Drinian fragte sich, ob er nicht dem König von dieser Begebenheit erzählen solle, aber er wollte nicht klatschen und so schwieg er. Doch später wünschte er, er hätte gesprochen. Denn am nächsten Tag ritt Prinz Rilian wieder alleine aus. Am Abend kehrte er nicht zurück und von dieser Stunde an ward er weder in Narnia noch in den angrenzenden Ländern jemals wieder gesehen und weder sein Pferd noch sein Hut, noch sein Mantel, noch irgendetwas anderes wurde je gefunden.
Nun ging Lord Drinian mit Bitterkeit im Herzen zu Kaspian und sagte: »Mein König, erschlagt mich auf der Stelle, denn durch mein Schweigen habe ich das Leben Eures Sohnes verwirkt.« Und er erzählte ihm alles.
Kaspian packte seine Kampfaxt und wollte Drinian töten und Drinian stand regungslos da, um den Todesschlag zu empfangen. Aber als er die Axt erhoben hatte, warf Kaspian sie weg und rief: »Ich habe meine Königin und meinen Sohn verloren: Soll ich auch noch meinen Freund verlieren?« Und er umarmte Lord Drinian und beide weinten und ihre Freundschaft zerbrach nicht.
Das war die Geschichte des Prinzen Rilian. Als sie zu Ende erzählt war, sagte Jilclass="underline" »Ich wette, die Schlange und die Frau waren ein und dieselbe Person.«
»Tu-huu, tu-huu, wir denken so wie du«, riefen die Eulen.
»Aber wir glauben nicht, dass sie den Prinzen getötet hat«, erklärte Glimmfeder, »denn keine Knochen ...«
»Wir wissen sicher, dass sie das nicht getan hat«, entgegnete Eustachius. »Aslan hat Jill gesagt, der Prinz sei noch am Leben.«
»Das macht es fast noch schlimmer«, meinte die älteste der Eulen. »Das bedeutet, dass sie sich seiner bedient und irgendwelche Ränke gegen Narnia schmiedet. Vor langer, langer Zeit, ganz am Anfang, kam aus dem Norden eine weiße Hexe und brachte hundert Jahre lang Schnee und Eis über unser Land. Und wir glauben, dass die grüne Frau vom gleichen Schlag sein muss.«
»Nun gut«, sagte Eustachius. »Jill und ich müssen den Prinzen finden. Könnt ihr uns helfen?«
»Habt ihr irgendeinen Anhaltspunkt, das Mädchen und du?«, fragte Glimmfeder.
»Ja«, antwortete Eustachius. »Wir wissen, dass wir uns nach Norden wenden müssen. Und wir wissen, dass wir zur Ruinenstadt der alten Riesen müssen.«
Daraufhin erschallte ein größeres »Tu-huu, tu-huu« als jemals zuvor. Füße schlurften, Federn raschelten und dann begannen alle Eulen auf einmal zu reden. Alle erklärten, wie Leid es ihnen täte, dass sie die Kinder auf der Suche nach dem verlorenen Prinzen nicht begleiten könnten.
»Ihr wollt bei Tag reisen und wir wollen bei Nacht reisen«, sagten sie. »Das ginge nicht gut, das ginge nicht gut.« Zwei oder drei Eulen fügten hinzu, hier in dem zerfallenen Turm sei es auch nicht mehr so dunkel wie zu Anfang und die Versammlung habe lange genug gedauert. Es schien so, als hätte die bloße Erwähnung der Ruinenstadt der Riesen die Vögel eingeschüchtert.
Doch Glimmfeder sagte: »Wenn sie diesen Weg einschlagen wollen – nämlich zum Ettinsmoor –, dann müssen wir sie zu einem der Moorwackler bringen. Sie sind die Einzigen, die ihnen helfen können.«
»Tu-huu, nur zu!«, tuteten die Eulen.
»Also gut«, meinte Glimmfeder. »Ich trage einen der beiden. Wer trägt den anderen? Wir müssen es noch heute Nacht erledigen.«
»Ich! Aber nur bis zu den Moorwacklern«, sagte eine andere Eule.
»Bist du bereit?«, fragte Glimmfeder, zu Jill gewandt.
»Ich glaube, die schläft«, meinte Eustachius.
