»Dann habe ich gute Nachricht für Euch, Horace«, erwiderte Geschichtentauscher fröhlich. »Den Tee habe ich nämlich inzwischen auch aufgegeben.«
»Was trinkt Ihr denn dann, etwa Wasser?«
»Wasser und das Blut fettiger alter Männer«, erwiderte Geschichtentauscher.
Horace gestikulierte seiner Frau. »Halt mir bloß diesen Mann vom Leib, Old Peg, hast du gehört?«
Old Peg half ihm dabei, seine Kleider abzulegen.
»Schaut Euch doch bloß an«, sagte Old Peg und blickte ihn abschätzend an. »An Euch ist doch nicht einmal mehr genügend Fleisch, um daraus einen Eintopf zu kochen.«
»Die Bären und Panther lassen mich in der Nacht in Ruhe, sie suchen sich lieber üppigere Beute«, behauptete Geschichtentauscher.
»Kommt herein und erzählt mir Geschichten, während ich das Abendessen für die Gäste koche.«
Es gab viel Gerede und Geplapper, vor allem als Altpapi hereinkam, um zu helfen. Er wurde allmählich gebrechlich, doch kümmerte er sich immer noch um die Küche, was allen Gästen zum Vorteil gereichte, die hier aßen; Old Peg meinte es zwar gut und arbeitete auch schwer, aber manche Menschen hatten eben das Talent und andere nicht. Doch es war nicht das Essen, weswegen Geschichtentauscher gekommen war. Nach einer Weile begriff er, daß er das Thema selbst ansprechen mußte. »Wo ist Eure Tochter?«
Zu seiner Überraschung versteifte sich Old Peg etwas und ihre Stimme wurde kalt und hart. »Sie ist nicht mehr so klein. Sie hat ihren eigenen Willen, und das würde sie Euch auch auf den Kopf zusagen.«
Und dir gefällt es nicht sehr, dachte Geschichtentauscher. Doch sein Geschäft mit der Tochter war wichtiger als aller Familienstreit. »Ist sie immer noch eine…«
»Eine Fackel? O ja, sie tut ihre Pflicht, aber es ist kein Vergnügen für die Leute, zu ihr zu kommen. Schnippisch und kalt ist sie. Sie hat den Ruf erworben, eine scharfe Zunge zu haben.«
Einen Augenblick lang hellte sich Old Pegs Miene auf. »Sie war einmal so ein weichherziges Kind.«
»Ich habe noch nie gesehen, daß ein weiches Herz hart geworden wäre«, sagte Geschichtentauscher. »Jedenfalls nicht ohne guten Grund.«
»Nun, was immer ihr Grund sein mag, ihr Herz hat sich jedenfalls verhärtet wie ein Wassereimer in der Winternacht.«
Geschichtentauscher zügelte seine Zunge und sprach nicht davon, daß Eis immer wieder zusammenfror, wenn man es aufschlug, daß man es aber nur nach innen zu bringen brauchte, damit es sich aufwärmte und auftaute, daß es eine wahre Freude war. Es hatte keinen Sinn, sich in einen Familienstreit einzumischen. Geschichtentauscher wußte genug über die Art und Weise, wie die Menschen lebten, um diesen besonderen Streit als Naturereignis hinzunehmen wie kalte Winde und kurze Tage im Herbst. Die meisten Eltern hatten nicht viel Verständnis für halberwachsene Kinder.
»Ich muß etwas mit ihr besprechen«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich werde es schon riskieren, daß sie mir den Kopf abreißt.«
Er fand sie in Dr. Whitleys Arztzimmer, wo sie gerade seine Bücher führte. »Ich wußte gar nicht, daß du eine Buchhalterin bist«, sagte er.
»Und ich wußte nicht, daß Ihr viel für die Heilkunst übrig habt«, erwiderte sie. »Oder seid Ihr nur gekommen, um das Wundermädchen zu begutachten, das Rechnen und Schreiben kann?«
O ja, sie war so scharfzüngig, wie sie nur sein konnte. Geschichtentauscher konnte begreifen, wie ein solcher Witz einige Leute befremden mochte, die erwarteten, daß eine junge Frau die Augen senkte und leise sprach, um nur ab und an unter tief gesenkten Augenlidern emporzublicken. Peggy hatte nichts von dieser jungen Damenhaftigkeit an sich. Sie sah Geschichtentauscher offen ins Gesicht.
