Выбрать главу

Sie antwortete nicht, sah ihn auch nicht an.

»Bisher brauchtest du keine Hilfe«, fuhr Geschichtentauscher fort, »aber nun hat er seinen eigenen Willen, und da wirst du für ihn nicht immer die Dinge tun können, die er braucht. Die Gefahren werden nicht immer nur von Dingen herrühren, die auf ihn herabstürzen oder ihn körperlich verletzen. Er befindet sich in ebenso großer Gefahr vor dem, was er selbst zu tun beschließt. Ich sage dir nur, wenn du eine solche Gefahr erkennen solltest und mich brauchst, um dir zu helfen, so werde ich kommen, egal was geschehen mag.«

»Das ist mir ein Trost«, sagte sie. Ihre Worte waren ehrlich gemeint, wie Geschichtentauscher wußte; doch sie fühlte noch mehr, als sie sagte. »Und ich wollte dir mitteilen, daß er hierher kommt, am ersten April, um eine Lehre bei dem Schmied zu beginnen.«

»Ich weiß, daß er kommt«, sagte sie, »aber es wird nicht am ersten April sein.«

»Ach nein?«

»Oder überhaupt in diesem Jahr.«

Die Furcht um den Jungen stach Geschichtentauscher ins Herz. »Ich schätze, ich bin wohl doch gekommen, um die Zukunft kennenzulernen. Was steht ihm bevor? Was wird kommen?«

»Es können alle möglichen Dinge geschehen«, sagte sie, »und ich wäre eine Närrin, zu raten, was genau passiert. Ich sehe die ganze Zeit tausend offene Wege vor ihm. Aber es gibt nur sehr wenige davon, die ihn bis zum April hierherführen werden, aber sehr viele, an deren Ende er tot daliegt, mit der Axt eines Roten Mannes im Schädel.«

Geschichtentauscher lehnte sich über den Schreibtisch des Doktors und legte seine Hand auf ihre. »Wird er überleben?«

»Solange ich noch einen Atemzug tun kann«, erwiderte sie.

»Und ich auch«, antwortete er.

Schweigend saßen sie einen Augenblick da, schauten einander an, eine Hand auf die andere gelegt, bis sie plötzlich in Lachen ausbrach und wegsah.

»Meistens begreife ich den Witz, wenn die Leute lachen«, meinte Geschichtentauscher.

»Ich habe mir nur gerade überlegt, daß wir wirklich eine ziemlich armselige Verschwörung schmieden, nur wir beide gegen all die Feinde, denen dieser Junge gegenüberstehen wird.«

»Das ist wahr«, meinte Geschichtentauscher, »aber wir haben gute Gründe; so daß die ganze Natur sich mit uns zusammen verschwören wird, meinst du nicht?«

»Und Gott ebenfalls«, fügte sie entschieden hinzu.

»Dazu kann ich nichts sagen«, meinte Geschichtentauscher. »Die Prediger und Priester scheinen ihn so mit ihren Dogmen in die Enge getrieben zu haben, daß der arme alte Vater kaum noch Platz hat, um sich zu rühren. Jetzt, da sie die Bibel endlich sicher gedeutet haben, wollen sie alles, nur nicht, daß er noch ein weiteres Wort spricht oder die Macht seiner Hand auf dieser Welt offenbart.«

»Ich habe die Macht seiner Hand vor einigen Jahren bei der Geburt des siebenten Sohnes eines siebenten Sohnes gesehen«, erwiderte sie. »Nennt es Natur, wenn Ihr wollt, da Ihr ja alles mögliche von den Philosophen und Zauberern gelernt habt. Ich weiß nur, daß er so eng mit meinem Leben verbunden ist, als wäre wir demselben Mutterschoß entsprungen.«

Geschichtentauscher überlegte sich seine nächste Frage nicht, sie perlte unbedacht von seinen Lippen. »Bist du froh darüber?«

Sie blickte ihn mit schrecklicher Trauer in den Augen an. »Nicht oft«, sagte sie. Daher sah sie so müde aus, daß Geschichtentauscher sich nicht mehr beherrschen konnte, er schritt um den Tisch, stellte sich neben ihren Stuhl und hielt sie fest wie ein Vater seine Tochter, hielt sie sehr lange fest. Er wußte nicht zu sagen ob sie weinte oder sich nur festhielt. Sie sagten kein einziges Wort. Schließlich ließ sie los und wandte sich wieder dem Kontobuch zu. Er ging davon, ohne das Schweigen zu brechen.

Geschichtentauscher schlenderte zum Gasthof hinüber, um das Abendessen zu sich zu nehmen. Es gab Geschichten zu erzählen und Arbeiten zu erledigen, um seinen Unterhalt zu verdienen. Und doch schienen alle Geschichten neben jener einen zu verblassen, die er nicht erzählen konnte, jener Geschichte, deren Ende er nicht kannte.

Auf der Weide um die Mühle stand ein halbes Dutzend Wagen, von Farmern bewacht, die von sehr weit hergekommen waren, um Mehl von hoher Qualität zu kaufen. Ihre Frauen würden nicht länger über Mörser und Stößel schwitzen müssen, um grobes Mehl für hartes und klumpiges Brot zu mahlen. Die Mühle war in Betrieb, und alle in einigen Meilen Umkreis würden ihr Getreide zur Stadt Vigor Church bringen.

Das Wasser strömte durch die Mühlrinne, und das große Rad drehte sich. In der Mühle wurde die Kraft des Rads durch Zahnräder weiterbefördert, um den oberen Mühlstein zu drehen. Der Müller schüttete den Weizen auf den Stein. Der obere Stein glitt darüber und mahlte ihn zu Mehl. Der Müller strich es für einen zweiten Durchgang glatt, dann bürstete er es in einen Korb, den sein Sohn für ihn hielt, ein zehnjähriger Junge. Sein Sohn schüttete das Mehl in ein Sieb und gab das gute Mehl in einen Tuchsack. Was im Sieb blieb, leerte er in ein Silofaß. Dann kehrte er an die Seite seines Vaters zurück, um den nächsten Weizenkorb zu holen.

Ihre Gedanken glichen einander in bemerkenswerter Weise, wie sie so schweigend zusammen arbeiteten. Genau diese Arbeit möchte ich weiterhin tun, dachte jeder. Am Morgen aufstehen, zur Mühle kommen und den ganzen Tag an seiner Seite arbeiten. Es machte nichts, daß der Wunsch keine Wirklichkeit werden konnte. Es machte nichts, daß sie einander vielleicht nie wiedersehen würden, wenn der Junge erst einmal gegangen war, um am Ort seiner Geburt seine Lehre anzutreten. Es verstärkte nur die Schönheit des Augenblicks, der schon bald Erinnerung, der schon bald ein Traum werden würde.

ENDE

Karten

Orson Scott Card

Der siebente Sohn

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralph Tegtmeier

BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH

Fantasy

Band 20115

Erste Auflage: Dezember 1988

© Copyright 1987 by Orson Scott Card

All rights reserved

Deutsche Lizenzausgabe 1988

Scan by Brrazo 05/2005

Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Originaltiteclass="underline" Seventh Son

Lektorat: Reinhard Rohn

Titelillustration: Jane Mitchell

Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg

Satz: Fotosatz Schell, Bad Iburg

Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich

Printed in France

ISBN 3-404-20115-9

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.