5. Trauerpfützler
Jill schlief. Seit dem Beginn des Eulenparlaments hatte sie schrecklich gegähnt und jetzt war sie eingenickt. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie wieder aufgeweckt wurde und feststellen musste, dass sie auf rohen staubigen Brettern in einem stockdunklen Turm lag, der voller Eulen war. Es gefiel ihr noch weniger, als sie hörte, dass sie an einen anderen Ort gebracht werden sollte – und offensichtlich nicht ins Bett – und das auch noch auf einem Eulenrücken.
»Ach komm, Jill, reiß dich zusammen«, hörte sie die Stimme von Eustachius. »Schließlich ist dies ja ein Abenteuer.«
»Ich habe genug von Abenteuern«, entgegnete Jill böse.
Sie willigte jedoch ein auf Glimmfeders Rücken zu steigen und wachte schließlich vollends auf (zumindest für ein Weilchen), denn die Luft war überraschend kühl, als die Eule mit ihr in die Nacht hinausflog. Der Mond war verschwunden und auch kein Stern war zu sehen. Weit hinter sich entdeckte sie ein einsames erleuchtetes Fenster hoch über der Erde, ohne Zweifel war es ein Fenster in einem der Türme von Feeneden. Nur allzu gern hätte sie in ihrem wunderschönen Zimmer gemütlich im Bett gelegen und den flackernden Schatten der Flammen an der Wand zugeschaut.
Sie steckte die Hände unter ihren Umhang und wickelte ihn fest um sich. Es war gespenstisch, als sie in der Dunkelheit aus einiger Entfernung zwei Stimmen hörte. Es waren Eustachius und seine Eule, die sich unterhielten. Er klingt gar nicht müde, dachte Jill. Sie machte sich nicht klar, dass er ja schon einmal in dieser Welt große Abenteuer erlebt hatte und dass die Luft von Narnia die Kraft zurückbrachte, die ihm auf seiner Reise mit König Kaspian zu den östlichen Meeren verliehen worden war.
Jill musste sich kneifen um wach zu bleiben, denn sie wusste, dass sie vermutlich von Glimmfeders Rücken fallen würde, wenn sie einschlief. Als die beiden Eulen schließlich landeten, stieg sie mit steifen Knochen von Glimmfeder. Sie stand auf ebener Erde. Ein kalter Wind blies und sie schienen sich an einem baumlosen Ort zu befinden.
»Tu-huu, tu-huu!«, rief Glimmfeder. »Wach auf, Trauerpfützler. Wir sind im Auftrag des Löwen hier.«
Lange Zeit kam keine Antwort. Dann erschien in der Ferne ein schwaches Licht. Es kam näher. Und mit dem Licht ertönte eine Stimme.
»Eulen ahoi!«, rief sie. »Was ist los? Ist der König tot? Ist der Feind in Narnia eingefallen? Gibt es eine Überschwemmung? Oder sind Drachen gelandet?«
Als das Licht bei ihnen anlangte, sahen sie, dass es von einer großen Laterne herrührte. Von der Person, die diese Laterne trug, konnte Jill nur sehr wenig sehen. Sie schien nur aus Armen und Beinen zu bestehen. Die Eulen erklärten der Person alles, aber Jill war zu müde um zuzuhören. Sie versuchte ein wenig aufzuwachen, als sie merkte, dass die beiden Eulen sich von ihr verabschiedeten. Aber später erinnerte sie sich nur noch daran, wie sie und Eustachius sich bückten, um durch eine niedrige Tür zu gehen, und wie sie sich dann (Gott sei Dank) auf etwas Weiches und Warmes legten und eine Stimme zu ihnen sagte:
»So. Mehr kann ich euch nicht bieten. Es wird kalt sein und hart. Feucht vermutlich auch. Wahrscheinlich werdet ihr kein Auge zutun; selbst wenn es kein Gewitter und keine Überschwemmung gibt und der Wigwam nicht über uns zusammenbricht, wie das schon öfter passiert ist. Ihr müsst das Beste daraus machen ...« Aber sie war fest eingeschlafen, bevor die Stimme abbrach.
Als die Kinder spät am nächsten Morgen erwachten, stellten sie fest, dass sie ganz trocken und warm an einem dunklen Ort auf Strohbetten lagen. Aus einer dreieckigen Öffnung fiel Tageslicht herein. »Wo um alles in der Welt sind wir?«, fragte Jill. »Im Wigwam eines Moorwacklers«, sagte Eustachius. »Eines was?«
»Eines Moorwacklers. Frag mich nicht, was das ist. Ich konnte ihn gestern Nacht nicht sehen. Ich stehe auf. Komm, wir machen uns auf den Weg und suchen ihn.«