Ameni lag mit verbundenem Kopf auf dem Bett, am Kopfende saß eine Pflegerin.
»Still, er schläft«, bedeutete sie ihm.
Sie zog den Prinzen aus dem Zimmer.
»Was ist ihm zugestoßen?«
»Man fand ihn auf einer Müllhalde im Norden der Stadt, er schien wie tot.«
»Wird er überleben?«
»Der Arzt ist zuversichtlich.«
»Hat er gesprochen?«
»Ein paar unverständliche Worte. Die Heilmittel unterdrücken den Schmerz, versenken ihn aber in tiefen Schlaf.«
Ramses sprach mit dem Vertreter des Obersten Wächters, der sich auf Inspektion im Süden von Memphis befand. Der Beamte bedauerte, ihm keinerlei Auskunft geben zu können. Niemand im fraglichen Stadtteil hatte den Angreifer gesehen. Trotz ausführlicher Befragungen hatte man keinen Hinweis erhalten. Mit dem Wagenlenker war es ebenso. Er war untergetaucht und hatte Ägypten vielleicht längst verlassen.
Kaum war Ramses wieder daheim, da erwachte Ameni. Als er Ramses sah, hellte sich der Blick des Verletzten auf.
»Du bist zurück, ich wußte es doch!«
Die Stimme zitterte noch, war aber klar.
»Wie fühlst du dich?«
»Ich hab es geschafft, Ramses, ich hab es geschafft!«
»Wenn du dich weiterhin auf solche Gefahren einläßt, wirst du dir bald alle Knochen gebrochen haben.«
»Die halten was aus, wie du siehst.«
»Wer hat dich zusammengeschlagen?«
»Der Bewacher einer Werkstatt, in der minderwertige Tintensteine gelagert werden.«
»So hast du es tatsächlich geschafft.«
Stolz beseelte Amenis Gesicht.
»Nenn mir den Ort«, verlangte Ramses.
»Es ist gefährlich, geh nicht hin ohne bewaffneten Schutz.«
»Mach dir keine Sorgen und ruh dich aus. Je eher du wieder auf den Beinen bist, desto schneller wirst du mir helfen können.«
Dank Amenis Angaben fand Ramses mühelos die berüchtigte Werkstatt. Obgleich die Sonne bereits vor drei Stunden aufgegangen war, fand er die Tür verschlossen. Verärgert streifte der Prinz durch das Viertel, konnte aber keine verdächtige Bewegung ausmachen. Das Lager schien aufgegeben.
Da er eine Falle befürchtete, geduldete Ramses sich bis zum Abend. Zahlreich waren die Passanten, die kamen und gingen, aber niemand betrat dieses Gebäude.
Er befragte einen Wasserträger, der die Handwerker versorgte.
»Kennst du diese Werkstatt?«
»Da werden Tintensteine hergestellt.«
»Warum ist sie geschlossen?«
»Seit einer Woche ist die Tür verriegelt, merkwürdigerweise.«
»Was ist den Besitzern geschehen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Was sind das für Leute?«
»Hier sah man nur die Arbeiter, nie ihren Arbeitgeber.«
»Wem lieferten sie ihre Erzeugnisse?«
»Das geht mich nichts an.«
Der Wasserträger entfernte sich.
Ramses verfuhr wie Ameni; er kletterte die Leiter hoch, dann über das Dach des Speichers, um in das Gebäude zu gelangen.
Schnell gewann er Klarheit, denn das Lager war leer.
In Begleitung der anderen königlichen Schreiber wurde Ramses zum Tempel des Ptah bestellt, des Gottes, der die Welt durch das Wort erschuf. Jeder trat vor den Hohenpriester hin und erstattete kurz Bericht über seine jüngsten Tätigkeiten. Der Oberste Leiter der Handwerker gemahnte sie, das Wort zu gestalten wie einen Werkstoff und ihre Rede zu modellieren, wie die Weisen es gelehrt.
Als die Feierlichkeiten beendet waren, beglückwünschte Sary seinen ehemaligen Schüler.
»Ich bin stolz, dein Erzieher gewesen zu sein. Trotz manch übler Nachrede scheinst du doch den Weg der Wissensvermehrung zu gehen. Laß nicht ab vom Lernen, und du wirst ein geachteter Mann sein!«
»Ist das wichtiger als die Erkundung seiner selbst?«
Sary verhehlte seinen Unmut nicht.
