Die königlichen Schreiber, ihre Familienangehörigen und all diejenigen, die sich Empfänge solcher Art nie entgehen ließen, tranken, aßen und plauderten. Auch Ramses kostete den kräftigen Oasenwein und das starke Bier. Während er seine Schale leerte, bemerkte er auf einer Bank im Schutze einer Laube ein junges Paar.
Sein Bruder Chenar und Iset, die Schöne.
Mit großen Schritten ging Ramses auf die beiden zu.
»Glaubst du nicht, meine Schöne, es sei notwendig, eine endgültige Wahl zu treffen?«
Die junge Frau erschrak, doch Chenar bewahrte die Ruhe.
»Du bist recht unhöflich, geliebter Bruder. Habe ich etwa nicht das Recht, mich mit einer Dame von Stand zu unterhalten?«
»Ist sie das wirklich?«
»Werde nicht ausfallend.«
Mit glühenden Wangen lief Iset, die Schöne, davon und überließ die Brüder ihrem Wortgefecht.
»Du wirst unerträglich, Ramses, dein Platz ist nicht mehr hier.«
»Bin ich nicht königlicher Schreiber?«
»Jetzt prahlst du auch noch damit! Ohne meine Zustimmung wirst du keinen Posten erhalten.«
»Dein Freund Sary hat es mir bereits angedeutet.«
»Mein Freund? Doch wohl eher deiner! Er hat nur versucht, dir einen weiteren Fehler zu ersparen.«
»Stell dieser Frau nicht weiter nach!«
»Du wagst es, mir zu drohen, mir?!«
»Wenn ich in deinen Augen ein Nichts bin, was habe ich dann noch zu verlieren?«
Chenar ließ ab vom Kampf, seine Stimme nahm einen öligen Ton an.
»Du hast recht. Es ist gut, wenn eine Frau treu ist. Lassen wir sie entscheiden, einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Zerstreu dich, da du nun schon einmal hier bist.«
»Wann wird der König das Wort ergreifen?«
»Ach, du weißt es nicht? Der Pharao residiert augenblicklich im Norden. Er hat mich gebeten, an seiner Statt die königlichen Schreiber zu beglückwünschen. Dein Erfolg verdient die ausgesetzte Belohnung: eine Jagd in der Wüste.«
Chenar entfernte sich.
Verstimmt kippte Ramses eine Schale Wein hinunter. So würde er also seinen Vater nicht mehr wiedersehen. Chenar hatte ihn herausgefordert, um ihn noch tiefer zu demütigen. Der Prinz trank mehr, als vernünftig war, und verzichtete darauf, sich den Grüppchen zuzugesellen, deren nichtiges Gerede ihn langweilte. In ihm war Groll. Da stieß er mit einem auffallend eleganten Schreiber zusammen.
»Ramses! Welch eine Freude, dich wiederzusehen!«
»Acha! Du bist noch in Memphis?«
»Ich reise übermorgen in den Norden. Weißt du das Neueste denn noch nicht? Der Trojanische Krieg nimmt eine entscheidende Wendung. Die griechischen Barbaren haben es sich nicht versagt, Priamos’ Hauptstadt in ihre Gewalt zu bringen, und man munkelt, Achill habe Hektor getötet. Meine erste Mission besteht darin, an der Seite von erfahrenen Gesandten Genaueres über diese Sachlage einzuholen. Und du? Wirst du bald mit einer großen Verwaltungsaufgabe betraut werden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Deine Glanzleistung von neulich hat Lob und Neid geweckt.«
»Daran werde ich mich gewöhnen.«
»Drängt es dich nicht, in ferne Länder zu gehen? Ach, verzeih! Ich vergaß deine bevorstehende Heirat. Ich werde nicht mitfeiern können, aber in Gedanken von Herzen bei dir sein.«
Ein Gesandter faßte Acha am Arm und nahm ihn zur Seite. Die Mission des angehenden Diplomaten hatte begonnen.
Ramses spürte, wie Trunkenheit ihn befiel. Er kam sich vor wie ein zerbrochenes Ruder, wie ein Gebäude, dessen Mauern ins Wanken gerieten. Wütend schleuderte er die Trinkschale von sich. Niemals mehr würde er sich so gehenlassen, das schwor er sich.
ZEHN
Im morgengrauen brachen die Jäger in großer Zahl zur westlichen Wüste auf. Ramses hatte seinen Hund Ameni anvertraut, der beschlossen hatte, dem Rätsel der fehlerhaften Tintensteine auf den Grund zu gehen. Im Laufe des Tages würde er all die für die Herstellung Verantwortlichen befragen, um dem Urheber dieser Schlamperei auf die Spur zu kommen.
