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Er folgte den Bahnen seines Blutes, dem großen, kräftigen Strom, den kleinen Strömen. Manchmal verirrte er sich. Manchmal unterbrach ihn einfach ein Stechen in seinem Bein und verlangte, gehört zu werden. Doch nach und nach fand er seinen Weg zu der gesunden Haut und den gesunden Knochen im anderen Bein. Dort war das Blut nicht halb so kräftig, aber es führte ihn dorthin, wo er hin wollte. Er entdeckte all die Schichten, wie die Häute einer Zwiebel. Er erfuhr ihre Anordnung, sah, wie der Muskel zusammengehalten wurde und wie die winzigen Venen miteinander verbunden waren.

Erst danach fand er den Weg zu dem schlimmen Bein. Der Hautfetzen, den Mama angenäht hatte, war fast tot, stand kurz vor dem Faulen. Alvin Junior jedoch wußte, was er brauchte, damit dieser Teil überleben konnte. Er fand die abgequetschten Enden der Arterien um die Wunde und fing an, sie zum Wachsen zu drängen, genau wie er Risse durch Gestein zu führen pflegte. Verglichen hiermit war der Stein sehr viel einfacher zu behandeln — um sich zu spalten, mußte er einfach loslassen, das war alles. Das lebendige Fleisch aber tat nur sehr viel langsamer, was er von ihm verlangte, und schon bald gab er alles andere auf, richtete seine Aufmerksamkeit nur noch auf die kräftigste Arterie.

Er sah, wie sie Stücke und Teile von diesem und jenem verwendete, um etwas aufzubauen. Vieles von dem, was geschah, war viel zu klein und schnell und kompliziert, als daß Alvins Geist es hätte begreifen können. Doch er konnte seinen Körper dazu bringen, freizusetzen, was die Arterie brauchte, um zu wachsen. Er konnte es dort hinschicken, wo es gebraucht wurde, und nach einer Weile verband sich die Arterie mit dem verfaulten Gewebe. Es bedurfte einiger Anstrengung, doch schließlich entdeckte er das Ende einer verschrumpften Arterie und verband sie miteinander, ließ das Blut in den angenähten Flecken strömen.

Zu früh, zu schnell. Er spürte die Hitze auf seinem Bein, spürte, wie das Blut an einem Dutzend Stellen gleichzeitig aus dem toten Fleisch hervorquoll; es konnte nicht alles Blut halten, das er ihm schickte. Langsam, langsam, langsam. Er folgte dem Blut, ließ es nun sickern, anstatt zu pumpen, und wieder verband er Blutgefäße miteinander, Arterien mit Venen, versuchte so gut er konnte, es dem anderen Bein ähnlich zu machen.

Schließlich war es fast geschafft. Der normale Blutstrom ließ sich verringern. Viele Teile des Hautfetzens erwachten wieder zum Leben, als das Blut zurückkehrte. Andere blieben tot. Alvin ließ das Blut immer und immer wieder um die Stelle strömen, die toten Teile in Stücke auflösend, die zu klein für ihn waren, um sie noch zu erkennen. Doch die lebendigen Teile erkannten sie sehr gut, nahmen sie auf, ließen sie arbeiten. Wohin Alvin seine Kräfte auch wandte, ließ er das Fleisch wachsen.

Bis er im Geiste davon müde war, in solch kleinem Maßstab zu denken und so hart zu arbeiten, daß er einfach einschlief.

»Ich will ihn nicht aufwecken.«

»Du kannst den Verband nicht wechseln, ohne ihn anzufassen, Faith.«

»Also gut — oh, sei vorsichtig, Alvin! Nein, laß mich das machen!«

»Ich habe so etwas schon gemacht…«

»Ja, Alvin, bei Kühen, aber nicht an kleinen Jungen!«

Alvin Junior spürte Druck auf seinem Bein. Irgend etwas riß an seiner Haut. Der Schmerz war nicht so schlimm wie gestern. Aber er war noch immer zu müde, um auch nur die Augen zu öffnen oder einen Laut von sich zu geben, damit sie wußten, daß er wach war und sie hören konnte.

