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Ramses überließ seinen Platz Ameni, der sich an diesem unbekannten Spiel ergötzte. Wie sollte er auch verstehen, daß weder seine Freundschaft noch Isets Liebe das Feuer zu löschen vermochten, das Ramses’ Seele verzehrte. Die Zeit würde diese unersättliche Flamme, die nach Nahrung gierte, nur noch heftiger entfachen. Ob es seine Bestimmung war oder nicht, ein Leben in Mittelmäßigkeit würde er nicht hinnehmen. Nur zwei Wesen konnten ihn beeindrucken: sein Vater, der König, und seine Mutter, die Königin. Ihre Vorstellungen hätte er teilen wollen, keine anderen.

Liebevoll legte Sary seinem früheren Schüler die Hand auf die Schulter.

»Langweilt dich dieses Spiel?«

»Es ist ein gelungenes Fest.«

»Gelungen dank deiner Anwesenheit.«

»Willst du mich verspotten?«

»Das ist nicht meine Absicht, deine Stellung ist doch nun klar. Viele der Höflinge fanden dich prachtvoll bei der Prozession.«

Der leutselige Sary wirkte aufrichtig. Er zog Ramses unter ein Zeltdach, wo frisches Bier ausgeschenkt wurde.

»Das Amt des königlichen Schreibers ist etwas, um das dich jeder beneidet«, erklärte er mit Begeisterung. »Du erwirbst das Vertrauen des Königs, hast Zugang zu den Schatzkammern und den Kornspeichern, erhältst einen beachtlichen Anteil der Opfergaben im Anschluß an die Weihung im Tempel, bist gut gekleidet, besitzt Pferde und ein Boot, bewohnst ein schönes Haus, ziehst Erträge aus deinen Feldern, und eifrige Diener kümmern sich um dem Wohlergehen. Deine Arme ermüden nicht, deine Hände bleiben zart und weiß, dem Rücken ist kräftig, du hast keine schweren Lasten zu tragen, du schwingst weder Hacke noch Grabscheit, schwere Arbeit wird dir erspart, und deine Befehle werden eilfertig ausgeführt. Palette, Farbpigmente und Papyrusrolle sorgen für deinen Wohlstand und machen dich zu einem reichen und geachteten Mann. Und der Ruhm, wirst du jetzt fragen? Der wird sich einstellen! Die Zeitgenossen des gelehrten Schreibers sind in Vergessenheit geraten, doch den Ruhm des Schreibers singt die Nachwelt.«

»Sei Schreiber«, rezitierte Ramses mit tonloser Stimme, »denn ein Buch ist von längerer Dauer als eine Stele oder eine Pyramide. Es bewahrt deinen Namen länger als jedwedes Bauwerk. Die Nachfahren der Schreiber sind ihre Weisheitsbücher, die Priester, die ihre Totengedenkfeiern zelebrieren, sind ihre Schriften. Ihr Sohn ist das Täfelchen, auf dem sie schreiben, der mit Hieroglyphen bedeckte Stein ihre Gemahlin. Die mächtigsten Bauten zerfallen, das Werk der Schreiber überdauert die Zeiten.«

»Großartig!« rief Sary. »Du hast nicht vergessen, was ich dich gelehrt habe.«

»Das haben uns die Väter gelehrt.«

»Gewiß, gewiß, aber ich habe es an dich weitergegeben.«

»Meinen Dank.«

»Ich bin stolz auf dich, von Tag zu Tag mehr! Sei ein guter königlicher Schreiber, und träume nicht von Höherem.«

Andere Gäste verlangten nach dem Hausherrn. Man plauderte, trank, angelte, erzählte sich scheinheilig Vertraulichkeiten, doch Ramses langweilte sich. Dieses Volk in seinem Dünkel, das sich mit seinen Privilegien begnügte, war ihm unverständlich.

Seine ältere Schwester nahm ihn zärtlich am Arm.

»Bist du glücklich?« fragte Dolente.

»Sieht man das nicht?«

»Bin ich hübsch?«

Er trat etwas zurück und sah sie an. Ihr Kleid war eher fremdländisch, zu grell in den Farben, die Perücke zu gekünstelt, aber sie selbst wirkte nicht ganz so träge wie früher.

» Du bist eine vollendete Gastgeberin.«

»Ein Kompliment von dir, eine Seltenheit!«

»Also um so kostbarer.«

» Beim Opferritual am Nil wurde dein Auftreten bewundert.«

» Ich habe doch unbeweglich ausgeharrt und kein Wort gesagt.«

»Genau. Das war eine gelungene Überraschung! Der Hof war auf eine andere Reaktion gefaßt.«

»Auf welche?«

In Dolentes stechendem Blick flackerte ein böses Licht.

