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»Ach du liebes bisschen!«, rief Eustachius aus. »Ihr wollt doch wohl nicht sagen, dass Trumpkin ein Verräter ist? Ich habe damals auf See viel von ihm gehört. Kaspian – ich meine der König – vertraute ihm völlig.«

»O nein«, erklärte eine Stimme. »Trumpkin ist kein Verräter. Doch mehr als dreißig Kämpfer – Ritter, Zentauren, gute Riesen und dergleichen – haben sich zu irgendeiner Zeit aufgemacht den verschollenen Prinzen zu suchen und keiner von ihnen ist jemals zurückgekehrt. Und zuletzt sagte der König, er könne es nicht zulassen, dass all die mutigen Narnianen auf der Suche nach seinem Sohn das Leben verlören. Und jetzt darf keiner mehr nach ihm suchen.«

»Aber uns würde er doch sicher ziehen lassen«, entgegnete Eustachius. »Wenn er wüsste, wer ich bin und wer mich geschickt hat.«

»Uns beide!«, unterbrach Jill.

»Ja«, sagte Glimmfeder. »Das würde er wahrscheinlich tun. Aber der König ist fort. Und Trumpkin würde sich an die Vorschriften halten. Er ist so treu wie Gold, aber leider auch so taub wie ein Stück Holz und sehr erregbar. Ihr könntet ihm nie begreiflich machen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, eine Ausnahme von der Regel zu machen.«

»Man sollte annehmen, dass er uns Gehör schenkte, denn wir sind ja Eulen und jedermann weiß, wie weise Eulen sind«, tutete jemand anders. »Aber er ist jetzt so alt, dass er lediglich sagen würde: ›Du bist nur ein kleines Hühnchen. Ich erinnere mich an dich, als du noch ein Ei warst. Komm bloß nicht an und versuche mich zu belehren. So wahr ich Tru-huuu-humpkin heiße.«

Die Eule konnte Trumpinks Stimme gut nachmachen und von überall erschallte eulisches Gelächter. Die Kinder begannen zu begreifen, dass die Narnianen für Trumpkin die gleichen Gefühle hegten wie Schüler für einen kauzigen Lehrer, vor dem jeder ein bisschen Angst hat, über den sich alle ein wenig lustig machen und gegen den eigentlich niemand etwas hat.

»Wie lange wird der König weg sein?«, fragte Eustachius.

»Wenn wir das nur wüssten!«, antwortete Glimmfeder. »Wisst, in letzter Zeit geht das Gerücht um, Aslan sei auf den Inseln gesehen worden – es war, glaube ich, in Terebinthia. Und der König sagte, er wolle vor seinem Tod noch einen Versuch machen, Aslan von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten und ihn um Rat zu bitten, wer nach ihm König sein solle. Aber wir befürchten alle, dass er – wenn er Aslan in Terebinthia nicht trifft – weiter nach Osten reisen wird: zu den Sieben Inseln, den Einsamen Inseln und immer weiter. Er spricht nicht darüber, aber wir alle wissen, dass er diese Reise zum Ende der Welt nie vergessen hat. Ich bin sicher, dass er im Innersten seines Herzens den Wunsch hegt, wieder dorthin zu gelangen.«

»Dann hat es also keinen Zweck, zu warten, bis er zurückkommt?«, fragte Jill.

»Nein, das hat keinen Zweck«, antwortete die Eule. »Ach, was für ein schreckliches Durcheinander! Wenn ihr ihn doch nur erkannt und mit ihm gesprochen hättet! Er hätte sich um alles gekümmert – vermutlich hätte er euch für eure Suche nach dem Prinzen ein Heer mitgegeben!«

Jill hielt den Mund und hoffte, Eustachius werde kameradschaftlich genug sein den Eulen nicht zu sagen, wieso es nicht dazu gekommen war. Das war er auch, oder zumindest fast. Er brummte nur vor sich hin: »Also meine Schuld war es nicht«, bevor er laut sagte:

»Na gut. Wir müssen es eben auch so schaffen. Aber da ist noch etwas, was ich wissen möchte. Wenn dieses Eulenparlament, wie ihr es nennt, so ohne Fehl und Tadel ist und nichts Unehrenhaftes dahinter steckt, warum muss es dann so geheim gehalten werden, dass man sich mitten in der Nacht in einer Ruine trifft?«

»Tu-huu, tu-huu!«, flöteten einige Eulen. »Wo sollen wir uns denn sonst treffen? Und wann sollte man so eine Versammlung abhalten, wenn nicht bei Nacht?«

»Wisst ihr«, erklärte Glimmfeder. »Die meisten Geschöpfe in Narnia haben so unnatürliche Gewohnheiten. Sie erledigen alles bei Tag, in strahlendem Sonnenschein – puh! –, wenn jedermann eigentlich schlafen sollte. Und deshalb sind sie nachts derart blind und dumm, dass nichts mit ihnen anzufangen ist. Darum haben wir Eulen uns angewöhnt, uns zu vernünftigen Zeiten und allein zu treffen, wenn wir etwas besprechen wollen.«

»Ich verstehe«, sagte Eustachius. »Und jetzt wollen wir fortfahren. Erzählt uns, was es mit dem verschollenen Prinzen auf sich hat.«

Nicht Glimmfeder, sondern eine alte Eule erzählte die Geschichte.