Von seinem Tragsessel herab hatte Chenar den Aufbruch zur Jagd, an der er nicht teilnehmen würde, zelebriert, indem er die Götter anrief, diesen Jägern, die Wild zurückbringen sollten, ihre Gunst zu erweisen.
Ramses war einem ehemaligen Soldaten zugeteilt worden, der den leichten Jagdwagen lenkte. Er war glücklich, die Wüste wiederzusehen. Steinböcke, Kuh- und Elenantilopen, Leoparden, Löwen, Panther, Hirsche, Straußenvögel, Gazellen, Hyänen, Hasen, Füchse… eine bunte Tierwelt, die nur den ausgeklügelten Sturmangriff des Menschen fürchtete.
Nichts hatte der Jagdmeister dem Zufall überlassen, sorgfältig ausgebildete Hunde liefen hinter den Wagen her, die Wegzehrung und frisches Wasser in Tonkrügen mitführten. Selbst Zelte hatte man mitgenommen, für den Fall, daß die Verfolgung einer Beute sich bis in die Nacht hinziehen sollte. Die Jäger waren mit Fangseilen, Bogen und einer Menge Pfeile ausgerüstet.
»Was ist dir lieber«, fragte der Wagenlenker, »töten oder einlangen?«
»Einfangen«, entgegnete Ramses.
»Dann wirst du das Seil nehmen und ich den Bogen. Töten ist eine Notwendigkeit fürs Überleben. Keiner kommt darum herum. Ich weiß, wer du bist, Sohn des Sethos, doch angesichts der Gefahr sind wir gleich.«
»Falsch.«
»Hältst du dich für so überlegen?«
»Nein, dich, weil du Erfahrung besitzt. Für mich ist es die erste Jagd.«
Der Veteran zuckte die Achseln.
»Hören wir auf, zu reden. Sieh dich gut um und sag mir, wenn du eine Beute ausmachst.«
Einem aufgescheuchten Fuchs oder einer Wüstenspringmaus schenkte der alte Haudegen keinerlei Beachtung, die überließ er den anderen. Bald schon schwärmte der Stoßtrupp der Jäger aus.
Der Prinz bemerkte eine Gazellenherde.
»Großartig!« rief sein Begleiter und jagte los.
Drei von ihnen, alte oder kranke Tiere, trennten sich von ihren Artgenossen und verloren sich in einem Wadi zwischen zwei Felswänden.
Der Wagen hielt an.
»Wir müssen zu Fuß weiter.«
»Wieso?«
»Der Boden ist zu uneben, die Räder würden brechen.«
»Aber die Gazellen werden Vorsprung gewinnen!«
»Glaub das nur nicht, ich kenne diese Gegend. Sie werden sich in eine Höhle flüchten, wo wir sie leicht erlegen können.«
Über drei Stunden währte der Fußmarsch, ihre Gedanken waren auf das Ziel gerichtet, und so verspürten sie weder das Gewicht der Waffen noch das der mitgeführten Vorräte. Als die Hitze fast unerträglich wurde, machten sie unter einem Felsvorsprung halt. Im Schatten der üppigen Pflanzen, die dort wuchsen, konnten sie neue Kräfte sammeln.
»Müde?«
»Nein.«
»Dann hast du ein Gespür für die Wüste. Entweder lahmt sie einem die Beine, oder sie verleiht neue Kraft, die aus der Berührung mit dem heißen Sand aufsteigt.«
Felsbrocken lösten sich und rollten an den Wänden herab bis hinunter zu dem Geröllhaufen auf dem Grund des ausgetrockneten Sturzbaches. Unvorstellbar, daß es unter dieser roten, unfruchtbaren Erde einen Fluß geben sollte, der Bäume und Ackerland speiste. Die Wüste war die andere Welt, aus der sich die der Menschen nährte. Ramses wurde die Zerbrechlichkeit seines Glücks bewußt, gleichzeitig aber auch die Kraft, die die Elemente der Seele des Schweigenden zu verleihen vermochten. Ein Gott hatte die Wüste geschaffen, um den Menschen das Schweigen zu lehren, damit er die Stimme des geheimen Feuers vernehme.
Der alte Haudegen prüfte die Pfeile. Sie hatten eine Spitze aus Feuerstein und als Gegengewicht am anderen Ende zwei Flügelchen mit abgerundeten Rändern.
»Die besten sind es nicht, aber wir werden uns damit begnügen.«