In unserer Welt gibt es niemand, der sich bei dieser Art von Arbeit mit den Zwergen und den Sprechenden Maulwürfen von Narnia messen könnte, aber natürlich halten die Zwerge und die Maulwürfe so etwas nicht für Arbeit. Sie graben furchtbar gerne. Es dauerte deshalb nicht sehr lange, bis sie eine große, schwarze Öffnung in den Hügel gegraben hatten. Und nun trat aus der Dunkelheit zuerst die langbeinige, spitzhütige Gestalt des Moorwacklers und dann folgte Rilian, der Prinz selbst, mit den beiden Pferden. Hätte man sie nicht schon erwartet, wäre ihr Auftauchen ziemlich Furcht erregend gewesen.
Als Trauerpfützler herauskam, erschallten aus allen Richtungen Rufe: »Oh, es ist ein Wackler – ach du liebe Güte, es ist der alte Trauerpfützler – der alte Trauerpfützler aus den östlichen Sümpfen – was hast du nur getrieben, Trauerpfützler? – Suchtrupps sind nach dir ausgesandt worden – Lord Trumpkin hat Aufrufe aushängen lassen – man hat eine Belohnung ausgesetzt!« Doch innerhalb einer Sekunde verstummten alle und das Geschrei wich einer Totenstille, genauso wie in einem lauten Schlafsaal alles verstummt, wenn der Schulleiter die Tür öffnet. Denn jetzt erblickten sie den Prinzen.
Keiner bezweifelte auch nur eine Sekunde lang, dass er es war. Viele von den Tieren, den Dryaden, Zwergen und Faunen erinnerten sich noch an ihn, aus den Tagen vor seiner Verzauberung. Es gab auch ein paar Alte unter ihnen, die noch wussten, wie sein Vater, König Kaspian, als junger Mann ausgesehen hatte, und sie entdeckten die Ähnlichkeit. Aber ich glaube, sie hätten ihn so oder so erkannt. Zwar war er blass von der langen Gefangenschaft in den Landen der Tiefe, war schwarz gekleidet, staubig, ungepflegt und müde, doch in seinem Gesicht und in seiner Haltung war etwas, was keiner übersehen konnte. Dieses Besondere zeichnet alle wahren Könige von Narnia aus, die durch den Willen Aslans regieren und in Feeneden auf dem Thron König Peters des Prächtigen sitzen. Sofort entblößte jeder das Haupt und beugte das Knie; und einen Augenblick später gab es ein Jubelgeschrei, Freudensprünge und ein Händeschütteln (und alle küssten und umarmten einander), dass Jill die Tränen in die Augen stiegen. All die Mühen und Gefahren bei ihrer Suche nach dem Prinzen hatten sich gelohnt.
»Mit Verlaub, Eure Hoheit«, sagte der Älteste der Zwerge, »in jener Höhle dort wird ein bescheidenes Mahl angerichtet, das nach dem Schneetanz serviert werden sollte ...«
»Wohlan, Vater«, erwiderte der Prinz. »Noch niemals hat ein Prinz, ein Ritter, ein Herr oder ein Bär einen solchen Appetit gehabt wie wir vier Wanderer zu dieser nächtlichen Stunde.«
Die ganze Gruppe setzte sich in Bewegung und Jill hörte, wie Trauerpfützler zu einigen, die ihn mit Fragen bestürmten, sagte: »Nein, nein. Meine Geschichte kann warten. Mir ist nichts Besonderes zugestoßen. Ich will die hiesigen Neuigkeiten hören. Versucht nicht, mir die Katastrophen nach und nach beizubringen, ich erfahre lieber gleich alles auf einmal. Hat der König Schiffbruch erlitten? Gab es Waldbrände? Gibt es Krieg an der Grenze nach Kalormen? Sicher sind auch ein paar Drachen eingefallen, was?« Und alle lachten laut und sagten: »Ist das nicht typisch Moorwackler?«
Die beiden Kinder brachen vor Müdigkeit und Hunger fast zusammen, aber die mollige Wärme in der Höhle und der Anblick der Höhle selbst, wo der Feuerschein an den Wänden und den Schränken, auf den Tassen, den Untertassen, den Tellern und auf dem glatten Steinfußboden tanzte wie in einer Bauernküche, belebten sie ein wenig. Trotzdem schliefen sie schon ein, noch bevor sie mit dem Essen fertig waren. Und während sie schliefen, besprach der Prinz Rilian das hinter ihm liegende Abenteuer mit den älteren und weiseren Tieren und Zwergen. Und jetzt begriffen alle, wie es zugegangen war: dass eine böse Hexe (ohne Zweifel von der gleichen Art wie die weiße Hexe, die vor langer Zeit den großen Winter über Narnia gebracht hatte) das Ganze geplant hatte, indem sie erst Rilians Mutter getötet und ihn dann verzaubert hatte. Und sie erfuhren, wie diese Hexe sich bis nach Narnia vorgegraben hatte, um hier einzufallen und das Land durch Rilian zu regieren; und dass er nie daran gedacht hätte, dass ebendieses Land, in dem sie ihn als König einsetzen wollte (dem Namen nach als König, doch in Wirklichkeit als ihr Sklave), sein eigenes Land war. Und durch die Rolle der Kinder in der Geschichte erfuhren sie, dass diese Hexe mit den gefährlichen Riesen von Harfang unter einer Decke steckte.
