Выбрать главу

Schließlich wurde die Decke so niedrig, dass sich Trauerpfützler und der Prinz den Kopf daran anstießen. Alle vier saßen ab und gingen neben den Pferden her. Der Weg war hier sehr uneben und man musste bei jedem Schritt genau aufpassen. Und nun bemerkte Jill, dass es immer dunkler wurde. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Die Gesichter der anderen sahen in dem grünlichen Dämmerlicht seltsam und gespenstisch aus. Dann stieß Jill plötzlich (ohne es zu wollen) einen Schrei aus. Das nächste Licht vor ihnen verlöschte. Dann ging auch die Lampe hinter ihnen aus. Und dann war es plötzlich stockdunkel.

»Mut, Freunde«, erklang die Stimme von Prinz Rilian. »Aslan ist unser guter Herr, ob wir nun am Leben bleiben oder sterben müssen.«

»Das stimmt, Herr«, sagte Trauerpfützler. »Und man darf nicht vergessen, dass es etwas Gutes hat, wenn man hier unten eingeschlossen ist: Man spart sich die Beerdigungskosten.«

Jill hielt den Mund. (Wenn man nicht will, dass die anderen merken, wie große Angst man hat, ist dies sehr vernünftig, denn es ist die Stimme, die einen verrät.)

»Wir können genauso gut weitergehen, anstatt hier stehen zu bleiben«, sagte Eustachius, und als Jill das Zittern in seiner Stimme hörte, wusste sie, wie klug es gewesen war, ihrer eigenen Stimme nicht zu trauen.

Trauerpfützler und Eustachius gingen voraus. Sie streckten die Arme vor sich um nicht gegen ein Hindernis zu rennen. Jill und der Prinz folgten mit den Pferden.

»Ist mit meinen Augen etwas nicht in Ordnung«, fragte viel später die Stimme von Eustachius, »oder sehe ich da oben einen Lichtfleck?«

Statt einer Antwort rief Trauerpfützler: »Halt! Hier geht es nicht mehr weiter. Aber ich spüre Erde und keinen Felsen. Was hast du gesagt, Eustachius?«

»Beim Löwen«, sagte der Prinz. »Eustachius hat Recht. Das ist eine Art ...«

»Aber es ist kein Tageslicht«, sagte Jill. »Es ist nur eine Art kaltes, blaues Licht.«

»Immerhin besser als gar keins«, meinte Eustachius. »Ist es möglich, da hinaufzukommen?«

»Es ist nicht genau über unseren Köpfen«, erklärte Trauerpfützler. »Es ist oben in dieser Wand, in die ich hineingerannt bin. Wie wäre es denn, Jill, wenn du auf meine Schultern klettern und versuchen würdest hinaufzukommen?«

15. Jill verschwindet

Trotz des entfernten Lichtflecks war es dort, wo sie standen, völlig dunkel. So konnten die anderen Jills Bemühungen, auf den Rücken des Moorwacklers zu klettern, lediglich hören und nicht sehen. Sie hörten ihn sagen: »Du brauchst mir nicht den Finger ins Auge und auch nicht den Fuß in den Mund zu stecken« und »Ja, so geht es besser« und »So, jetzt halte ich deine Beine fest, dann kannst du dich mit den Armen an der Wand abstützen«.

Dann schauten sie nach oben und sahen Jills Hände, die sich schwarz vor dem Lichtfleck abhoben.

»Was ist?«, riefen sie besorgt hinauf.

»Es ist ein Loch«, erklang Jills Stimme. »Ich könnte durchklettern, wenn ich ein bisschen höher hinaufkäme.«

»Was sieht man durch die Öffnung?«, wollte Eustachius wissen.

»Nicht viel«, antwortete Jill. »Trauerpfützler, lass meine Beine los, damit ich mich auf deine Schultern stellen kann, anstatt nur darauf zu sitzen. Ich kann mich am Rand der Öffnung festhalten.«

Die anderen hörten eine Bewegung und dann sah man, wie sich ihre Gestalt vor dem Dämmerlicht der Öffnung aufrichtete; tatsächlich sah man sie jetzt vom Kopf bis zur Taille.

»Alles in ...«, setzte Jill an, doch dann brach sie plötzlich ab und stieß einen Schrei aus; aber es war kein lauter Schrei. Es klang eher so, als hätte man ihr den Mund zugehalten oder ihr etwas hineingestopft. Danach schien sie zu rufen, so laut sie es vermochte, aber man konnte sie nicht verstehen. Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Der Lichtfleck war eine Sekunde lang oder zwei völlig verdeckt; und sie hörten Scharren und so etwas wie ein Handgemenge und dann keuchte der Moorwackler: »Rasch! Hilfe! Haltet ihre Beine fest! Jemand scheint an ihr zu ziehen! Da! Nein, hier! Zu spät!«

Die Öffnung und das hereinfallende kalte Licht waren wieder klar zu sehen. Jill war verschwunden.

»Jill! Jill!«, schrien die drei verzweifelt, doch Jill antwortete nicht.

»Warum, zum Teufel, hast du denn ihre Füße nicht festgehalten?«, fragte Eustachius.

