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Sie griff nach der Schachtel und öffnete sie wieder, wollte die Nachgeburt hervorholen und sie in eine dunkle Ecke des Dachstuhls schleudern. Doch selbst in der Dunkelheit konnte sie einen Ort erkennen, wo es noch dunkler war: in der Nähe ihres Herzensfeuers, wo die Leere des tiefen, schwarzen Flusses im Begriff war, eine Mörderin aus ihr zu machen.

Mit mir nicht, sagte sie zu dem Wasser. Du bist nicht Teil von mir.

Bin ich doch, flüsterte das Wasser. Ich bin überall in dir, und ohne mich würdest du austrocknen und sterben… Jedenfalls bist du nicht mein Boß, erwiderte sie.

Sie schloß den Deckel der Schachtel und rutschte die Leiter hinunter. Papa meinte immer, daß sie auf diese Weise Splitter in den Hintern bekommen würde. Diesmal behielt er recht. Es stach ziemlich heftig, so daß sie irgendwie seitwärts in die Küche gehen mußte, wo Altpapi war, der versuchte, ihr den Splitter herauszuziehen.

»Meine Augen sind nicht gut genug dafür, Maggie«, klagte er.

»Du hast die Augen eines Adlers, meint Papa.«

Altpapi gluckste. »Ach ja, meint er das.«

»Was gibt es zum Abendessen?«

»Oh, dieses Abendessen wird dir schmecken, Maggie.«

Kleinpeggy rümpfte die Nase. »Riecht wie Huhn.«

»Ist es auch.«

»Ich mag keine Hühnersuppe.«

»Nicht bloß Suppe, Maggie. Das Huhn wird gerade geröstet, bis auf den Hals und die Flügel.«

»Ich hasse auch geröstetes Huhn.«

»Hat dein Altpapi dich jemals angelogen?«

»Nö.«

»Dann solltest du mir lieber glauben, wenn ich dir sage, daß dies ein Hühneressen ist, das dich richtig froh machen wird. Kannst du dir nicht denken, welch besonderes Hühnergericht dich froh machen könnte?«

Kleinpeggy grübelte und grübelte, dann lächelte sie. »Bloody Mary?«

Altpapi zwinkerte. »Ich habe doch schon immer gesagt, daß diese Henne ein gutes Suppenhuhn abgibt.«

Kleinpeggy drückte ihn so fest, daß er erstickte Geräusche von sich gab, und dann lachten und lachten sie.

Später in der Nacht, als Kleinpeggy schon längst im Bett war, brachten sie Vigors Leichnam nach Hause, und Papa und Makepeace machten sich daran, eine Kiste für ihn zu zimmern. Alvin Miller sah beinahe wie ein Toter aus, auch als Eleanor ihm das Baby zeigte. Bis sie sagte: »Dieses Fackelmädchen meint, daß das Baby der siebente Sohn eines siebenten Sohnes ist.«

Fragend blickte Alvin um sich.

»Oh, Ihr könnt ihr schon vertrauen«, meinte Mama.

Wieder stiegen Alvin die Tränen in die Augen. »Dieser Junge hat durchgehalten«, sagte er. »Dort im Wasser. Hat lange genug durchgehalten.«

»Er wußte, wie wichtig es dir war«, sagte Eleanor.

Dann griff Alvin nach dem Säugling, hielt ihn fest und blickte in seine Augen. »Er hat doch noch keinen Namen bekommen, oder?» fragte er.

»Natürlich nicht«, erwiderte Eleanor. »Mama hat all die anderen Jungen benannt, aber du hast immer gesagt, daß der siebente Sohn deinen…«

»Meinen eigenen Namen. Alvin. Siebenter Sohn eines siebenten Sohns, mit demselben Namen wie sein Vater. Alvin Junior.«

Er blickte sich um, dann schaute er zum Fluß hinüber, der fernab im nächtlichen Wald rauschte. »Hast du das gehört, Hatrack River? Sein Name ist Alvin, und du hast ihn doch nicht umgebracht.«

Schon bald brachten sie die Kiste herein und umgaben Vigors Leichnam mit Kerzen, die für das Feuer des Lebens standen, das ihn verlassen hatte. Alvin hielt den Säugling über den Sarg. »Schau dir deinen Bruder an«, flüsterte er ihm zu.

»Dieses Baby kann doch noch gar nicht sehen, Papa«, sagte David.