Vor etwa zehn Jahren, als Rilian, der Sohn Kaspians, ein sehr junger Ritter war, ritt er an einem Maimorgen mit seiner Mutter, der Königin, in die nördlichen Gebiete von Narnia. Sie waren von vielen Kavalieren und Damen begleitet und alle trugen einen Kranz aus frischen Blättern auf dem Haupt und ein Horn an der Seite. Hunde hatten sie keine dabei, denn sie wollten nicht jagen, sondern den Maien feiern.

Um die Mittagsstunde kamen sie zu einer schönen Lichtung, wo eine Quelle aus der Erde entsprang. Dort stiegen sie vom Pferd, aßen, tranken und waren fröhlich. Nach einer Weile wurde die Königin müde und man breitete auf der grasbewachsenen Böschung Umhänge für sie aus. Prinz Rilian und die anderen gingen etwas abseits, damit die Königin von ihrem Reden und Lachen nicht gestört würde.

Bald darauf kam eine große Schlange aus dem Wald und biss die Königin in die Hand. Alle hörten ihren Aufschrei und rannten zu ihr. Prinz Rilian erreichte sie als Erster. Er sah, wie sich die Schlange davonschlängelte, und er verfolgte sie mit gezogenem Schwert. Sie war riesengroß und schimmerte so giftgrün, dass sie leicht zu sehen war; aber sie glitt in das dichte Unterholz, wohin er ihr nicht folgen konnte. So kehrte er zu seiner Mutter zurück, die von den anderen umsorgt wurde. Doch alle Sorge war vergebens, ein Blick auf ihr Gesicht genügte Rilian um zu erkennen, dass ihr kein Arzt der Welt mehr helfen konnte. Solange noch Leben in ihr war, schien sie sich große Mühe zu geben, ihm etwas zu sagen. Aber sie konnte nicht mehr deutlich sprechen, und was immer sie ihm hatte mitteilen wollen – sie starb, ohne ihm ihre Nachricht zu übermitteln. Dies geschah kaum zehn Minuten nach ihrem Aufschrei.

Man trug die tote Königin nach Feeneden zurück und sie wurde von Rilian, dem König und allen Bewohnern Narnias tief betrauert. Sie war eine gute Herrscherin gewesen, weise, gütig und von frohem Wesen. König Kaspian hatte sie vom östlichen Ende der Welt mitgebracht und es wurde gesagt, Sternenblut flösse in ihren Adern.

Den Prinzen traf der Tod seiner Mutter natürlich sehr hart. Nach ihrem Tod ritt er ständig in den nördlichen Sümpfen Narnias umher und spürte der Giftschlange nach, um sie zu töten und Rache zu nehmen. Obwohl der Prinz immer mit müdem und verwirrtem Gesicht zurückkehrte, verlor doch niemand viele Worte darüber. Aber etwa einen Monat nach dem Tod seiner Mutter meinten manche, er habe sich verändert. Er hatte den Blick eines Mannes, der Visionen gehabt hat, und obwohl er den ganzen Tag unterwegs war, sah sein Pferd nicht so aus, als wäre es hart geritten worden. Sein bester Freund unter den alten Höflingen war Lord Drinian, der Kapitän des Schiffes, mit dem sein Vater die große Reise zum östlichen Teil der Welt unternommen hatte.

Eines Abends sagte Drinian zum Prinzen: »Hoheit, Ihr müsst Eure Suche nach der Schlange aufgeben. An einem Tier ohne Verstand kann man nicht wie an einem Mann Rache nehmen. Ihr verschwendet Eure Kraft vergebens.« Der Prinz antwortete: »Ich habe in den letzten sieben Tagen die Schlange fast vergessen.« Drinian fragte ihn, warum er dann immer wieder in die nördlichen Wälder reite. »Lord Drinian«, erklärte der Prinz, »dort habe ich das herrlichste Geschöpf gesehen, das je erschaffen wurde.« – »Edler Prinz«, sagte Drinian, »lasst mich morgen mit Euch reiten, damit ich dieses schöne Geschöpf auch sehe.« – »Ja, so soll es geschehen«, antwortete Rilian.

Früh am nächsten Morgen sattelten sie ihre Pferde und ritten in schnellem Galopp zu den Wäldern im Norden, wo sie an der Quelle absaßen, an der die Königin den Tod gefunden hatte. Drinian fand es seltsam, dass der Prinz ausgerechnet diesen Platz wählte um zu verweilen. Dort rasteten sie bis zum hohen Mittag: Und da schaute Drinian auf und erblickte die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sie stand nördlich der Quelle, sagte kein Wort und machte dem Prinzen mit der Hand ein Zeichen, als wolle sie ihn zu sich bitten. Sie war groß und kräftig und sie trug ein dünnes leuchtendes, giftgrünes Gewand. Und der Prinz starrte sie an wie ein Mann, der den Verstand verloren hat. Doch plötzlich war die Frau verschwunden, wohin wusste Drinian nicht, und die beiden kehrten nach Feeneden zurück. Drinian spürte im Innersten, dass dieses leuchtende grüne Geschöpf böse war.