»Ach du liebe Güte, Faith, er muß ja in der Nacht schrecklich geblutet haben.«

»Mama, Mary sagt, ich muß…«

»Sei still und verschwinde von hier, Cally! Siehst du denn nicht, daß deine Ma sich gerade Sorgen macht wegen…«

»Kein Grund, den Jungen anzuschreien, Alvin. Er ist doch erst sieben.«

»Sieben, das ist alt genug, um den Mund zu halten und Erwachsene in Ruhe zu lassen, wenn wir beschäftigt sind… Schau dir das mal an.«

»Ich kann es kaum glauben.«

»Ich hätte erwartet, daß der Eiter hervorquillt wie die Sahne aus einer Kuhzitze.«

»So sauber, wie es nur sein kann.«

»Und die Haut wächst nach, schaust du dir das mal an? Dein Nähen muß gewirkt haben.«

»Ich hatte kaum darauf gehofft, daß diese Haut wieder anwachsen würde.«

»Man sieht nicht einmal ein Stück Knochen darunter.«

»Der Herr segnet uns. Ich habe die ganze Nacht gebetet, und schau, was Gott getan hat.«

»Na, da hättest du dich beim Beten aber ein bißchen mehr anstrengen sollen, damit die Wunde ganz verheilt. Ich habe noch jede Menge Arbeit für diesen Jungen.«

»Jetzt lästere bloß nicht Gott, Alvin Miller!«

»Ich kann es nur nicht mehr ertragen, wie Gott sich ständig einschleicht, um den Ruhm einzuheimsen. Vielleicht ist Alvin ja auch nur ein guter Heiler, hast du daran schon einmal gedacht?«

»Schau nur, deine Bösartigkeit hat den Jungen geweckt.«

»Frag ihn, ob er einen Schluck Wasser haben will.«

»Er wird einen bekommen, ob er ihn will oder nicht.«

Alvin dürstete sehr. Sein Körper war ausgetrocknet, nicht nur sein Mund; er mußte wieder ersetzen, was er an Blut verloren hatte, also schluckte er soviel herunter, wie er konnte, aus einem Blechbecher, den man ihm an den Mund hielt. Er legte sich zurück und versuchte von innen heraus festzustellen, wie es seiner Wunde ging. Doch es war zu schwierig dorthin zurückzukehren, zu schwierig, sich zu konzentrieren. Noch auf halber Strecke schlief er wieder ein.

Er erwachte aufs neue und dachte, daß es schon wieder Nacht sein mußte, vielleicht waren aber auch nur die Vorhänge zugezogen. Er konnte es nicht feststellen, weil es ihm zu schwerfiel, die Augen zu öffnen. Der Schmerz war zurückgekehrt, außerdem kitzelte die Wunde so stark, daß er sich kaum noch beherrschen konnte, um nicht an ihr zu kratzen. Doch nach einer Weile gelang es ihm, die Wunde zu finden und wieder beim Nachwachsen der Hautschichten zu helfen. Als er wieder einschlief, bedeckte eine dünne, vollständige Hautschicht die ganze Wunde. Darunter arbeitete der Körper immer noch daran, die Muskeln zu erneuern und die gebrochenen Knochen wieder miteinander zu verbinden. Doch nun würde es keinen Blutverlust mehr geben, keine offene Wunde, die sich infizieren konnte.

»Schaut Euch das an, Geschichtentauscher. Habt Ihr so etwas schon einmal gesehen?«

»Eine Haut wie ein Neugeborenes.«

»Vielleicht bin ich ja verrückt, aber bis auf die Schiene sehe ich keinen Grund mehr, sein Bein noch verbunden zu lassen.«

»Kein Anzeichen einer Wunde mehr. Nein, Ihr habt recht, ein Verband wird jetzt nicht mehr nötig sein.«

»Vielleicht hat meine Frau recht, Geschichtentauscher. Vielleicht hat Gott es sich doch einfach nur anders überlegt und an meinem Jungen ein Wunder vollbracht.«

»So etwas läßt sich nicht beweisen. Wenn der Junge aufwacht, dann weiß er vielleicht etwas darüber.«

»Ganz bestimmt nicht. Er hat die ganze Zeit nicht einmal die Augen geöffnet.«

»Eines ist sicher, Mr. Miller. Dieser Junge wird nicht sterben. Soviel hätte ich gestern noch nicht sagen können.«

»Ich hatte mich schon darauf eingestellt, eine Kiste für ihn zu zimmern, um ihn unter die Erde zu bringen. Ich sah nicht die geringste Überlebenschance. Schaut Ihr Euch mal an, wie gesund er ist? Ich möchte gerne wissen, was ihn beschützt.«

»Was immer ihn beschützt, Mr. Miller, dieser Junge ist jedenfalls stärker. Darüber muß man mal nachdenken. Sein Beschützer hat den Stein zwar splittern lassen, aber Al Junior hat ihn wieder zusammengefügt, und sein Beschützer konnte nicht das geringste dagegen ausrichten.«