»Und wo werden wir anfangen?«, fragte Eustachius.
»Nun«, sagte der Moorwackler sehr langsam, »alle anderen, die jemals nach Prinz Rilian suchten, fingen bei der Quelle an, wo Lord Drinian die Frau sah. Sie gingen meistens nach Norden. Und da keiner von ihnen jemals zurückkam, kann man nicht genau sagen, wie sie weitergegangen sind.«
»Als Erstes müssen wir eine zerfallene Stadt der Riesen finden«, meinte Jill. »Das hat Aslan gesagt.«
»Als Erstes müssen wir sie finden, wie?«, entgegnete Trauerpfützler. »Es ist wohl nicht gestattet, sie erst einmal zu suchen, was?«
»Das habe ich natürlich gemeint«, sagte Jill. »Und dann, wenn wir sie gefunden haben.«
»Ja, wenn!«, bemerkte Trauerpfützler trocken.
»Weiß irgendjemand, wo sie ist?«, fragte Eustachius.
»Ich weiß nicht, wie das mit irgendjemand ist«, antwortete Trauerpfützler. »Ich will auch nicht behaupten, ich hätte nie von der zerfallenen Stadt gehört. Aber in diesem Fall würde man nicht bei der Quelle anfangen. Man müsste über das Ettinsmoor gehen. Dort ist die Ruinenstadt, wenn sie überhaupt irgendwo ist. Aber ich bin in dieser Richtung schon so weit gegangen wie kaum einer und ich habe keine Ruinen gesehen, das will ich nicht leugnen.«
»Wo ist das Ettinsmoor?«, fragte Eustachius. »Schau nach Norden«, entgegnete Trauerpfützler und deutete mit seiner Pfeife. »Siehst du die Berge und die Felsen? Dort fängt das Ettinsmoor an. Aber davor liegt ein Fluss, der Scribble. Natürlich gibt es keine Brücke.« »Aber ich nehme doch an, dass wir hinüberwaten können«, meinte Eustachius.
»Nun, man hat ihn schon gelegentlich durchwatet«, gab der Moorwackler zu.
»Vielleicht treffen wir im Ettinsmoor Leute, die uns den Weg sagen können«, warf Jill ein.
»Leute werden wir dort treffen, da hast du ganz Recht«, sagte Trauerpfützler.
»Was für Leute leben dort?«, fragte Jill. »Sie sind auf ihre Art schon in Ordnung«, antwortete Trauerpfützler, »wenn man ihre Art mag.«
»Ja, aber was sind sie?«, drängte Jill. »Es gibt so viele eigenartige Geschöpfe in diesem Land. Ich hätte gern gewusst, ob es Tiere sind oder Zwerge oder was sonst?« Der Moorwackler stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. »Puh!« sagte er. »Wisst ihr das nicht? Ich dachte, die Eulen hätten es euch gesagt. Es sind Riesen.«
Jill zuckte zusammen. Sie hatte Riesen noch nie gemocht, selbst in Büchern nicht, und einmal war sie einem Riesen in einem Albtraum begegnet. Dann sah sie das Gesicht von Eustachius, das ziemlich grün geworden war, und sie dachte sich: Ich wette, er hat noch mehr Angst als ich. Das machte ihr Mut.
»Der König hat mir vor langer Zeit erzählt – damals, als ich mit ihm auf See war«, sagte Eustachius, »er habe diese Riesen im Krieg geschlagen und sie müssten jetzt Tribut zahlen.«
»Das stimmt«, meinte Trauerpfützler. »Sie leben tatsächlich mit uns in Frieden. Solange wir auf unserer Seite des Flusses bleiben, tun sie uns nichts. Aber drüben auf ihrer Seite, auf dem Moor ... nun, eine Chance haben wir immerhin. Wenn wir keinem von ihnen zu nahe kommen und wenn sich keiner von ihnen vergisst und wenn wir nicht gesehen werden, dann ist es vielleicht möglich, dass wir ein gutes Stück schaffen.«
»Hör mal!«, rief Eustachius, der plötzlich die Beherrschung verlor, wie das leicht passiert, wenn man erschreckt worden ist. »Ich glaube nicht, dass die Sache halb so schlimm ist, wie du sie darstellst; genauso wie das Bett im Wigwam nicht hart und das Holz nicht nass war. Ich glaube nicht, dass Aslan uns jemals ausgesandt hätte, wenn unsere Chancen so gering wären.«
Er erwartete eine ärgerliche Antwort, aber der Moorwackler sagte nur: »So ist's recht, Eustachius. So muss man reden. Man sollte gute Miene zum bösen Spiel machen. Aber wir müssen uns alle anstrengen nicht die Beherrschung zu verlieren, in Anbetracht der harten Zeiten, die vor uns liegen. Es bringt nichts, wenn wir uns streiten. Auf jeden Fall sollten wir nicht zu früh damit anfangen. Ich weiß, dass derartige Expeditionen gewöhnlich so enden. Vermutlich werden wir mit dem Messer aufeinander losgehen, bevor wir am Ziel sind. Aber je länger wir es hinausschieben können
»Nun, wenn du es für so hoffnungslos hältst«, unterbrach Eustachius ihn, »dann solltest du besser hier bleiben. Jill und ich können allein gehen, nicht wahr, Jill?«
»Halt den Mund und sei kein Idiot«, warf Jill hastig ein, denn sie hatte Angst, der Moorwackler könne Eustachius beim Wort nehmen.
