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Alvin war so gebannt vom Anblick seines sterbenden Sohnes, daß er nicht bemerkte, was mit ihm selbst geschah. Der Stoß des Baumstamms hatte die festgefahrenen Räder gelöst. Die Strömung nahm den Planwagen auf, riß ihn stromabwärts, während Alvin sich an der hinteren Klappe festhielt und während Faith im Inneren weinte und Eleanor auf dem Fahrersitz sich die Lunge aus dem Leib schrie und die Jungen am Ufer »Halten! Halten! Halten!» riefen.

Das Seil hielt, ein Ende an einen kräftigen Baum gebunden, das andere Ende am Wagen festgemacht. Der Fluß konnte den Wagen nicht mit sich reißen; statt dessen trieb er ihn gegen das Ufer, wo der Wagen zitternd zum Halten kam.

»Es hat gehalten!» riefen die Jungen.

»Gott sei Dank!» schrie Eleanor.

»Das Baby kommt«, flüsterte Faith.

Doch Alvin vernahm immer nur den einzigen, matten Schrei, der das letzte Geräusch aus der Kehle seines Erstgeborenen gewesen war, sah immer nur, wie sein Junge sich an den Baum geklammert hatte und fort, gegen die Felsen gerissen worden war, und alles, was er noch sagen konnte, war ein einziges Wort, ein einziger Befehl. »Lebe!» murmelte er. Vigor hatte ihm früher immer gehorcht. Ein harter Arbeiter, ein williger Gefährte, mehr ein Freund oder ein Bruder als ein Sohn. Doch dieses Mal wußte er, daß sein Sohn nicht gehorchen würde. Dennoch flüsterte er immer wieder: »Lebe!«

»Sind wir in Sicherheit?» fragte Faith mit bebender Stimme.

Alvin drehte sich zu ihr um, versuchte, den Gram aus seiner Miene zu vertreiben. Es hatte keinen Sinn, sie wissen zu lassen, welchen Preis Vigor bezahlt hatte, um sie und das Baby zu retten. Nachdem das Kind geboren worden war, würde sie es früh genug erfahren. »Kannst du aus dem Wagen klettern?«

»Was ist los?» fragte Faith, sein Gesicht musternd.

»Ich habe mich erschreckt. Der Baum hätte uns umbringen können. Kannst du jetzt heruntersteigen, nun, da wir am Ufer sind?«

Eleanor beugte sich vom vorderen Teil des Wagens zurück. »David und Calm sind am Ufer, sie können dir hinaufhelfen. Das Seil hält zwar noch, Mama, aber wer weiß schon, wie lange?«

»Komm schon, Faith, es ist nur ein Schritt«, sagte Alvin. »Wir kommen besser mit dem Wagen zurecht, wenn wir wissen, daß du am Ufer in Sicherheit bist.«

»Das Baby will kommen«, sagte Faith leise.

»Besser am Ufer als hier«, erwiderte Alvin scharf. »Geh jetzt!«

Faith stand auf und kletterte unbeholfen nach vorn. Alvin stieg hinter ihr in den Wagen, um ihr zu helfen, falls sie stolpern sollte. Sogar er konnte sehen, wie sehr ihr Bauch sich gesenkt hatte.

Am Ufer standen inzwischen nicht mehr nur David und Calm, sondern auch fremde, große Männer mit Pferden. Sogar ein kleiner Wagen stand bereit. Alvin hatte keine Vorstellung, wer diese Männer waren oder woher sie gewußt hatten, daß er und seine Frau Hilfe brauchten, doch er hatte keine Zeit, um lange nachzudenken. »Ihr Männer! Gibt es im Gasthaus eine Hebamme?«

»Goody Guester kümmert sich um Geburten«, sagte ein großer Mann mit Armen so dick wie Ochsenschenkel. Bestimmt ein Hufschmied.

»Könnt ihr meine Frau in diesem Wagen mitnehmen? Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

Alvin wußte, daß es sich eigentlich nicht schickte, wenn Männer so offen über eine Geburt sprachen, noch dazu vor der Frau, die kurz vor der Niederkunft stand. Doch Faith war keine Närrin — sie wußte, daß es am wichtigsten war, sie in ein Bett und in die Obhut einer kundigen Hebamme zu bringen, statt lange um den heißen Brei herumzureden.

