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»Ich schätze, das stimmt wohl«, sagte sie. »Und wenn du es nicht zurücknimmst, dann wirst du dir noch wünschen, daß du tot wärst!«

Sie kam auf ihn zu, in jeder Hand ein Stück Apfel.

Meistens wenn sie so zornig auf ihn zukam und er sich von ihr durchs Haus treiben ließ, mußte sie irgendwann lachen. Doch nicht dieses Mal. Sie zerdrückte ein Stück Apfel in seinem Haar und schleuderte ihm das andere entgegen, dann setzte sie sich ins Schlafzimmer und weinte sich die Augen aus.

Sie weinte sonst eigentlich nie. Brustwehr überlegte, daß die Sache gänzlich aus dem Lot gelaufen war.

»Ich nehme es zurück, Elly«, sagte er. »Er ist ein guter Junge, das weiß ich.«

»Ach, es ist mir egal, was du denkst«, erwiderte sie. »Du verstehst sowieso nichts davon.«

Nicht viele Ehemänner hätten sich so etwas von ihrer Frau bieten lassen, ohne ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Brustwehr wünschte sich manchmal, daß Elly es doch mal zu schätzen wüßte, wie sehr sein christlicher Glaube doch nur zu ihrem Vorteil war.

»Ein bis zwei Dinge weiß ich sehr wohl«, antwortete er.

»Sie werden ihn fortschicken«, sagte sie. »Wenn der Frühling kommt, geben sie ihn in eine Lehre. Er ist nicht allzu glücklich darüber, doch er sagt nichts dagegen, er liegt einfach nur im Bett, spricht ganz leise und schaut mich und alle anderen an, als würde er die ganze Zeit Lebewohl sagen.«

»Weshalb wollen sie ihn denn fortschicken?«

»Das habe ich dir doch gesagt, um ihn in eine Lehre zu geben.«

»So, wie sie diesen Jungen bemuttern, kann ich mir kaum vorstellen, daß sie ihn jemals außer Sichtweite lassen.«

»Und sie wollen ihn auch nicht in die Nähe schicken. Nein, bis ins östliche Ende des Hiogebiets, in die Nähe von Fort Dekane. Das ist ja schon die halbe Strecke bis zum Meer.«

»Weißt du, irgendwie erscheint das vernünftig, wenn man mal darüber nachdenkt.«

»Ach ja?«

»Jetzt, da die Roten Schwierigkeiten machen, wollen sie ihn in Sicherheit bringen. Die anderen können ruhig hierbleiben, um einen Pfeil ins Gesicht zu bekommen, aber nicht Alvin Junior.«

Sie musterte ihn mit vernichtender Verachtung. »Manchmal bist du so mißtrauisch, daß ich am liebsten kotzen würde, Brustwehr Gottes.«

»Es hat nichts mit Mißtrauen zu tun, wenn man etwas ausspricht, was wirklich geschieht.«

»Du kannst doch nicht einmal die Wirklichkeit von einer Gurke unterscheiden.«

»Wäschst du mir diesen Apfel aus dem Haar, oder muß ich dich dazu bringen, ihn mir abzulecken?«.

»Ich schätze, ich werde wohl irgend etwas tun müssen, sonst reibst du ihn noch in das ganze Bettleinen.«

Geschichtentauscher kam sich fast vor wie ein Dieb, so viele Dinge mitzunehmen, als er ging. Zwei Paar dicker Socken. Eine neue Decke. Ein Umhang aus Elchhaut. Eingemachtes und Käse. Einen guten Schleifstein.

Und Dinge, von denen sie gar nicht wissen konnte, daß sie sie ihm geschenkt hatten. Ein ausgeruhter Körper, frei von Schmerz und Wunden. Gütige Gesichter, frisch in Erinnerung. Und Geschichten, Geschichten, im versiegelten Teil des Buchs aufgeschrieben, jene, die er selbst schrieb. Und wahre Geschichten, von ihren eigenen Händen schmerzhaft eingeschrieben.

Doch er hatte ihnen einen guten Gegenwert gegeben, oder er hatte es zumindest versucht. Die Dächer waren für den Winter geflickt worden, aber wichtiger war: Sie hatten ein Buch mit Ben Franklins eigener Handschrift darin gesehen. Bevor Geschichtentauscher gekommen war, waren sie Teil ihrer Familie und Teil des Wobbish-Landes gewesen, nicht mehr. Nun gehörten sie viel größeren Geschichten an. Gehörten zum Krieg der Unabhängigkeit der Appalachees und zum Amerikanischen Pakt.

