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»Ach du liebe Güte!«, entfuhr es Jill. »Also stimmt es.« Aber im nächsten Moment fügte sie hinzu: »Ob sie wohl freundlich sind?«, denn gerade hatte sie am Rand der Gruppe einen oder zwei Riesen und ein paar Leute entdeckt, die sie nicht benennen konnte.

In diesem Augenblick fielen ihr schlagartig Aslan und die Zeichen wieder ein. Die hatte sie in der letzten halben Stunde völlig vergessen.

»Eustachius!«, flüsterte sie und packte seinen Arm. »Eustachius, rasch! Siehst du jemand, den du kennst?«

»Aha, du bist also auch wieder da!«, sagte Eustachius unfreundlich (und das nicht ohne Grund). »Halte gefälligst den Mund, ja? Ich will zuhören!«

»Sei kein Idiot!«, erwiderte Jill. »Wir dürfen keine Sekunde verlieren. Siehst du hier einen alten Freund? Dann musst du sofort hingehen und ihn begrüßen.«

»Wovon sprichst du eigentlich?«, wollte Eustachius wissen.

»Aslan – der Löwe – hat es mir aufgetragen!«, rief Jill verzweifelt. »Ich habe ihn getroffen!«

»Tatsächlich? Was genau hat er gesagt?«

»Er sagte, sobald du deinen Fuß auf Narnia setzt, würdest du einen alten Freund wieder sehen und den müsstest du sofort begrüßen.«

»Nun, hier ist niemand, den ich jemals zuvor gesehen hätte, und außerdem weiß ich gar nicht, ob dies überhaupt Narnia ist.«

»Ich dachte, du wärst schon mal hier gewesen«, sagte Jill.

»Dann hast du eben falsch gedacht.«

»Na so was! Du hast mir doch erzählt

»Sei um Himmels willen still und lass uns hören, was sie sagen!«

Der König sprach zu dem Zwerg, aber Jill konnte nicht verstehen, was er sagte. Soweit sie erkennen konnte, gab der Zwerg keine Antwort, aber er nickte häufig und wackelte mehrmals mit dem Kopf. Dann erhob der König die Stimme und sprach zu seiner ganzen Gefolgschaft: aber seine Stimme war so schwach und brüchig, dass Jill sehr wenig von seiner Ansprache verstand – vor allem, da sie nur von Leuten und Orten handelte, von denen sie noch nie gehört hatte.

Als die Rede zu Ende war, beugte sich der König nieder und küsste den Zwerg auf beide Wangen. Dann richtete er sich auf, erhob die rechte Hand, wie um seine Gefolgschaft zu segnen, und ging langsam, mit unsicheren Schritten den Landungssteg hinauf und an Bord. Die Höflinge schienen über seinen Aufbruch sehr gerührt zu sein. Taschentücher wurden hervorgeholt und von allen Seiten hörte man es schluchzen. Vom Achterdeck erschallten Trompeten und das Schiff legte vom Landungssteg ab und entfernte sich vom Kai. (Es wurde von einem Ruderboot gezogen, aber das sah Jill nicht.)

»Nun ...«, begann Eustachius; weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick glitt ein großer, weißer Gegenstand – Jill hielt ihn einen Augenblick lang für einen Papierdrachen – durch die Luft und landete zu seinen Füßen. Es war eine weiße Eule, aber sie war so groß wie ein ausgewachsener Zwerg.

Sie blinzelte und kniff die Augen zusammen, als sei sie kurzsichtig, legte den Kopf ein wenig zur Seite und sagte mit leiser, flötender Stimme:

»Tu-huu, tu-huu! Wer seid ihr, du und du?«

»Mein Name ist Eustachius und das ist Jill«, antwortete Eustachius. »Könntest du uns vielleicht sagen, wo wir hier sind?«

»Im Lande Narnia. Dort seht ihr Feeneden, das Schloss des Königs.«

»War das der König, der eben an Bord des Schiffes ging?«

»Ja du, ja du«, sagte die Eule traurig und schüttelte den großen Kopf. »Aber wer seid ihr? Etwas Geheimnisvolles umgibt euch. Ich habe euch kommen sehen: Ihr seid geflogen. Alle anderen waren damit beschäftigt, den König zu verabschieden, und so bemerkte euch keiner. Aber ich habe es gesehen: Ihr seid geflogen!«

»Wir wurden von Aslan hierher geschickt«, sagte Eustachius mit leiser Stimme.

»Tu-huu, tu-huu!«, machte die Eule und sträubte die Federn. »Was sagst du? Das ist fast zu viel für mich, so früh am Abend. Ich komme erst richtig zu mir, wenn die Sonne untergegangen ist.«

»Und wir haben den Auftrag, den verschollenen Prinzen zu finden«, erklärte Jill, die ungeduldig darauf gewartet hatte, auch an der Unterhaltung teilnehmen zu können.

