Kleinpeggy konnte es kaum glauben, doch genauso mußte es sein. Der Hufschmied hatte sie aus einem feuchtdunklen Schlaf gerissen. Der Schmied hatte ihr geholfen. Ach, das brachte einen ja fast zum Lachen, zu wissen, daß der Hufschmied diesesmal ihr Freund war!
Auf der Veranda ertönten Rufe, Türen öffneten und schlossen sich. »Ein paar Leute sind schon hier«, sagte Altpapi.
Kleinpeggy sah die Herzensfeuer dort unten und entdeckte das eine mit der größten Furcht und Pein. »Es ist ihre Mama«, sagte Kleinpeggy. »Sie bekommt gerade ein Kind.«
»Na, wenn das nicht noch Glück im Unglück ist. Eins verloren, und schon ist wieder ein Baby da, um den Tod durch das Leben zu ersetzen.«
Altpapi schlurfte hinaus, um sich hinunterzubegeben und zu helfen.
Kleinpeggy jedoch blieb einfach stehen und schaute sich an, was sie in der Ferne sah. Das verschollene Herzensfeuer war überhaupt nicht verschollen, soviel war sicher. Sie konnte es weit in der Ferne brennen sehen, trotz der ganzen Dunkelheit, mit der der Fluß versuchte, es zu bedecken. Er war gar nicht tot, war nur fortgerissen worden, und vielleicht konnte jemand ihm helfen. Sie rannte hinaus, stürzte eilig an Altpapi vorbei, lief klappernd die Stufen hinunter.
Mama packte sie am Arm, als sie gerade ins große Zimmer gelaufen kam. »Es gibt hier eine Geburt«, sagte Mama, »und wir brauchen dich.«
»Aber Mama, der eine, der den Fluß hinuntergetrieben wurde, er lebt noch!«
»Peggy, wir haben keine Zeit für…«
Zwei Jungen, die beide das gleiche Gesicht besaßen, drängten sich vor. »Der eine, der in den Fluß hinuntergerissen wurde!» rief der eine. »Immer noch am Leben!» rief der andere.
»Woher weißt du das!«
»Das kann nicht sein!«
Alles sprach so laut durcheinander, daß Mama Ruhe befehlen mußte, um sie verstehen zu können. »Es war Vigor, unser großer Bruder, er ist weggespült worden…«
»Na, jedenfalls lebt er noch«, sagte Kleinpeggy, »aber der Fluß hat ihn.«
Die Zwillinge blickten Mama bestätigungsheischend an. »Weiß sie, wovon sie redet, Goody Guester?«
Mama nickte, und die Jungen rannten zur Tür, wobei sie riefen: »Er lebt! Er lebt noch!«
»Bist du sicher?» fragte Mama heftig. »Es ist äußerst grausam, Hoffnung in ihren Herzen zu wecken, wenn es nicht wahr sein sollte.«
Mamas blitzende Augen schüchterten Kleinpeggy ein, und sie wußte nicht, was sie sagen sollte.
Doch inzwischen war Altpapi herangekommen. »Also Peg«, sagte er, »woher hätte sie denn wissen sollen, daß einer vom Fluß fortgespült wurde, wenn sie es nicht gesehen hat?«
»Ich weiß«, sagte Mama. »Aber diese Frau hat die Geburt schon viel zu lange hinausgezögert, und ich muß mich um das Baby kümmern, also komm jetzt, Kleinpeggy, ich brauche dich, damit du mir sagst, was du siehst.«
Sie führte Kleinpeggy in das Schlafzimmer neben der Küche, dorthin, wo Papa und Mama schliefen, wenn Gäste kamen. Die Frau lag auf dem Bett, hielt die Hand eines großen Mädchens fest, das tiefe und ernste Augen hatte. Kleinpeggy kannte ihre Gesichter nicht, erkannte aber ihre Feuer wieder, besonders den Schmerz und die Furcht der Mutter.
»Draußen hat jemand etwas gerufen«, flüsterte die Mutter.
»Still jetzt«, sagte Mama.
»Daß er noch am Leben sei.«
Das ernste Mädchen hob die Augenbrauen, blickte Mama an. »Stimmt das, Goody Guester?«
»Meine Tochter ist eine Fackel. Deshalb habe ich sie hierher ins Zimmer gebracht. Um das Baby zu schauen.«
»Hat sie meinen Jungen gesehen? Lebt er?«
»Ich dachte, du hättest es ihr nicht gesagt, Eleanor«, meinte Mama.
Das ernste Mädchen schüttelte den Kopf.
»Habe es vom Wagen aus gesehen. Ist er noch am Leben?«
»Sag es ihr, Margaret«, sagte Mama.