»Verliere nicht den Mut, Jill«, sagte Trauerpfützler. »Ich komme mit, daran gibt es nichts zu rütteln. Ich werde eine Gelegenheit wie diese nicht versäumen. Das wird mir gut tun. Alle sagen – ich meine die anderen Wackler –, ich sei zu leichtsinnig; ich nähme das Leben nicht ernst genug. Das haben sie Tausende Male gesagt. ›Trauerpfützler‹, sagen sie, ›du bist viel zu voreilig und überschwänglich – ein übermütiger Springinsfeld. Du musst lernen, dass das Leben nicht nur aus Froschfrikassee und Aalpastete besteht. Du musst etwas tun, wodurch du vernünftiger wirst. Wir sagen das nur zu deinem eigenen Besten, Trauerpfützler.‹ So sagen sie. Eine derartige Aufgabe – eine Reise nach Norden, jetzt, wo der Winter anfängt, und die Suche nach einem Prinzen, der vermutlich nicht da ist, durch eine Ruinenstadt, die noch keiner gesehen hat – ist genau das Richtige. Wenn das einen Kerl nicht zur Vernunft bringt, dann weiß ich auch nicht.« Und er rieb sich die großen froschartigen Hände, als spräche er davon, zu einer Party oder ins Theater zu gehen. »Und jetzt wollen wir nachsehen, wie weit die Aale sind«, fügte er hinzu.
Das Essen war ausgezeichnet und beide Kinder nahmen sich zwei große Portionen. Zuerst wollte der Moorwackler nicht glauben, dass es ihnen wirklich schmeckte, und als sie so viel gegessen hatten, dass er ihnen glauben musste, meinte er stattdessen, es würde ihnen bestimmt ganz und gar nicht bekommen. »War für einen Moorwackler gut ist, mag für die Menschen Gift sein; es würde mich nicht wundern«, erklärte er. Nach dem Essen tranken sie Tee aus Blechdosen (so wie das die Straßenbauarbeiter tun) und Trauerpfützler nahm ein paar Schlucke aus einer viereckigen schwarzen Flasche. Er bot den Kindern davon an, aber beide fanden das Zeug ganz fürchterlich.
Den Rest des Tages verbrachten sie damit, sich für einen frühen Aufbruch am nächsten Morgen vorzubereiten. Trauerpfützler, der bei weitem der Größte von ihnen war, sagte, er wolle drei Decken tragen und darin eingewickelt ein großes Stück Speck. Jill sollte die restlichen Aale, ein paar Kekse und die Zunderbüchse tragen. Eustachius musste seinen eigenen Umhang und den von Jill nehmen, wenn die beiden sie nicht anhatten. Eustachius (der ein wenig Bogenschießen gelernt hatte, als er mit Kaspian nach Osten gesegelt war) bekam Trauerpfützlers zweitbesten Bogen. Trauerpfützler selbst nahm den besten, obwohl die Chance, wie er sagte, hundert zu eins war, bei Wind, mit feuchten Bogensehnen, bei schlechtem Licht und mit kalten Fingern etwas zu treffen. Er und Eustachius hatten jeweils ein Schwert – Eustachius hatte das Schwert mitgebracht, das man ihm in seinem Zimmer in Feeneden hingelegt hatte, doch Jill musste sich mit ihrem Messer zufrieden geben. Deswegen hätte es fast Streit gegeben, aber sobald sie damit anfingen, rieb sich der Wackler die Hände und sagte: »Aha, es geht also schon los.« Da hielten sie beide den Mund.
Alle drei gingen schon früh im Wigwam zu Bett. Diesmal verbrachten die Kinder wirklich eine ziemlich schlimme Nacht. Trauerpfützler sagte noch: »Ihr solltet versuchen ein wenig zu schlafen, obwohl ich nicht glaube, dass einer von uns heute Nacht ein Auge zutut«, und fing dann sofort an so unablässig und so laut zu schnarchen, dass Jill, als sie endlich einschlief, die ganze Nacht von Pressluftbohrern und Wasserfällen und durch Tunnel fahrenden Schnellzügen träumte.