»Ich bin nicht gekommen, um geheilt zu werden«, sagte Geschichtentauscher. »Oder um mir meine Zukunft vorhersagen zu lassen. Oder auch nur, um meine Bücher führen zu lassen.«
Aber da war es auch schon: Sobald ein Mann ihr geradeheraus antwortete, anstatt gleich den Kamm hochzustellen, da ließ sie ein Lächeln aufblitzen, das in seiner Lieblichkeit einer Kröte die Warzen hätte abschwatzen können. »Ich kann mich nicht erinnern, daß Ihr sonderlich viel zu addieren oder abzuziehen gehabt hättet«, meinte sie. »Ich glaube, null plus null ergibt null.«
»Das siehst du völlig falsch, Peggy«, widersprach Geschichtentauscher. »Mir gehört diese ganze Welt, aber die Leute sind mit ihren Zahlungen ziemlich im Rückstand.«
Wieder lächelte sie und legte nun die Bücher des Arztes beiseite. »Ich führe ihm einmal im Monat die Bücher, und er bringt mir aus Dekane Sachen zu lesen.«
Sie sprach über die Dinge, die sie las, und Geschichtentauscher begann zu erkennen, daß ihr Herz sich nach Orten sehnte, die weit jenseits von Hatrack River lagen. Er schaute auch andere Dinge — daß sie, da sie eine Fackel war, die Leute hier zu gut kannte und glaubte, daß sie an fernen Orten Menschen mit wahren Edelsteinseelen vorfinden würde, die niemals ein Mädchen enttäuschen würden, das ihnen direkt ins Herz blicken konnte.
Sie ist jung, das ist alles. Laß ihr Zeit, dann wird sie schon lernen, die Güte zu lieben, die sie vorfindet, und den Rest zu vergeben.
Nach einer Weile trat der Arzt ein, und sie plauderten ein wenig. So wurde es später Nachmittag, bis Geschichtentauscher wieder allein mit Peggy war und ihr die Fragen stellen konnte, die zu stellen er gekommen war.
»Wie weit kannst du sehen, Peggy?«
Er konnte es beinahe mitansehen, wie die Vorsicht sich über ihre Miene legte wie ein dicker Samtvorhang. »Ich schätze, Ihr wollt mich damit wohl nicht fragen, ob ich eine Brille brauche«, meinte sie.
»Ich habe mir nur Gedanken über ein Mädchen gemacht, das mir einst in mein Buch hineinschrieb: ›Ein Macher ist geboren.‹ Ich fragte mich, ob sie noch immer ein Auge auf diesen Macher behält, so dann und wann, um zu sehen, wie es ihm ergeht.«
Sie wandte den Blick ab und sah zu dem hohen Fenster hinauf. Die Sonne stand niedrig, und der Himmel draußen war grau, doch ihr Gesicht war voller Licht, wie Geschichtentauscher recht genau bemerkte. Manchmal brauchte man keine Fackel zu sein, um in das Herz eines Menschen zu blicken.
»Ich frage mich auch, ob diese Fackel einmal einen Dachbalken gesehen hat, der auf ihn stürzte«, sagte Geschichtentauscher.
»Ob sie das wohl getan hat«, sagte sie.
»Oder einen Mühlstein.«
»Könnte sein.«
»Und ich frage mich, ob sie nicht irgendeine Möglichkeit gehabt hat, diesen Dachbalken säuberlich in zwei Stücke zu teilen und diesen Mühlstein auseinanderbrechen zu lassen, damit ein gewisser alter Geschichtentauscher eine Laterne mitten durch diesen Stein hindurchscheinen sehen konnte.«
Tränen glitzerten in ihren Augen, nicht, daß sie gleich weinen würde, aber sie sah direkt in die Sonne hinein. »Ein Stück seines Mutterkuchens, in Staub gerieben, und man kann die eigene Kraft des Jungen zu einigen unbeholfenen Zaubern verwenden«, sagte sie leise.
»Aber nun versteht er ein wenig von seinem eigenen Talent, und er hat aufgelöst, was du für ihn getan hast.«
Sie nickte.
»Es muß einsam sein, ihn aus solcher Ferne zu beobachten«, sagte Geschichtentauscher.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Ich habe die ganze Zeit Leute um mich.«
Dann sah sie Geschichtentauscher an und lächelte trüb. »Es ist fast eine Erholung, etwas Zeit mit diesem Jungen zu verbringen, der nicht das geringste von mir will, weil er nicht einmal weiß, daß ich existiere.«
»Ich weiß es aber«, sagte Geschichtentauscher. »Und ich will auch nicht das geringste von dir.«
Sie lächelte. »Ihr alter Betrüger«, sagte sie.
»Also gut, ich will doch etwas von dir, aber nichts für mich selbst. Ich bin diesem Jungen begegnet, und auch wenn ich nicht in sein Herz hineinblicken kann wie du, so glaube ich doch, daß ich ihn kenne. Ich glaube, daß ich weiß, was er werden könnte, was er tun könnte, und ich möchte, daß du weißt, daß du, solltest du jemals meine Hilfe in irgendeiner Weise brauchen, mir nur mitzuteilen brauchst, was ich tun soll, und wenn es in meiner Macht steht, so werde ich es tun.«