Kleinpeggy drehte sich um und suchte nach seinem Herzensfeuer. Seine Flamme war noch da, obwohl sie wußte, daß sie sehr weit entfernt war. Diesmal jedoch ging sie näher, wie sie es konnte, sah genauer hin. »Er ist im Wasser. Er hat sich völlig in den Wurzeln verheddert.
»Vigor!» rief die Mutter auf dem Bett.
»Der Fluß will ihn haben. Der Fluß sagt: Stirb, stirb.«
Mama berührte die Frau am Arm. »Die Zwillinge sind losgelaufen, um es den anderen zu sagen. Man wird einen Suchtrupp losschicken.«
»Im Dunkeln!» flüsterte die Frau verächtlich.
Kleinpeggy sprach erneut. »Ich glaube, er sagt ein Gebet. Er sagt… siebenter Sohn.«
»Siebenter Sohn«, flüsterte Eleanor.
»Was hat das zu bedeuten?» fragte Mama.
»Wenn dieses Baby ein Junge ist«, sagte Eleanor, »und wenn er geboren wird, solange Vigor noch am Leben ist, dann ist er der siebente Sohn eines siebenten Sohns, und alle sind sie noch lebendig.«
Mama seufzte. »Kein Wunder, daß der Fluß…«, sagte sie. Doch es war nicht nötig, den Gedanken zu Ende zu führen. Statt dessen nahm sie Kleinpeggy an den Händen und brachte sie zu der Frau auf dem Bett. »Schau dieses Baby an und sage mir, was du siehst.«
So etwas hatte Kleinpeggy schon öfter getan. Die wichtigste Aufgabe, die man für Fackeln hatte, war, genau zur Geburtszeit ein Ungeborenes zu betrachten; einmal, um festzustellen, wie es im Mutterleib lag, aber auch, weil eine Fackel manchmal erkennen konnte, wer das Baby war, was es werden würde, weil sie Geschichten darüber erzählen konnte, was geschehen würde. Noch bevor sie den Bauch der Frau berührt hatte, konnte sie das Herzensfeuer des Babys erkennen. Es war dasjenige, das sie zuvor schon gesehen hatte, es leuchtete so heiß und hell, daß es, wenn man es mit dem Feuer der Mutter verglich, wie Sonne und Mond war. »Es ist ein Junge«, sagte sie.
»Dann laßt mich dieses Kind gebären«, sagte die Mutter. »Laßt ihn atmen, solange Vigor noch atmet!«
»Wie liegt das Kind?» fragte Mama.
»Genau richtig«, sagte Kleinpeggy.
»Kopf zuerst? Das Gesicht nach unten?«
Kleinpeggy nickte.
»Warum kommt es dann nicht?» wollte Mama wissen.
»Sie hat ihm gesagt, er soll nicht«, sagte Kleinpeggy und blickte dabei auf die Mutter.
»Im Wagen«, erklärte die Mutter. »Er wollte kommen, da habe ich eine Beschwörung gemacht.«
»Na, das hättet Ihr mir gleich sagen sollen«, warf Mama scharf ein. »Bittet mich um Hilfe und teilt mir nicht einmal mit, daß ein Zauber auf ihm liegt. Du da, Mädchen!«
Mehrere von den jüngeren Kindern standen neben der Wand mit weiten Augen und wußten nicht, welche gemeint war.
»Irgendeine von euch, ich brauche den Eisenschlüssel am Ring dort an der Wand.«
Die größte nahm ihn unbeholfen vom Haken und brachte sie mitsamt dem Ring herbei. Mama ließ den großen Ring und den Schlüssel über dem Bauch der Mutter baumeln und sang dabei leise:
Plötzlich schrie die Mutter vor Schmerz auf. Mama warf den Schlüssel beiseite, riß das Laken zurück, hob die Knie der Frau an und befahl Peggy, zu sehen.
Kleinpeggy berührte den Mutterschoß der Frau. Der Geist des Jungen war leer bis auf ein Gefühl des Drucks und der sich sammelnden Kälte, als er in die Luft hinaustrat. Doch gerade diese Leere ließ sie Dinge erkennen, die niemals wieder so deutlich sichtbar sein würden. Die Milliarden und Abermilliarden Wege seines Lebens lagen frei vor ihm, erwarteten seine ersten Entscheidungen, die ersten Veränderungen in der Welt um ihn herum, um mit jeder Sekunde Millionen von Zukünften auszulöschen. Die Zukunft lag offen in jedermann, ein flackernder Schatten, den sie nur manchmal sehen konnte, und niemals deutlich genug, da sie durch die Gedanken des gegenwärtigen Augenblicks schauen mußte; doch hier konnte Kleinpeggy sie für einige kostbare Momente ganz deutlich sehen.