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Sie hatte sich in ihren eigenen Augen lächerlich gemacht, und das alles wegen dieses unverschämten jungen Prinzen, um den sie sich aber doch so sorgte! Wenn Ameni nicht log, war Ramses in eine Falle geraten.

Ein Mann, ein einziger, kannte die Wahrheit.

Chenar beendete gerade sein Mittagsmahl, die köstliche gebratene Wachtel war eine Gaumenfreude gewesen.

»Meine liebe Iset! Welch eine Freude, dich zu sehen! Möchtest du mein Feigenmus mit mir teilen? Es ist, ohne mich rühmen zu wollen, das beste von ganz Memphis.«

»Wo hält sich Ramses verborgen?«

»Liebe, süße Freundin, wie sollte ich das wissen?«

»Kann ein zukünftiger König es sich gestatten, über so etwas hinwegzusehen?«

Chenar lächelte gezwungen.

»Ich bewundere deinen Scharfsinn.«

»Sprich, ich bitte dich darum.«

»Nimm doch erst einmal Platz und koste dieses Mus. Du wirst es nicht bereuen.«

Die junge Frau wählte einen bequemen Stuhl mit grünen Kissen.

»Das Schicksal gewährt uns eine Ausnahmestellung. Warum sollten wir diesen Vorzug nicht nutzen?«

»Ich verstehe nicht recht.«

»Wir verstehen uns doch blendend, meinst du nicht? Anstatt dich mit meinem Bruder zu verbinden, solltest du etwas mehr nachdenken und deine Zukunft im Blick behalten.«

»Woran denkst du dabei?«

»An ein Leben in Glanz, an meiner Seite.«

Iset musterte den älteren Sohn des Königs. Er gab sich vornehm, war auf seine Wirkung bedacht, posierte und spielte bereits seine zukünftige Rolle, doch die wilde Schönheit und die Anziehungskraft, die Ramses eigen waren, würde er nie besitzen.

»Willst du wirklich wissen, wo mein Bruder sich aufhält?«

»Das ist mein Wunsch.«

»Ich fürchte dich zu betrüben.«

»Diese Gefahr gehe ich ein.«

»Schenke mir Vertrauen, dann erspare ich dir eine Enttäuschung.«

»Ich glaube mich stark genug, sie zu ertragen.«

Chenar schien verstimmt.

»Ramses wurde der Expedition in die Sandsteinbrüche am Gebel Silsileh als Schreiber zugeteilt. Er soll einen Bericht verfassen und genau Buch führen über die Arbeiten. Eine höchst unrühmliche Aufgabe, die ihn zwingen wird, etliche Monate mit den Steinbrucharbeitern zu verbringen und sich im Süden niederzulassen. Abermals hat mein Vater seine Menschenkenntnis bewiesen. Er hat meinen Bruder auf den Platz verwiesen, der ihm zukommt. Und wenn wir nun ein wenig von uns, von unserer gemeinsamen Zukunft sprächen?«

»Ich bin entsetzt, Chenar, ich…«

»Ich hatte dich gewarnt.«

Er erhob sich und faßte nach ihrer rechten Hand.

Diese Berührung ekelte die junge Frau. Gewiß, Ramses war aus der ersten Reihe verbannt, und Chenar würde der absolute Herrscher sein, gewiß. Von ihm geliebt zu werden bedeutete für die Auserwählte Ruhm und Reichtum. Träumten nicht Dutzende junger Mädchen aus adeligem Hause von einer Heirat mit dem Thronerben?

Unwirsch wandte sie sich ab.

»Laß mich!«

»Verspiel nicht dein Glück.«

»Ich liebe Ramses.«

»Was zählt schon die Liebe? Mir bedeutet sie nichts, und du wirst ihn vergessen. Ich erwarte nichts weiter, als daß du schön bist, mir einen Sohn schenkst und die Herrin Ägyptens bist. Dein Zögern wäre mehr als unklug.«

»Dann halte mich ruhig für verrückt.«

»Geh nicht fort! Sonst…«

»Sonst?«

»Wie unsinnig, wenn wir Feinde würden. Ich appelliere an deine Klugheit.«

»Lebewohl, Chenar; du gehst deinen Weg, der meine ist vorgezeichnet.«

Memphis war eine lärmende und belebte Stadt. Im Hafen, wo es stets geschäftig zuging, liefen Frachtschiffe aus Süd oder Nord ein. Auch das Auslaufen war streng geregelt, die Abwicklung des Verkehrs auf dem Fluß oblag einer eigenen Behörde, und die Fracht wurde überprüft von einem Heer von Schreibern. In einem der zahlreichen Lagerhäuser lag das Schreibmaterial dazu bereit, darunter Dutzende von Tintensteinen.

