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Reverend Thrower öffnete die Tür der Kirche und schritt langsam und voller Furcht hinein. Er konnte es nicht ertragen, dem Besucher von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, wissend, daß er versagt hatte. Satan hätte keine Gewalt über ihn haben dürfen, um ihn auf diese Weise aus dem Haus zu treiben. Ein geweihter Geistlicher, im Auftrage des Herrn, der die Anweisungen befolgte, die ein Engel ihm erteilt hatte — Satan hätte nicht dazu in der Lage sein dürfen, ihn auf diese Weise aus dem Haus zu verstoßen, noch bevor er überhaupt wußte, wie ihm geschah.

Er nahm seinen Umhang ab und auch seine Jacke. In der Kirche war es heiß. Das Feuer im Ofen mußte länger gebrannt haben, als er erwartet hatte. Oder vielleicht empfand er auch die Hitze der Scham.

Es konnte nicht daran liegen, daß Satan stärker war als der Herr. Die einzige mögliche Erklärung war, daß Thrower selbst zu schwach war. Sein eigener Glaube hatte versagt.

Thrower kniete vor dem Altar nieder und rief den Namen des Herrn. »Vergib mir meinen Unglauben!» rief er. »Ich hielt das Messer, doch Satan stand wider mich auf, und ich hatte keine Kraft!«

Er rezitierte eine Litanei der Selbstbeschuldigung, ging alle seine Vergehen dieses Tages durch, bis er schließlich erschöpft war.

Erst dann, da seine Augen vom Weinen gerötet waren, seine Stimme matt und heiser, erkannte er, in welchem Augenblick sein Glaube unterhöhlt worden war. Es war, als er in Alvins Raum gestanden hatte, den Jungen auffordernd, seinen Glauben zu bekennen, und als der Junge die Mysterien Gottes verhöhnt hatte. »Wie kann etwas so Großes in mein Herz passen?«

Und obwohl Thrower die Frage als ein Produkt der Unwissenheit und des Bösen abgetan hatte, hatte sie doch sein Herz durchbohrt und war bis zum Kern seines Glaubens vorgestoßen. Gewißheiten, die ihn fast sein ganzes Leben genährt hatten, waren plötzlich durch die Fragen eines unwissenden Jungen zerbrochen. »Er hat mir meinen Glauben gestohlen«, sagte Thrower. »Ich bin als Mann Gottes in sein Zimmer getreten und als Zweifler wieder herausgekommen.«

»In der Tat«, sagte eine Stimme hinter ihm. Eine Stimme, die er kannte und die er jetzt sowohl fürchtete als auch ersehnte. Ach, verzeih mir, tröste mich, mein Besucher, mein Freund! Doch versäume es auch nicht, mich mit dem schrecklichen Zorn eines eifersüchtigen Gottes zu züchtigen.

»Dich zu züchtigen?» fragte der Besucher. »Wie könnte ich dich züchtigen, der du doch solch ein herrliches Exemplar von Mensch bist?«

»Ich bin nicht herrlich«, sagte Thrower niedergeschlagen.

»Genaugenommen bist du auch kaum menschlich«, sagte der Besucher. »In wessen Ebenbild bist du erschaffen worden? Ich habe dich ausgeschickt, mein Wort in dieses Haus zu tragen, und statt dessen haben sie beinahe dich bekehrt. Wie soll ich dich jetzt nennen? Einen Ketzer? Oder lediglich einen Skeptiker?«

»Einen Christen!» rief Thrower. »Vergib mir und nenne mich wieder einen Christen.«

»Du hieltest das Messer in deiner Hand, aber du hast es niedergelegt.«

»Das wollte ich nicht!«

»Schwach, schwach, schwach, schwach, schwach…«

Jedesmal, da der Besucher das Wort wiederholte, dehnte er es länger und länger aus, bis jede Wiederholung zu einem eigenen Lied wurde. Während er sang, begann er in der Kirche umherzuschreiten. Er rannte nicht, aber er schritt sehr schnell, viel schneller, als jeder Mensch es konnte. »Schwach, schwach…«

Er bewegte sich so schnell, daß Thrower sich ständig umdrehen mußte, um ihn im Auge zu behalten. Der Besucher schritt nicht mehr auf dem Boden. Er glitt die Wände entlang, so schnell und geschmeidig in seiner Bewegung wie eine Kellerassel, dann noch schneller, bis er zu einem bloßen Fleck wurde und Thrower ihn nicht mehr mit dem Blick festhalten konnte, indem er sich umdrehte. Thrower lehnte sich an den Altar, das Gesicht den leeren Bänken zugewandt, und sah zu, wie der Besucher immer und immer wieder vorbeiraste.