»Und die Moral von der Geschichte, Eure Hoheit«, sagte der Zwergenälteste, »ist, dass diese Hexen aus dem Norden immer das Gleiche bezwecken, nur gehen sie in jedem Zeitalter nach einem anderen Plan vor um es zu erreichen.«
16. Alle Wunden werden geheilt
Als Jill am nächsten Morgen in der Höhle erwachte, dachte sie einen entsetzlichen Augenblick lang, sie befände sich wieder in der Unterwelt. Aber als sie merkte, dass sie auf einem Bett aus Heidekraut lag, zugedeckt mit einem Pelzmantel, und als sie ein munter knisterndes (weil eben erst angefachtes) Feuer in einem steinernen Kamin sah und etwas weiter entfernt das Licht der Morgensonne, das durch die Höhlenöffnung hereinfiel, da erinnerte sie sich wieder an alles. Mit allen anderen in der Höhle zusammengepfercht, hatten sie ein herrliches nächtliches Mahl genossen, obwohl sie noch vor dem Ende des Mahls furchtbar müde geworden waren. Sie erinnerte sich vage an Zwerge, die sich mit Bratpfannen um das Feuer gedrängt hatten, die fast größer waren als sie selbst, an das Brutzeln und den köstlichen Duft gebratener Würstchen und an mehr und immer noch mehr Würstchen. Und es waren auch keine von diesen schrecklichen Würstchen, die zur Hälfte aus Mehl und Sojabohnen bestehen, sondern sie waren durch und durch aus Fleisch, kräftig gewürzt, prall, heiß, aufgeplatzt und ein ganz klein wenig verbrannt. Und dazu gab es große Becher mit schaumiger Schokolade, gebratene Kartoffeln und Kastanien, Bratäpfel, ausgehöhlt und mit Rosinen gefüllt, und dann, zur Erfrischung nach all den heißen Sachen, Eiskrem. Jill setzte sich auf und schaute um sich. Trauerpfützler und Eustachius lagen nicht weit von ihr und schliefen noch.
»He, ihr zwei!«, rief Jill mit lauter Stimme. »Wollt ihr nicht endlich aufstehen?«
»Ruh, Ruh!«, sagte eine dunkle verschlafene Stimme über ihr. »Zeit zum Schlafengehen. Mach auch du die Augen zu. Tu-huu!«
»Oje, ich glaube fast«, sagte Jill und sah zu einem flaumigen weißen Federbüschel hinauf, das oben auf einer Standuhr in einer Ecke der Höhle saß. »Ich glaube fast, das ist Glimmfeder!«
»So ist es, du!«, gurrte die Eule. Dabei schob sie ihren Kopf unter dem Flügel hervor und öffnete ein Auge. »Ich traf etwa um zwei Uhr mit einer Nachricht für den Prinzen ein. Die Eichhörnchen hatten uns die gute Neuigkeit übermittelt. Eine Nachricht für den Prinzen. Er ist weg. Ihr sollt nachkommen. Einen schönen Tag noch ...« Und damit verschwand der Kopf wieder.
Da keine Hoffnung zu bestehen schien, von der Eule noch mehr zu erfahren, stand Jill auf und begann sich nach einer Waschgelegenheit und einem Frühstück umzuschauen. Doch gleich kam ein kleiner Faun in die Höhle getrottet. Seine ziegenartigen Füße machten auf dem Steinfußboden laut klick-klack.
»Ah! Du bist endlich aufgewacht, Tochter Evas!«, sagte er. »Vielleicht solltest du den Sohn Adams aufwecken. Ihr müsst in ein paar Minuten aufbrechen, zwei Zentauren haben freundlicherweise angeboten euch auf ihrem Rücken hinunter nach Feeneden zu tragen.« Er fügte mit leiserer Stimme hinzu: »Sicher ist dir klar, dass es eine ganz besondere und nie da gewesene Ehre ist, auf einem Zentauren zu reiten. Ihr dürft sie nicht warten lassen.«
»Wo ist der Prinz?«, fragten Trauerpfützler und Eustachius als Erstes, nachdem man sie aufgeweckt hatte.