Ameni wies sich aus als rechte Hand des jüngeren Sohnes des Pharaos und erhielt die Erlaubnis, sie zu begutachten. Er richtete sein Augenmerk auf die erstklassigen und somit teuersten Stücke, doch seine Nachforschungen blieben ergebnislos.

Schaulustige und Esel, hoch beladen mit Obst, Gemüse und Getreidesäcken, ließen kaum Platz in den Gassen, doch Ameni gelang es, dank seiner zierlichen und wendigen Statur, sich bis zum Viertel in der Nähe des Ptah-Tempels, den Sethos vergrößert hatte, durchzuschlängeln. Der riesige Pylon war von königlichen Kolossalstatuen aus rosafarbenem Granit flankiert. Sie bezeugten die Gegenwärtigkeit des Göttlichen. Der junge Schreiber liebte die alte, von Menes, dem Einiger Ober- und Unterägyptens, gegründete Hauptstadt. Glich sie nicht einem Kelch, dem Schutz der Göttin des Goldes anvertraut? Wie angenehm, all diese von Lotosblüten bedeckten Seen zu betrachten, allerorts den Duft der üppigen Blumenpracht zu atmen. Wie erholsam, sich träge unter eine Blätterlaube zu setzen und den Nil zu bewundern! Doch leider war dies nicht die Stunde des Müßiggangs. Ameni beachtete die Waffenarsenale der verschiedenen Truppenverbände nicht weiter und wurde an der Tür einer Werkstatt vorstellig, wo Tintensteine für die besten Schulen der Stadt hergestellt wurden.

Er wurde äußerst kühl empfangen, doch da er sich auf Ramses beziehen konnte, durfte er über die Schwelle treten und die Handwerker befragen. Einer von ihnen, der bald in den Ruhestand gehen würde, erwies sich als sehr hilfsbereit. Er beklagte selbst die Nachlässigkeit gewisser Hersteller, die jedoch vom Palast ihre Zulassung erhalten hatten. Da Ameni überzeugend wirkte, nannte er ihm eine Werkstatt im nördlichen Stadtviertel, jenseits der alten Festung mit den weißen Mauern.

Der junge Schreiber mied die überfüllten Uferstraßen und ging durch das Aankhtaoui-Viertel, »das Leben beider Länder«. Er lief an einer der Kasernen entlang und kam in einen dichtbesiedelten Vorort, wo neben großen Landhäusern kleine zweigeschossige Wohnbauten und Handwerkerläden sich reihten. Obwohl er umherirrte, fand er schließlich dank der Liebenswürdigkeit so mancher Hausfrau, die unter munterem Geplauder die Gasse fegte, zu jener Werkstatt, die er sich ansehen wollte. Mochte er auch noch so müde sein, er würde ganz Memphis auf den Kopf stellen, denn des Rätsels Lösung lag bestimmt, davon war er überzeugt, am Ursprungsort der Tintensteinfertigung.

Auf der Schwelle stand ein struppiger Kerl von etwa vierzig Jahren, der mit einem Stock bewaffnet war.

»Ich grüße dich, darf ich eintreten?«

»Verboten.«

»Ich bin der Vertraute eines königlichen Schreibers.«

»Zieh weiter, Kleiner.«

»Dieser königliche Schreiber heißt Ramses, Sohn des Sethos.«

»Die Werkstatt ist geschlossen.«

»Ein Grund mehr, um mir die Besichtigung zu gestatten.«

»Ich habe meine Befehle.«

»Durch etwas Zuvorkommen entgehst du einer amtlichen Klage.«

»Hau ab.«

Ameni bedauerte seine schwächliche Konstitution. Ramses hätte keinerlei Mühe gehabt, diesen Flegel hochzuheben und in einen Kanal zu werfen. Da er aber nun mal keine Kraft besaß, mußte er eine List anwenden.

Er grüßte den Wächter, ging zum Schein seines Weges, schnappte sich aber in Wirklichkeit eine Leiter und kletterte damit auf das Dach eines an der Rückseite der Werkstatt gelegenen Speichers. Als es Nacht war, stieg er durch eine Dachluke ein. Er nahm eine Lampe und untersuchte den Lagerbestand. Die erste Reihe Tintensteine enttäuschte ihn nicht, sie waren makellos. Doch die zweite, die ebenfalls die Kennzeichnung »erstklassig« trug, wies gewisse Abweichungen auf: die Steine waren kleiner als vorgeschrieben, von unbestimmter Färbung und unzureichendem Gewicht. Eine Schriftprobe genügte, um Ameni zu überzeugen: Er hatte den Ursprungsort des Betrugs entdeckt.