.
»Wenn ich es kann.«
»Nehmt Alvin jetzt mit Euch nach Hause zurück. Seine Arbeit ist erledigt.«
»Nein, Papa!» rief Alvin. Er lief zu seinem Vater hinüber. »Du kannst mich doch jetzt nicht nach Hause schicken!«
»Wir können keinen zehnjährigen Jungen gebrauchen, während wir einen Stein von dieser Größe bewegen«, widersprach sein Vater.
»Aber ich muß doch auf den Stein aufpassen, um sicherzugehen, daß er nicht bricht oder platzt, Pa!«
Die älteren Söhne musterten abwartend ihren Vater. Geschichtentauscher fragte sich, worauf sie wohl hoffen mochten. Sicherlich waren sie schon zu alt, um die besondere Liebe ihres Vaters zu seinem siebenten Sohn übelzunehmen. Auch sie mußten darauf hoffen, daß Schaden von dem Jungen ferngehalten wurde. Und doch bedeutete es ihnen allen so viel, daß der Stein sicher und heil am Ziel ankam, um seinen Dienst in der Mühle tun zu können.
»Du kannst bis zum Sonnenaufgang mit uns reiten«, entschied Miller. »Dann sind wir fast zu Hause, so daß du und Geschichtentauscher zurückkehren und die Nacht im Bett verbringen könnt.«
»Das behagt mit sehr«, meinte Geschichtentauscher.
Offensichtlich war Alvin Junior nicht ganz zufrieden, doch er erwiderte nichts.
Noch vor dem Mittag hatten sie den Schlitten in Bewegung gesetzt. Zwei Pferde vorne, zwei hinten, um ihn zu bremsen, waren an den Stein selbst angeschirrt. Dieser ruhte auf der hölzernen Plattform des Schlittens, der wiederum auf sieben oder acht der kleineren Rollen gleichzeitig glitt. Der Schlitten bewegte sich vor, auf weitere Rollen zu, die vor ihm lagen, während die Jungen hinten sofort die Rollen unter den Seilen des Folgegespanns hervorzogen, nach vorne eilten und sie hinter das Zuggespann legten. Das bedeutete, daß jeder Mann für jede Meile, die der Stein sich bewegte, etwa fünf Meilen laufen mußte.