»Das höre ich zum ersten Mal«, meinte Eustachius. »Welchen Prinzen?«

»Ihr solltet mitkommen und sofort mit dem Regenten sprechen«, sagte die Eule. »Der da drüben in dem Eselskarren ist es: Trumpkin der Zwerg.« Die Eule drehte sich um und ging voraus. Dabei brummte sie vor sich hin: »Huu! Tu-huu! Ich wollt', ich hätt' meine Ruh'! Ich kann noch gar nicht klar denken. Es ist noch zu früh.«

»Wie heißt der König?«, fragte Eustachius.

»Kaspian der Zehnte«, antwortete die Eule. Und Jill fragte sich, warum Eustachius wohl plötzlich stehen blieb und sich verfärbte. So elend hatte er noch nie ausgesehen. Aber bevor sie Zeit hatte, ihn zu fragen, waren sie bei dem Zwerg angekommen, der gerade die Zügel seines Esels aufnahm und sich bereitmachte zum Schloss zurückzufahren. Die Schar der Höflinge hatte sich aufgelöst und sie strebten jetzt, einzeln, zu zweit oder in Grüppchen, alle in die gleiche Richtung, so wie Leute, die von einem Fußballspiel oder einem Rennen kommen.

»Tu-huu! Ahem! Mein Herr!«, sagte die Eule, beugte sich ein wenig tiefer und hielt den Schnabel in die Nähe des Zwergenohrs.

»He! Was ist das?«, fragte der Zwerg.

»Zwei Fremde, Herr«, antwortete die Eule.

»Zwei Hände? Was meinst du damit?«, fragte der Zwerg. »Ich sehe zwei ausgesprochen schmutzige Menschenkinder. Was wollen sie?«

»Mein Name ist Jill«, sagte Jill und trat vor. Sie war begierig den wichtigen Auftrag zu erklären, der sie hierher geführt hatte.

»Das Mädchen heißt Jill!«, rief die Eule, so laut sie konnte.

»Wie?«, fragte der Zwerg. »Die Mädchen sind wild? Davon glaube ich kein Wort! Welche Mädchen? Und warum sind sie wild?«

»Nur ein Mädchen, Herr«, antwortete die Eule. »Ihr Name ist Jill.«

»Sprich lauter, sprich lauter!«, forderte der Zwerg. »Steh nicht da und brumme und zwitschere in mein Ohr. Wer ist wild?«

»Niemand ist wild!«, tutete die Eule.

»Wer?«

»NIEMAND!«

»Schon gut, schon gut, du brauchst nicht so zu schreien. So taub bin ich auch wieder nicht. Was soll das bedeuten, dass du hierher kommst um mir zu erklären, niemand sei wild? Warum sollte denn überhaupt jemand wild geworden sein?«

»Vielleicht sollte man ihm lieber sagen, dass ich Eustachius heiße«, schlug Eustachius vor.

»Der Junge heißt Eustachius, Herr«, flötete die Eule so laut wie möglich.

»Er ist ein Nichtsnutz?«, antwortete der Zwerg gereizt. »Das glaube ich gerne. Ist das ein Grund, ihn zum Hof zu bringen? Wie?«

»Nicht Nichtsnutz«, sagte die Eule. »EUSTACHIUS.«

»Er ist zu gar nichts nutz, was? Ich weiß ganz und gar nicht, worüber du sprichst. Ich will dir etwas sagen, Meister Glimmfeder: Als ich ein junger Zwerg war, da gab es Sprechende Tiere hier im Land, die wirklich sprechen konnten. Damals gab es kein solches Gemurmle und Gestammle und Geflüstere. Das hätte man keine Sekunde lang geduldet. Keine Sekunde lang, mein Lieber. Urnus, mein Hörrohr bitte

Ein kleiner Faun, der die ganze Zeit über still neben dem Zwerg gestanden hatte, übergab ihm ein silbernes Hörrohr. Es sah so aus wie das Musikinstrument, das man Schlangenhorn nennt, und das Rohr wand sich ganz um den Zwergenhals herum. Während der Zwerg es anlegte, flüsterte die Eule namens Glimmfeder den Kindern rasch zu: »Ich bin jetzt ein wenig klarer im Kopf. Sagt nichts über den verschollenen Prinzen! Ich erkläre es euch später. Es hätte keinen Zweck, tu-huu! Oh, hätt' ich nur meine Ruh'!«

»So«, meinte der Zwerg. »Wenn du etwas Vernünftiges zu sagen hast, Meister Glimmfeder, dann versuch es jetzt zu sagen. Atme tief ein und rede nicht zu schnell.«

Mit Hilfe der Kinder (und obwohl der Zwerg einen Hustenanfall bekam) erklärte Glimmfeder, die Fremden seien von Aslan geschickt worden um den Hof Narnias zu besuchen. Der Zwerg schaute rasch zu ihnen auf, mit einem neuen Ausdruck in den Augen.