Nach und nach begriff Thrower, daß der Besucher seine Gestalt verwandelt hatte, daß er sich gestreckt hatte wie ein langes, schlankes Tier, eine Eidechse, ein Alligator, hellschuppig und leuchtend, länger und länger, bis sein Körper schließlich so lang war, daß er den ganzen Raum im Kreis umfaßte, ein riesiger Wurm, der seinen eigenen Schwanz zwischen den Zähnen packte.

Und Thrower sah vor seinem eigenen Geiste, wie winzig und unwürdig er war, verglichen mit diesem herrlichen Wesen, das von tausend verschiedenen Farben funkelte, das von innerem Feuer glühte und die Dunkelheit ein- und Licht ausatmete. Ich verehre dich! rief er in seinem Inneren. Du bist alles, nach dem ich verlange! Küsse mich mit deiner Liebe, auf daß ich deine Herrlichkeit kosten möge!

Plötzlich hielt der Besucher inne, und das riesige Maul kam auf ihn zu. Nicht um ihn zu verschlingen, denn Thrower wußte, daß er sogar zu unwürdig war, um verschlungen zu werden. Nun schaute er die schreckliche Lage des Menschen: Er sah, daß er wie eine Spinne von einem dünnen Faden über der Höllengrube hing und daß der einzige Grund, weshalb Gott ihn nicht stürzen ließ, darin lag, daß er nicht einmal der Vernichtung würdig war. Gott haßte ihn nicht. Er war so abscheulich, daß Gott ihn verachtete. Thrower blickte dem Besucher in die Augen und verzweifelte. Denn da waren weder Liebe noch Vergebung noch Zorn noch Verachtung. Die Augen waren völlig ausdruckslos. Die Schuppen blendeten, verteilten das Licht eines inneren Feuers. Doch dieses Feuer schimmerte nicht durch die Augen. Sie waren nicht einmal schwarz. Sie waren einfach nicht da, eine schreckliche Leere, die zitterte, die nicht stillhalten wollte. Thrower wußte, daß dies seine eigene Spiegelung war. Er war nichts. Seine Existenz war ohne Wert und Bedeutung. Die einzige Wahl, die ihm noch blieb, war die Vernichtung, die Ent-Schöpfung, um die Welt zu jener größeren Herrlichkeit wiederherzustellen, die gewesen wäre, wäre Philadelphia Thrower niemals geboren worden.

Throwers Beten weckte Brustwehr. Er lag neben dem Franklin-Ofen. Vielleicht hatte er ihn ein bißchen zu heiß geschürt, doch dessen bedurfte es auch, um die Kälte in seinen Gliedern zu vertreiben.

Brustwehr wollte sofort etwas sagen, um Thrower wissen zu lassen, daß er da war, doch als er die Worte vernahm, die Thrower betete, fuhr er entsetzt zusammen. Thrower sprach von Messern und Arterien und davon, wie er die Feinde Gottes hätte in Stücke schneiden sollen. Nach einer Minute war ihm alles klar: Thrower war überhaupt nicht zu Millers gegangen, um diesen Jungen zu retten, sondern um ihn zu töten! Was ist das für eine Welt, dachte Brustwehr, wenn ein Christenmensch seine Frau schlägt und eine Christenfrau ihren Mann verhext und ein Christenpriester einen Mord plant und um Vergebung bittet, weil er bei der Ausführung dieses Verbrechens versagt hat!

Plötzlich aber hörte Thrower auf zu beten. Er war so heiser und sein Gesicht war so rot, daß Brustwehr schon an einen Schlag glaubte. Aber nein, Thrower hob den Kopf, als würde er jemandem lauschen. Brustwehr lauschte ebenfalls, und er konnte auch etwas hören, wie Leute, die in einem Windsturm sprachen, so daß man nie genau verstand, was sie sagten.

Eine Vision, dachte Brustwehr. Reverend Thrower hat gerade eine Vision.

Und tatsächlich begann Thrower zu sprechen, und die leise Stimme antwortete, und schon bald drehte Thrower sich um seine eigene Achse, immer herum, schneller und schneller, als würde er etwas an den Wänden beobachten. Brustwehr versuchte festzustellen, was er beobachtete, konnte es aber nie ausmachen. Es war wie ein Schatten, der sich über die Sonne zog — man konnte ihn weder kommen noch gehen sehen, doch für eine Sekunde lang war es dunkler und kälter.

Dann hörte das Schattenspiel auf. Brustwehr sah ein Schimmern in der Luft, ein Aufblitzen hier und dort, wie wenn eine Glasscheibe das Sonnenlicht einfing. Ob Thrower die Herrlichkeit Gottes schaute, wie Moses es getan hatte? Unwahrscheinlich, wenn man das Gesicht des Pfarrers ansah. Brustwehr hatte noch nie ein solches Gesicht gesehen. Wie das Gesicht eines Mannes aussehen mochte, der zusehen mußte, wenn sein eigenes Kind getötet wurde.