Er hatte ihnen noch einige andere Dinge hinterlassen. Einen geliebten Sohn, den er unter einem stürzenden Mühlstein hervorgezogen hatte, einen Vater, der nun die Kraft besaß, seinen Sohn fortzuschicken, bevor er ihn tötete. Einen Namen für den Alptraum eines jungen Mannes, damit er verstand, daß sein Feind wirklich war, eine geflüsterte Ermutigung an ein zerbrochenes Kind, sich selbst zu heilen.

Und eine einzige Zeichnung, in eine Scheibe Eichenholz mit der Spitze eines heißen Messers eingebrannt. Er hätte viel lieber mit Wachs und Säure auf Metall gearbeitet, doch in dieser Gegend war nichts davon aufzutreiben. Also brannte er Striche ins Holz, machte daraus, was er konnte. Das Bild von einem jungen Mann in der Gewalt eines reißenden Flusses, hilflos verheddert in den Wurzeln eines treibenden Baums. An der Kunstakademie des Lordprotektors hätte es nur Hohn eingebracht, weil das Bild so einfach war. Aber Goody Faith stieß einen Schrei aus, als sie es erblickte, und drückte es an sich, ließ ihre Tränen darüberströmen wie die letzten Tropfen von den Weiden nach einem Regen. Vater Alvin nickte, als er es sah, und sagte: »Das ist Eure Vision, Geschichtentauscher. Ihr habt sein Gesicht vollkommen so wiedergegeben, wie es aussah, und dabei habt Ihr ihn noch nicht einmal gesehen. Das ist Vigor.«

Dann weinte auch er.

Sie befestigten es über dem Kaminsims. Es mochte keine große Kunst sein, dachte Geschichtentauscher, aber es war wahr und bedeutete diesen Menschen mehr, als jedes Porträt irgendeinem fetten alten Lord oder Parlamentarier zu London oder Paris hätte bedeuten können.

»Es ist ein schöner Morgen heute«, sagte Goody Faith. »Ihr habt noch weit zu gehen, bevor es dunkel wird.«

»Ihr könnt es mir nicht verargen, wenn ich zögere zu gehen. Obgleich ich froh bin, daß Ihr mir diesen Botendienst anvertraut habt, und ich werde Euch nicht enttäuschen.«

Er klopfte gegen seine Tasche, in der der Brief an den Hufschmied von Hatrack River lag.

»Ihr könnt nicht gehen, ohne Euch von dem Jungen zu verabschieden«, meinte Miller.

Er hatte es so lange vor sich hingeschoben, wie er nur konnte. Nun nickte er, hob sich aus dem bequemen Sessel am Feuer und schritt zu dem Raum hinüber, in dem er die besten Nächte seines Lebens verbracht hatte. Alvin Juniors Augen waren weit offen, sein Gesicht lebhaft, nicht mehr von Schmerz verzerrt, obwohl er immer noch Schmerzen haben mochte.

»Ihr geht?» fragte der Junge.

»Ich bin schon so gut wie fort, ich muß dir nur noch Lebewohl sagen.«

Alvin wirkte ein bißchen zornig. »Also laßt Ihr mich nicht einmal in Euer Buch schreiben?«

»Das tut nicht jeder, weißt du.«

»Pa hat es getan. Und Mama.«

»Und Cally auch.«

»Ich wette, das sieht bestimmt gut aus«, meinte Alvin. »Der schreibt doch wie ein, wie ein…«

»Wie ein Siebenjähriger.«

Es war eine Zurechtweisung, aber Alvin zuckte nicht zusammen.

»Warum dann nicht ich? Warum Cally und nicht ich?«

»Weil ich die Leute nur die wichtigsten Dinge hineinschreiben lasse, die sie jemals getan oder mit eigenen Augen gesehen haben. Was würdest du denn schreiben?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht über den Mühlstein.«

Geschichtentauscher schnitt eine Grimasse.

»Dann vielleicht über meine Vision. Die ist wichtig, das habt Ihr selbst gesagt.«

»Ja, und sie ist auch schon an anderer Stelle aufgeschrieben worden, Alvin.«

»Ich will etwas in dieses Buch schreiben«, sagte er. »Ich will, daß mein Satz zusammen mit dem des Machers Ben dort drin steht.«

»Noch nicht«, sagte Geschichtentauscher.

»Wann denn!«

»Wenn du diesen verdammten Entmacher vernichtet hast, Junge. Dann werde ich dich in dieses Buch schreiben lassen.«

»Und was, wenn ich ihn nie vernichtet bekomme?«

»Dann ist dieses Buch sowieso nicht viel wert.«

Die Tränen traten Alvin in die Augen. »Was, wenn ich sterbe?«

Ein Angstschauer durchzog Geschichtentauscher. »Wie geht es dem Bein?«

Der Junge zuckte die Achsel. Mit den Augenlidern verdrängte er die Tränen.

»Das ist keine Antwort, Junge.«