»Ja, für dich ist das lustig. Alle kümmern sich nur um dich.«
Diesmal strengte Alvin sich sehr an, um ein Geräusch hervorzubringen. »Willst du mich forthaben?«
Cally wartete lange Zeit, bis er antwortete. »Nein. Wer soll denn dann mit mir spielen? Nur die doofen, ollen Vettern. In dem Haufen gibt es nicht einen einzigen guten Ringer.«
»Ich gehe«, flüsterte Alvin.
»Nein, tust du nicht. Du bist der siebente Sohn, und sie werden dich niemals gehen lassen.«
»Gehe.«
»Allerdings, so wie ich das zähle, bin ich diese Nummer sieben. David, Calm, Measure, Wastenot, Wantnot, Alvin Junior bist du, und dann komme ich, das sind sieben.«
»Vigor.«
»Der ist schon lange tot. Das sollte jemand mal Ma und Pa erzählen.«
Alvin lag da, müde von den wenigen Worten, die er gesagt hatte. Dann schwieg auch Cally. Er saß einfach nur da, so still, wie er nur sein konnte, und hielt Alvins Hand fest. Schon bald begann Alvin davonzuschweben, so daß er sich nicht ganz sicher war, ob Cally wirklich gesprochen hatte oder ob er es nur träumte. Aber er hörte Cally sagen: »Ich will dich nie tot haben, Alvin.«
Und dann hatte er vielleicht gesagt: »Ich wünschte, ich wäre du.«
Aber Alvin schwebte in den Schlaf hinein, und als er erwachte, war niemand bei ihm. Das Haus war still bis auf die Geräusche der Nacht und bis auf den Wind, der an den Läden klapperte.
Einmal mehr tauchte Alvin in sein Inneres hinein und arbeitete sich bis zur Wunde vor. Nur daß er diesmal nicht viel mit der Haut und dem Muskel zu tun hatte. Jetzt arbeitete er an den Knochen. Es überraschte ihn, wie porös sie waren, überall von kleinen Löchern bedeckt, gar nicht fest wie der Mühlstein, aber schon bald hatte er sie verstanden. Nach einer Weile war es ein leichtes, die Knochen fest zusammenzufügen.
Dennoch war irgend etwas mit diesem Knochen verkehrt. Irgend etwas in seinem schlimmen Bein würde nicht genauso werden wie im gesunden. Aber es war so klein, daß er es nicht deutlich erkennen konnte. Er wußte nur, daß es, was immer war, den Knochen im Inneren krank machte, nur ein winziger Fleck Krankheit, aber er bekam nicht heraus, wie er ihn heilen sollte. Es war, als wollte man eine Schneeflocke vom Boden aufheben: Immer, wenn er glaubte, daß er etwas zu packen bekommen hatte, stellte es sich als Nichts heraus oder vielleicht auch als zu klein, um es sehen zu können.
Vielleicht würde es aber auch verschwinden. Wenn alles andere besser wurde, dann würde diese kranke Stelle seines Knochens vielleicht auch von allein besser werden.
Eleanor kam erst spät vom Haus ihrer Mutter zurück. Brustwehr glaubte zwar daran, daß eine Ehefrau starke Familienbindungen haben sollte, aber nach Nachteinbruch nach Hause zu kommen, das war gefährlich.
»Es wird davon geredet, daß wilde Rote vom Süden hierher kommen«, sagte Brustwehr Gottes. »Und du gehst noch im Dunkeln umher.«
»Ich habe mich beeilt, nach Hause zu kommen«, erwiderte sie. »Ich kenne den Weg im Dunkeln.«
»Es geht nicht darum, den Weg zu kennen«, erwiderte er streng. »Die Franzosen bezahlen für weiße Skalps inzwischen mit Gewehren. Das wird zwar die Leute des Propheten nicht in Versuchung führen, aber es gibt viele Choc-Taws, die nur zu gerne nach Fort Detroit hinaufkommen, um unterwegs auch noch Skalps einzusammeln.«
»Alvin wird nicht sterben«, sagte Eleanor.
