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»Meint ihr, sie lassen uns hinaus, wenn wir sie bitten?«, fragte Jill. Keiner sprach es aus, doch alle dachten: Und was ist, wenn nicht?

Es war kein schöner Gedanke. Trauerpfützler war ganz und gar dagegen, die Riesen über ihr wirkliches Vorhaben aufzuklären und darum zu bitten, hinausgelassen zu werden, und natürlich konnten die Kinder ohne seine Erlaubnis nichts sagen, denn das hatten sie ihm ja versprochen. Und allen dreien war klar, dass eine Flucht aus dem Schloss in der Nacht unmöglich war. Sobald sie in ihren Zimmern waren und man die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, waren sie bis zum Morgen Gefangene. Natürlich konnten sie darum bitten, die Tür geöffnet zu lassen, aber dann schöpften die Riesen Verdacht.

»Unsere einzige Chance ist es, zu versuchen, uns am Tag davonzustehlen«, sagte Eustachius. »Vielleicht gibt es ja nachmittags eine Zeit, zu der alle Riesen schlafen. Und wenn wir uns in die Küche schleichen, finden wir vielleicht eine offene Hintertür.«

»Ich würde das allerdings nicht unbedingt eine Chance nennen«, bemerkte Trauerpfützler. »Aber es ist vermutlich die einzige, die wir haben.« In Wirklichkeit war Eustachius' Plan nicht ganz so hoffnungslos, wie ihr vielleicht annehmen mögt. Wenn man ein Haus unbemerkt verlassen will, ist der Nachmittag dafür in gewisser Weise ein besserer Zeitpunkt als die Nacht. Nachmittags besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Türen und Fenster offen sind, und wenn man erwischt wird, kann man so tun, als hätte man nur einen kleinen Spaziergang machen wollen ohne besondere Absicht. (Es ist sehr schwierig, dies Riesen oder Erwachsene Glauben zu machen, wenn man um ein Uhr nachts dabei ertappt wird, wie man aus dem Schlafzimmerfenster klettert.)

»Wir müssen aber erst einmal dafür sorgen, dass sie arglos sind«, fügte Eustachius hinzu. »Wir müssen vorgeben, dass wir gerne hier sind und uns riesig auf dieses Herbstfest freuen.«

»Es findet morgen Abend statt«, sagte Trauerpfützler. »So habe ich läuten hören.«

»Ich verstehe«, meinte Jill. »Wir müssen so tun, als wären wir schrecklich gespannt darauf und müssen immer wieder danach fragen. Sie glauben sowieso, wir wären noch ganz kleine Kinder, das macht die Sache einfacher.«

»Fröhlich«, bemerkte Trauerpfützler mit einem tiefen Seufzer. »Wir müssen fröhlich sein. So, als gäbe es für uns keinerlei Probleme. Ausgelassen. Mir ist schon aufgefallen, dass ihr beiden nicht immer gut gelaunt seid. Ihr müsst mich beobachten und euch so benehmen wie ich. Ich werde fröhlich sein. So ...«Er zwang sich zu einem gespenstischen Grinsen. »Und ausgelassen ...« An dieser Stelle machte er mit sorgenvoller Miene einen Luftsprung. »Ihr werdet euch rasch daran gewöhnen, wenn ihr mir zuseht. Sie glauben sowieso, dass ich ein lustiger Bursche bin. Ich nehme an, ihr beiden habt geglaubt, ich wäre gestern Abend ein wenig beschwipst gewesen, aber ich versichere euch, dass es gespielt war – na ja, zumindest das meiste. Ich habe mir gedacht, das könnte vielleicht noch ganz nützlich sein.«

Wenn die Kinder später über ihr Abenteuer sprachen, waren sie nie ganz sicher, ob die letzte Behauptung Trauerpfützlers auch wirklich der Wahrheit entsprach; aber sie waren sicher, dass Trauerpfützler selbst sie in diesem Augenblick für wahr hielt.

»Na gut. Wir sind also ausgelassen«, meinte Eustachius. »Nun, jetzt müssen wir nur jemanden finden, der uns die Tür aufmacht. Während wir Quatsch machen und ausgelassen sind, müssen wir so viel wie möglich über dieses Schloss herausfinden.«

Glücklicherweise öffnete sich genau in diesem Moment die Tür, das Riesenkindermädchen kam geschäftig herein und verkündete: »So, meine Püppchen. Habt ihr Lust, nach draußen zu kommen und zuzusehen, wie der König mit seinem ganzen Hofstaat zur Jagd aufbricht? Es ist so ein schöner Anblick!«

Sie verloren keine Zeit, rannten an ihr vorbei und stiegen die erste Treppe hinab, zu der sie kamen. Der Lärm von bellenden Hunden, blasenden Hörnern und Riesenstimmen leitete sie und so hatten sie schon nach wenigen Minuten den Schlosshof erreicht. Die Riesen waren alle zu Fuß, denn in diesem Teil der Welt gibt es keine Riesenpferde und so wird die Riesenjagd zu Fuß abgehalten; wie auch die Hunde alle von normaler Größe waren.