»Das stimmt nicht, David«, erwiderte Alvin. »Er weiß wohl nicht, was er sieht, aber sehen können seine Augen schon. Und wenn er alt genug geworden ist, um sich die Geschichte seiner Geburt anhören zu können, werde ich ihm erzählen, daß er mit eigenen Augen seinen Bruder Vigor gesehen hat, der für ihn sein Leben hingab.«

Es dauerte zwei Wochen, bis Faith wieder reisen konnte. Alvin achtete darauf, daß er und seine Jungen für ihren Unterhalt hart arbeiteten. Sie rodeten ein gutes Stück Land, hackten das Winterholz, errichteten für Makepeace Smith ein paar Holzkohlehaufen und verbreiterten den Weg. Sie fällten auch vier große Bäume und bauten eine kräftige Brücke über den Hatrack River, eine bedeckte Brücke, damit die Leute sogar in einem Regensturm noch diesen Fluß überqueren konnten, ohne daß auch nur ein Tropfen sie berührte.

Vigors Grab war das dritte auf dem kleinen Friedhof, neben dem von Peggys beiden toten Schwestern. Die Familie betete dort am Morgen, als sie weiterfuhren. Dann bestiegen sie ihren Wagen und zogen gen Westen. »Aber wir werden immer einen Teil von uns hier zurücklassen«, sagte Faith, und Alvin nickte.

Kleinpeggy sah sie davonfahren, dann rannte sie zum Dachstuhl hinauf, öffnete die Schachtel und hielt Kleinalvins Mutterkuchen in der Hand. Keine Gefahr — zumindest nicht für den Augenblick. Vorläufig in Sicherheit. Sie legte die Haut fort und schloß den Deckel. Baby Alvin, aus dir sollte lieber etwas Ordentliches werden, sagte sie, sonst hast du mächtig viel Ärger um nichts und wieder nichts gemacht.

6. Der Dachbalken

Äxte hallten, und kräftige Männer sangen Lieder bei der Arbeit. Das neue Kirchengebäude des Reverend Philadelphia Thrower ragte hoch über die Gemeinschaftsweide von Vigor Township. Alles geschah so viel schneller, als Reverend Thrower jemals erwartet hatte. Kaum war die erste Wand des Gemeindehauses vor ein oder zwei Tagen errichtet worden, als dieser betrunkene, einäugige Rote hereinspaziert kam und sich taufen ließ, so als genügte der bloße Anblick des Kirchengebäudes, um ihn der Zivilisation und dem Christentum näher zu bringen. Wenn ein solch glücklicher Roter wie Lolla-Wossiky zu Jesus gelangen konnte, welche anderen Wunder der Bekehrung mochten in dieser Wildnis erst vollbracht werden, wenn sein Gotteshaus vollendet war und er seine eigentliche Arbeit aufgenommen hatte.

Doch Reverend Thrower war nicht nur glücklich, denn es gab auch Feinde der Zivilisation, die sehr viel stärker waren als die heidnischen Roten. Was diesen Tag besonders verdunkelte, war die Tatsache, daß Alvin Miller wieder nicht zu den Arbeitern zählte. Und die Entschuldigungen seiner Frau hatten sich mittlerweile erschöpft. Die Suche nach einem ordentlichen Steinbruch für Mühlsteine war beendet, er hatte sich einen Tag lang ausgeruht und hätte eigentlich hier sein müssen.

»Was ist los, ist er krank?» fragte Thrower.

Faith kniff die Lippen zusammen. »Wenn ich sage, daß er nicht kommen will, Reverend Thrower, soll das nicht bedeuten, daß er nicht kommen kann.«

Diese Antwort bestätigte Throwers Argwohn. »Habe ich ihn irgendwie beleidigt?«

Faith seufzte und wandte den Blick von ihm ab, sah zu den Pfählen und Balken des Gemeindehauses hinüber. »Ihr selbst nicht, mein Herr, jedenfalls nicht so, wie ein Mann auf einem anderen herumtrampelt, wie man so sagt.«

Plötzlich erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. »Was ist das denn?«

Unmittelbar am Gebäude waren die meisten Männer damit beschäftigt, Taue an den Dachbalken zu befestigen, um ihn emporziehen zu können; eine schwierige Aufgabe, weil zu allem Überfluß einige kleinen Jungen miteinander im Staub rangen und leicht unter ihre Stiefel gerieten. »Al!» rief Faith. »Alvin Junior, sofort läßt du ihn los!«

Sie machte zwei Schritte auf die Staubwolke zu, die den heroischen Kampf der Sechsjährigen einhüllte.

Doch Reverend Thrower war nicht gewillt, sie das Gespräch auf eine solche Weise abbrechen zu lassen. »Mistress Faith«, sagte Reverend Thrower scharf, »Alvin Miller ist der erste Siedler in dieser Gegend, und die Leute achten ihn sehr. Wenn er aus irgendeinem Grund gegen mich sein sollte, wird dies meinem Amt sehr schaden. Ihr könntet mir wenigstens sagen, was ich getan habe, um ihn zu verärgern.«