»Empörung, vielleicht sogar Angriffslust. Wenn du nicht bekommst, was du willst, bist du für gewöhnlich viel heftiger. Sollte der Löwe sich etwa zum Lamm gewandelt haben?«

Ramses ballte die Fäuste, um sie nicht zu ohrfeigen.

»Weißt du denn, was ich will, Dolente?«

»Was dein Bruder besitzt und du nie haben wirst.«

»Du irrst, ich bin nicht neidisch. Ich suche meinen Weg und nichts anderes.«

»Die Ferienzeit ist angebrochen, Memphis wird unerträglich. Komm mit in unsere Residenz im Delta! Du kannst uns Bootfahren lehren, wir werden schwimmen und dicke Fische fangen.«

»Mein Amt…«

»Komm, Ramses, jetzt ist doch alles geklärt, widme dich ein Weilchen deinen Angehörigen, und laß dich von ihnen verwöhnen.«

Der Sieger des Angelwettbewerbs stieß einen Freudenschrei aus. Die Gastgeberin mußte ihn beglückwünschen und der Hausherr ihm die Papyrusrolle mit den abenteuerlichen Schilderungen Sinuhes überreichen.

Ramses gab Ameni ein Zeichen.

»Meine Angel ist zerbrochen«, gestand der junge Schreiber.

»Gehen wir.«

»Schon?«

»Das Spiel ist aus, Ameni.«

Ein prachtvoll gekleideter Chenar kam auf Ramses zu.

»Ich bedaure, so spät zu kommen, nun konnte ich deine Geschicklichkeit gar nicht bewundern.«

»Ameni hat an meiner Stelle teilgenommen.«

»Bist du denn müde? Das geht wohl vorüber.«

»Deute es, wie du willst.«

»Bravo, Ramses, du erkennst deine Grenzen von Tag zu Tag besser. Dennoch hätte ich ein paar Worte des Dankes erwartet.«

»Wofür?«

»Mir hast du es zu verdanken, daß du teilnehmen durftest an dieser großartigen Prozession. Sethos wollte dich ausschließen. Er fürchtete zu Recht, du würdest nicht Haltung bewahren. Aber zum Glück hast du dich gut benommen. Mach weiter so, dann werden wir miteinander auskommen.«

Eine Horde Beflissener folgte Chenar, als er davonging. Sary und seine Gemahlin verneigten sich vor ihm, entzückt über die Ehre seiner unverhofften Anwesenheit.

Ramses kraulte seinen Hund am Kopf, verzückt schloß Wächter die Augen. Der Prinz betrachtete die Zirkumpolarsterne, von denen es heißt, sie gingen nicht unter. Die Weisen sagten, diese Sterne bildeten im Jenseits das Herz des wiedererweckten Pharaos, sobald er vom göttlichen Gericht als »Hüter der Wahrheit« befunden ward.

Iset, die Schöne, schlang Ramses die Arme um den Hals; sie war nackt.

»Vergiß doch ein bißchen diesen Hund, ich werde sonst eifersüchtig. Du liebst mich, und gleich darauf verläßt du mich!«

»Du warst eingeschlafen, und ich war nicht müde.«

»Wenn du mir einen Kuß gibst, werde ich dir ein Geheimnis verraten.«

»Das ist Erpressung, und das kann ich nicht leiden.«

»Es ist mir gelungen, mich von deiner älteren Schwester einladen zu lassen. So wirst du nicht ganz so allein sein mit deiner lieben Familie, und da uns alle schon für Mann und Frau halten, liefern wir den Gerüchten neue Nahrung.«

Sie wurde so zärtlich und so schmeichelnd, daß der Prinz sich ihren Liebkosungen nicht mehr zu entziehen vermochte. Er nahm sie in den Arm, verließ die Terrasse, bettete sie aufs Lager und legte sich zu ihr.

Ameni war glücklich, denn Ramses hatte wieder unbändigen Appetit.

»Alles ist bereit, wir können abreisen«, erklärte er stolz, »ich habe das Gepäck selbst überprüft. Die Ferien werden uns guttun.«

»Du hast sie verdient. Willst du etwas schlafen?«

»Wenn ich eine Arbeit angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören.«

»Bei meiner Schwester wirst du nichts zu tun haben.«

»Das glaube ich nicht, dein Amt beinhaltet die Kenntnis unzähliger Vorgänge und…«

»Ameni! Weißt du eigentlich, was Entspannung ist?«

»Sollte der Knecht es seinem Herrn nicht gleichtun?«