Als Jill sah, dass es keine Pferde gab, war sie zuerst schrecklich enttäuscht, denn sie war sicher, dass die riesige fette Königin nie und nimmer zu Fuß hinter den Hunden herrennen würde, und sie durfte auf keinen Fall den ganzen Tag im Haus bleiben. Aber dann sah sie die Königin auf einer Art Sänfte, die auf den Schultern von sechs jungen Riesen ruhte. Die törichte Frau war ganz in Grün gekleidet und trug ein Horn an der Seite. Mit dem König zusammen waren es zwanzig oder dreißig Riesen, die sich zur Jagd versammelt hatten. Alle redeten und lachten so laut, dass man davon fast taub wurde; und weiter unten, auf Jills Höhe, wurde gebellt, Schwänze wurden gewedelt und geifernde Mäuler und Nasen wurden einem gegen die Hand gepresst.

Trauerpfützler wollte gerade beginnen, Ausgelassenheit und Verspieltheit zur Schau zu tragen – oder zumindest das, was er darunter verstand (was vielleicht alles verdorben hätte, wenn es bemerkt worden wäre) –, als Jill ihr ausgesprochen anziehendes, kindliches Lächeln aufsetzte, zu der Sänfte hinüberrannte und zur Königin hinaufrief:

»Oh bitte! Ihr geht doch nicht weg, oder? Ihr kommt doch zurück?«

»Ja, mein Liebes«, sagte die Königin. »Heute Abend bin ich wieder da.«

»Oh gut. Wie schön!«, rief Jill. »Und wir dürfen doch an dem Fest teilnehmen morgen, nicht wahr? Wir freuen uns so auf morgen Abend. Und es ist so herrlich hier. Und dürfen wir durch das ganze Schloss gehen und uns alles ansehen, während Ihr weg seid? Bitte sagt ja!«

Die Königin sagte ja, aber das Gelächter der Höflinge übertönte fast ihre Stimme.

9. Etwas Wichtiges wird entdeckt

Die anderen gaben später zu, dass Jill ihre Sache an diesem Tag sehr gut gemacht hatte. Sobald der König, die Königin und die übrige Jagdgesellschaft aufgebrochen waren, begann sie im ganzen Schloss herumzurennen und Fragen zu stellen, alles auf so unschuldige und kindliche Art, dass keiner sie verdächtigte geheime Pläne zu schmieden. Obwohl ihr Mund nie stillstand, konnte man eigentlich nicht sagen, sie hätte geredet; nein, sie plapperte und kicherte. Sie umschmeichelte alle – die Stallknechte, die Wärter, die Dienstmädchen, die Kammerzofen und die älteren Riesenlords, deren Jagdtage vorbei waren. Sie ließ sich von unzähligen Riesinnen küssen und betätscheln, von denen viele Mitleid mit ihr zu haben schienen und sie »armes kleines Ding« nannten, obwohl keine erklärte warum. Besonders freundete sie sich mit der Köchin an und entdeckte die wichtige Tatsache, dass es in der Spülküche eine Tür gab, die durch die äußere Mauer hinausführte, sodass man nicht über den Schlosshof und an dem großen Torwärterhaus vorbeimusste. In der Küche tat sie so, als wäre sie sehr gefräßig, und aß alle möglichen Reste, die ihr die Köchin und die Spülmädchen gerne überließen. Oben bei den Damen fragte sie, was sie zu dem großen Fest anziehen, wie lange sie aufbleiben und ob sie mit einem sehr, sehr kleinen Riesen tanzen dürfe. Und dann (wenn sie später daran dachte, wurde ihr ganz heiß) legte sie immer auf eine ganz und gar idiotische Art den Kopf auf die Seite (Erwachsene, seien es nun Riesen oder nicht, hielten das für sehr anziehend), schüttelte die Locken, zappelte herum und sagte: »Oh, ich wollte, es wäre schon morgen Abend! Ob die Zeit bis dahin wohl schnell vergehen wird?« Und alle Riesinnen sagten, sie sei ein süßer Schatz; und einige betupften sich die Augen mit riesigen Taschentüchern, als wollten sie gleich anfangen zu weinen.

»Sie sind so goldig in diesem Alter«, sagte eine Riesin zur anderen. »Es ist eigentlich schade ...»