»Ich weiß nicht, Eustachius«, stöhnte Trauerpfützler. »Ich bin zum Unglücksraben geboren – sollte mich nicht wundern. Es war mir vom Schicksal vorherbestimmt, die Schuld an Jills Tod zu tragen, so, wie es mir vorherbestimmt war, in Harfang von einem Sprechenden Hirsch zu essen. Das heißt natürlich nicht, dass ich selbst keine Schuld daran trage.«

»Keine größere Schande und kein größerer Kummer konnten uns treffen!«, rief der Prinz. »Wir haben eine mutige Dame in die Hand von Feinden geschickt, während wir in Sicherheit sind.«

»Malt es nicht zu schwarz, Prinz«, sagte Trauerpfützler. »Unsere einzige Sicherheit ist die, dass wir in diesem Loch verhungern werden.«

»Ich frage mich, ob ich wohl dünn genug bin, um ebenfalls durch die Öffnung zu kriechen«, meinte Eustachius.

Mit Jill war Folgendes geschehen. Als sie ihren Kopf durch das Loch steckte, stellte sie fest, dass sie wie aus einem Fenster in einem höheren Stockwerk von oben hinunterschaute und nicht wie bei einer Falltür von unten nach oben. Sie hatte so lange im Dunkeln zugebracht, dass ihre Augen zuerst nicht registrierten, was sie sahen; sie erkannte lediglich, dass sie nicht auf die helle und sonnige Welt hinunterschaute, nach der sie sich gesehnt hatte. Die Luft schien eiskalt zu sein und das Licht war fahl und bläulich. Außerdem hörte sie viele Geräusche und zahlreiche weiße Dinger flogen in der Luft umher. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie zu Trauerpfützler hinuntergerufen, sie wolle sich auf seine Schultern stellen.

Nachdem sie das getan hatte, konnte sie viel besser hören und sehen. Jetzt konnte sie zweierlei Geräusche unterscheiden: Ein rhythmisches Stampfen von vielen Füßen und daneben erklang Musik, die von vier Fiedeln, drei Flöten und einer Trommel herrührte. Jetzt konnte Jill auch erkennen, wo sie sich befand. Sie blickte durch ein Loch in einer steilen Böschung, die sich nach unten senkte und etwa fünf Meter unter ihr flach auslief. Alles war sehr weiß. Viele Gestalten bewegten sich hin und her. Dann schrie sie auf. Es waren schmucke kleine Faune und Dryaden mit wallendem und mit Blätterkränzen geschmücktem Haar. Einen Augenblick lang sah es so aus, als bewegten sich die Gestalten ganz ungeordnet; doch dann sah Jill, dass sie in Wirklichkeit einen Tanz aufführten – einen Tanz mit so vielen komplizierten Schritten und Figuren, dass man eine Weile brauchte um ihn zu verstehen. Dann wurde Jill schlagartig klar, dass das fahle, bläuliche Licht das Mondlicht war, und das weiße Zeug am Boden war Schnee. Natürlich! Über ihr, am dunklen, frostigen Himmel, standen die Sterne und blickten herab. Und die hohen schwarzen Dinger hinter den Tänzern waren Bäume. Sie hatten also schließlich und endlich nicht nur zur Oberwelt zurückgefunden, sondern sie befanden sich auch noch im Herzen Narnias. Jill hatte das Gefühl, sie müsse vor Freude ohnmächtig werden; und die Musik – die wilde Musik, ungeheuer süß und doch ein ganz kleines bißchen unheimlich und erfüllt von einem guten Zauber, wie das Geklimpere der Hexe von bösem Zauber erfüllt gewesen war – verstärkte dieses Gefühl noch.

Es nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch, all dies zu beschreiben, aber natürlich dauerte es nur einen Augenblick, es aufzunehmen. Jill drehte sich um und wollte den anderen zurufen: »Alles in Ordnung. Wir sind draußen, wir haben es geschafft!« Aber der Grund, warum sie nur bis »alles in« kam, war der: Eine Reihe von Zwergen in ihren besten Kleidern (die meisten von ihnen trugen scharlachrote Gewänder mit pelzgefütterten Kapuzen und goldenen Quasten und große, pelzbesetzte Überziehstiefel) umkreisten die Tänzer. Dabei warfen sie unentwegt Schneebälle. (Das waren die weißen Dinger, die Jill durch die Luft hatte fliegen sehen.) Jedoch warfen sie die Schneebälle nicht nach den Tänzern, wie alberne Jungen dies vielleicht getan hätten. Nein, sie warfen sie ganz und gar auf die Musik abgestimmt und so perfekt gezielt zwischen den Tänzern hindurch, dass keiner der Tänzer getroffen wurde, wenn alle im richtigen Moment an der richtigen Stelle waren. Man nennt diesen Tanz den großen Schneetanz und er findet jedes Jahr in der ersten Mondnacht nach dem ersten Schnee in Narnia statt. Natürlich ist es nicht nur ein Tanz, sondern auch ein Spiel, denn immer wieder einmal irrt sich einer der Tänzer ein ganz klein wenig und dann bekommt er einen Schneeball ins Gesicht und alle lachen. Aber eine gute Mannschaft von Tänzern, Zwergen und Musikern schafft es stundenlang, ohne dass einer getroffen wird. In schönen Nächten, wenn ihnen Kälte und Trommelschläge, Eulenrufe und Mondlicht in ihr wildes Waldblut gedrungen sind und es noch wilder gemacht haben, tanzen sie bis zum Morgengrauen. Ich wollte, ihr könntet es selbst einmal sehen.