Brustwehr verabscheute es, wenn sie so abrupt das Thema wechselte. Aber bei dieser Nachricht blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzufragen. »Dann haben sie sich also entschieden, das Bein zu amputieren?«
»Ich habe das Bein gesehen. Es kommt schon wieder in Ordnung. Alvin Junior war am späten Nachmittag wach, und ich habe mich eine Weile mit ihm unterhalten.«
»Ich bin froh, daß er wachgeworden ist, Elly, aber ich hoffe doch, daß du nicht damit rechnest, daß dieses Bein heilt. Eine derart große Wunde mag zwar eine Weile lang so aussehen, als würde sie heilen, aber die Fäulnis wird schon ziemlich bald einsetzen.«
»Bei Alvin glaube ich das nicht«, erwiderte sie. »Willst du Abendessen haben?«
»Ich muß zwei Laibe Brot gegessen haben, wie ich hier auf und ab gegangen bin und mich fragte, wann du wohl jemals wieder nach Hause kommen würdest.«
»Es ist nicht gut, wenn ein Mann einen Bauch bekommt.«
»Ich habe nun einmal einen, und der verlangt nach Nahrung, genau wie der aller anderen.«
»Mama hat mir einen Käse mitgegeben.«
Brustwehr war unbehaglich zumute. Er glaubte, daß Faith Millers Käse sicherlich nur so gut waren, weil sie irgend etwas mit der Milch machte. Es warf ihn aus der Bahn, wenn er sich dabei erwischte, wie er Kompromisse mit der Hexerei einging. In dieser düsteren Stimmung war er nicht gewillt, irgend etwas auf sich beruhen zu lassen, auch wenn er wußte, daß Elly einfach nicht darüber reden wollte. »Warum, glaubst du, daß das Bein nicht faulen wird?«
»Es wird einfach so schnell besser«, meinte sie.
»Wieviel besser?«
»Ach, schon fast wieder gesund.«
»Was heißt fast?«
Sie drehte sich um, rollte die Augen und kehrte ihm den Rücken zu. Sie begann einen Apfel aufzuschneiden, den sie mit dem Käse essen wollten.
»Ich habe gefragt, was heißt fast, Elly?«
»Gesund.«
»Zwei Tage, nachdem ein Mühlstein die vordere Hälfte des Beins abgerissen hat, ist es schon wieder gesund?«
»Nur zwei Tage?» fragte sie. »Kommt mir eher wie eine Woche vor.«
»Der Kalender meint aber, daß es nur zwei Tage sind«, warf Brustwehr ein. »Was wiederum bedeutet, daß dort oben Hexerei im Spiel ist.«
»So, wie ich die Evangelien lese, war der, der die Menschen heilte, keine Hexe.«
»Wer hat es getan? Erzähl mir nicht, daß dein Pa oder deine Ma plötzlich so starke Kräfte besitzen. Haben sie vielleicht einen Teufel beschworen?«
Sie drehte sich um, das Messer noch immer in der Hand. Ihre Augen blitzten. »Pa mag zwar kein Kirchgänger sein, aber der Teufel hat niemals seinen Fuß in unser Haus gesetzt.«
Reverend Thrower war zwar anderer Meinung, aber Brustwehr war zu klug, um ihn auch noch ins Gespräch einzubringen. »Dann war es dieser Bettler.«
»Der arbeitet für seine Kost und Unterkunft. So hart wie alle anderen auch.«
»Man erzählt sich, daß er diesen alten Zauberer Ben Franklin gekannt hat. Und diesen Atheisten aus Appalachee, Tom Jefferson.«
»Er erzählt gute Geschichten. Und er hat den Jungen auch nicht geheilt.«
»Nun, irgend jemand hat es ja wohl getan.«
»Vielleicht hat er sich einfach nur selbst geheilt. Jedenfalls ist das Bein noch immer gebrochen. Es ist also kein Wunder oder so etwas. Er ist eben nur ein schneller Heiler.«
»Nun, vielleicht ist er ein schneller Heiler, weil der Teufel eben für die Seinen sorgt.«
Als er den Blick in ihrem Auge wahrnahm, während sie sich umdrehte, wünschte sich Brustwehr fast, daß er es nicht gesagt hätte. Aber Reverend Thrower hatte doch so gut wie behauptet, daß der Junge ebenso schlimm war wie das Tier aus der Apokalypse.
Aber Tier oder Junge, er war Ellys Bruder, und wenngleich sie auch die meiste Zeit so ruhig war, wie man es sich nur wünschen konnte, konnte sie das schiere Grauen sein, wenn sie zornig wurde.
»Nimm das zurück«, sagte sie.
»Also das ist so ziemlich das Dümmste, was ich jemals gehört habe. Wie kann ich etwas zurücknehmen, was ich gerade gesagt habe?«
»Indem du sagst, daß du weißt, daß es nicht so ist.«
»Ich weiß nicht, daß es nicht so ist, und ich weiß auch nicht das Gegenteil. Ich habe gesagt vielleicht, und wenn ein Mann zu seiner Frau nicht mehr vielleicht sagen kann, dann wäre er wohl besser dran, tot zu sein.«