»Jetzt, da du endlich Vernunft annimmst, sind mir peinliche Gerüchte zu Ohren gekommen.«
»Und welche?«
»Man munkelt, du seist hinter einem flüchtigen Wagenlenker her, und dein Freund Ameni sei schwer verletzt worden.«
»Das ist alles nur Geschwätz.«
»Laß die Behörden handeln, und vergiß diese Zwischenfälle. Sachkundige sind erfahrener als du. Man wird die Schuldigen schon finden, glaub mir. Du hast anderes zu tun. Das Wichtigste ist, seinen Rang zu wahren.«
Ein Mittagessen im Zwiegespräch mit seiner Mutter war ein seltenes Privileg, das Ramses zu schätzen wußte. Sie war sehr beschäftigt, hatte sie doch an der Lenkung des Staates entscheidenden Anteil, befolgte die je nach Tag oder Jahreszeit vorgeschriebenen Rituale und versah darüber hinaus zahlreiche Aufgaben bei Hof. Kurz, die große königliche Gemahlin verfügte nur über wenig Zeit für sich selbst und ihre Familie.
Auf niedrigen Tischchen unter einer schattenspendenden Laube auf kleinen Holzsäulen standen die Alabasterschüsseln bereit. Tuja, die soeben aus einer Ratsversammlung gekommen war, wo die Vorsängerinnen für die musikalische Gestaltung der Rituale zu Ehren Amuns bestimmt worden waren, trug noch das gefältelte lange Leinenkleid und eine breite Goldkette. Ramses empfand grenzenlose Zärtlichkeit für sie und wachsende Bewunderung. Keine Frau ließ sich mit ihr vergleichen, und keine wagte es, sich mit ihr zu vergleichen. Trotz ihrer bescheidenen Herkunft war sie eine geborene Königin. Nur sie konnte Sethos’ Liebe erwecken und an seiner Seite Ägypten regieren.
Es wurden Salat, Gurken, Rindfleisch, Ziegenkäse, Honigküchlein, Dinkelfladen und mit Wasser verdünnter Oasenwein gereicht. Die Königin liebte die Mußestunde des Mittagsmahls, zu dem sie nie Plagegeister oder Bittsteller einlud. An der Stille ihres Gartens mit dem Wasserbecken in der Mitte labte sie sich ebenso wie an den Speisen, die sie mit dem Koch sorgfältig ausgewählt hatte.
»Wie ist deine Reise zum Gebel Silsileh verlaufen?«
»Ich habe die Kraft der Steinhauer und der Seeleute kennengelernt.«
»Aber keine von beiden hat dich zum Bleiben veranlaßt.«
»Mein Vater war nicht einverstanden.«
»Er ist ein anspruchsvoller Lehrmeister, der dir mehr abverlangen wird, als du zu leisten vermagst.«
»Weißt du, was er mit mir vorhat?«
»Du scheinst heute kaum Appetit zu haben.«
»Ist es erforderlich, mich in Unwissenheit zu belassen?«
»Fürchtest du den Pharao, oder hast du Vertrauen zu ihm?«
»Furcht ist nicht in meinem Herzen.«
»Dann stell dich dem Kampf, der dir bestimmt ist, mit der ganzen Kraft deines Wesens. Blicke nicht zurück, gestatte dir weder Bedauern noch Gewissensbisse, sei weder neidisch noch eifersüchtig. Und genieße jeden mit deinem Vater verbrachten Augenblick wie ein Geschenk des Himmels. Alles übrige wird dann bedeutungslos.«
Der Prinz kostete vom Rinderbraten, er war mit Knoblauch und Kräutern gewürzt und innen saftig, so wie es sich gehörte. Am makellos blauen Himmel zog ein großer Ibis vorüber.
»Ich brauche deine Hilfe, die Hüter der Ordnung halten mich zum Narren.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung, mein Sohn.«
»Ich halte sie für begründet.«
»Besitzt du Beweise?«
»Keinen, daher wende ich mich an dich.«
»Ich stelle mich nicht über die Gesetze.«
»Wenn du eine umfassende Untersuchung verlangst, wird sie durchgeführt werden. Kein Mensch forscht nach dem Mann, der meinen Angreifer bezahlt hat, kein Mensch will den Mann kennen, der minderwertige Tintensteine herstellen läßt und sie an die Schreiber verkauft, als seien sie Erzeugnisse erster Wahl. Mein Freund Ameni mußte, weil er die Werkstatt entdeckt hatte, beinahe sein Leben lassen. Aber der Verbrecher hat das Lager geräumt, und kein Mensch im Viertel wagt gegen ihn auszusagen. Folglich ist es jemand, der Macht hat. Er ist so mächtig, daß er die Leute in Furcht und Schrecken versetzt.«
»An wen denkst du?«
Ramses schwieg.
»Ich werde etwas unternehmen«, versprach Tuja.