David und Calm gingen sehr behutsam vor, als sie ihrer Mutter auf den wartenden Wagen halfen. Faith taumelte vor Schmerz. Eleanor schritt direkt hinter ihr, übernahm das Kommando, ganz so, als wäre sie nicht jünger als alle Jungen mit Ausnahme der Zwillinge. »Measure! Ruf die Mädchen zusammen. Sie fahren mit uns im Wagen. Ihr auch, Wastenot und Wantnot! Ich weiß, daß ihr den großen Jungen helfen könnt, aber ich brauche euch, um auf die Mädchen aufzupassen, während ich bei Mutter bin.«

Mit Eleanor war nie gut Kirschenessen, und die Lage war so ernst, daß die Jungen sie nicht einmal Eleanor von Aquitanien nannten, während sie gehorchten. Sogar die kleinen Mädchen hörten auf zu zanken und stiegen auf.

Eleanor blieb einen Augenblick am Ufer stehen und sah zu ihrem Vater zurück, der auf dem Wagensitz stand. Sie blickte stromabwärts, dann wieder zu ihm zurück. Alvin verstand die Frage und schüttelte den Kopf. Faith sollte nichts von Vigors Selbstopfer erfahren. Ungebeten traten Alvin die Tränen in die Augen, nicht aber Eleanor. Eleanor war erst vierzehn, aber wenn sie nicht weinen wollte, weinte sie auch nicht.

Wastenot trieb das Pferd an, und der kleine Wagen setzte sich ruckend in Bewegung, wobei Faith schmerzerfüllt zusammenzuckte, während die Mädchen sie streichelten und der Regen unentwegt herabströmte. Faiths Blick war so ernst wie der einer Kuh und ebenso geistlos, als sie zu ihrem Mann zurückblickte, zurück zum Fluß. In Zeiten des Gebarens, dachte Alvin, wird die Frau zum Tier, erschlafft ihr Geist, während der Körper alles übernimmt und die Arbeit tut. Wie hätte sie sonst den Schmerz ertragen sollen? Als wäre sie von der Seele der Erde besessen und zum Teil des Lebens der ganzen Welt geworden, abgeschirmt von ihrer Familie, ihrem Ehemann, hinuntergeführt in das Tal der Reife, der Ernte und des Mähens und des blutigen Todes.

»Sie ist jetzt in Sicherheit«, sagte der Hufschmied. »Und wir haben Pferde hier, um euren Wagen herauszuziehen.«

»Es läßt nach«, sagte Measure. »Der Regen läßt nach, und die Strömung ist auch nicht mehr so stark.«

»Sobald Eure Frau an Land trat, hat sie nachgelassen«, sagt der Bursche, der wie ein Farmer aussah. »Der Regen erstirbt jetzt, das ist sicher.«

»Ihr habt das Schlimmste davon im Wasser mitbekommen«, sagte der Hufschmied, »aber jetzt seid ihr gerettet. Reißt Euch zusammen, Mann, es gibt Arbeit.«

Erst jetzt begriff Alvin, daß er weinte. Es gibt Arbeit, reiß dich zusammen, Alvin Miller. Du bist kein Schwächling, um loszubrüllen wie ein Säugling. Andere Männer haben schon ein Dutzend Kinder verloren und leben noch immer ihr Leben. Du hast zwölf bekommen, und Vigor ist immerhin zu einem Mann herangewachsen, auch wenn er keine Gelegenheit mehr bekommen hat, zu heiraten und eigene Kinder zu haben. Vielleicht mußte Alvin weinen, weil Vigor auf solch edle Weise gestorben war; vielleicht weinte er, weil alles so plötzlich gekommen war.

David berührte den Hufschmied am Arm. »Laßt ihn einen Augenblick«, sagte er leise. »Es ist keine zehn Minuten her, da wurde unser ältester Bruder fortgerissen. Er hat sich in einem Baum verfangen, der heruntergetrieben kam.«

»Nicht verfangen«, bemerkte Alvin scharf. »Er ist gegen diesen Baumstamm gesprungen und hat unseren Wagen gerettet und eure Mutter, die in ihm saß! Dieser Fluß hat es ihm heimgezahlt.«

Ruhig sprach Calm zu den einheimischen Männern. »Es hat ihn dort gegen den Felsen geschlagen.«

Alle schauten hinüber. Am Gestein aber war nicht einmal mehr eine Blutspur zu erkennen, so unschuldig sah es aus.

»Der Hatrack ist manchmal sehr bösartig«, sagte der Hufschmied, »aber ich habe diesen Fluß noch nie so aufgewühlt erlebt. Das mit Eurem Jungen tut mir leid. Flußabwärts ist eine ruhige, flache Stelle, wo er mit Sicherheit ans Ufer gespült wird. Alles, was der Fluß mit sich führt, strandet dort. Wenn der Sturm nachläßt, können wir hinuntergehen und die… und ihn zurückbringen.«