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Ramses faßte ihn um die Schultern.

»Du bist nicht mein Knecht, sondern mein Freund. Folge meinem Rat und ruh dich ein paar Tage aus.«

»Ich will’s versuchen, aber…«

»Quält dich eine Sorge?«

»Diese verflixten Tintensteine, diese zwielichtige Werkstatt… Ich will die Wahrheit herausfinden.«

»Wird uns das vergönnt sein?«

»Weder Ägypten noch wir selbst können einen solchen Betrug dulden.«

»Solltest du das Zeug zu einem Staatsmann haben?«

»Du denkst wie ich, das weiß ich.«

»Ich habe meine Mutter gebeten, uns zu helfen.«

»Das ist – das ist ja wunderbar!«

»Bis jetzt haben wir noch kein Ergebnis.«

»Wir werden ans Ziel gelangen.«

»Diese Tintensteine und diese Werkstatt sind mir eigentlich gar nicht so wichtig, aber den Mann, der dich zu töten versucht, und den, der den Befehl dazu gab, die will ich vor mir sehen.«

Ramses’ Entschlossenheit ließ Ameni erschaudern.

»Mein Gedächtnis, Ameni, läßt mich nie im Stich.«

Sary hatte ein prächtiges Schiff angemietet, auf dem etwa dreißig Personen bequem Platz fanden. Er erfreute sich an dem Gedanken, auf diesem Meer zu fahren, das die Überschwemmung bewirkt hatte, und eine Residenz mit allen Annehmlichkeiten zu beziehen, die hoch auf einem Hügel inmitten von Palmen lag. Dort dürfte die Hitze erträglicher sein, und die Tage würden verstreichen in Muße und Verzückung.

Der Schiffsführer hatte es eilig, die Taue zu lösen, die Flußwache hatte ihm soeben das Auslaufen gestattet. Wenn er nicht gleich ablegte, würde er zwei oder drei Stunden warten müssen.

»Ramses ist noch nicht da«, bedauerte seine Schwester.

»Aber Iset ist bereits an Bord«, bemerkte Sary.

»Und das Gepäck?«

»Wurde schon im Morgengrauen verladen, vor der großen Hitze.«

Dolente trat von einem Fuß auf den anderen.

»Da kommt sein Schreiber!«

Ameni rannte mit hastigen Schrittchen. Da er solche Anstrengung nicht gewohnt war, mußte er erst einmal Luft holen, bevor er reden konnte.

»Ramses ist verschwunden«, bekannte er dann.

NEUNZEHN

Der wanderer, begleitet von einem goldgelben Hund, trug auf dem Rücken eine gerollte und mit einem Riemen verschnürte Matte, in der linken Hand einen Lederbeutel, in dem ein Schurz und Sandalen steckten, in der rechten einen Stock. Wenn er anhielt, um zu rasten, entrollte er die Matte im Schatten eines Baumes und schlief sofort ein, sein getreuer Gefährte schützte ihn.

Prinz Ramses hatte den ersten Teil seiner Reise im Boot und den zweiten zu Fuß zurückgelegt. Da er die Pfade über die Hügel oberhalb des Stroms gewählt hatte, war er durch viele kleine Dörfer gekommen, wo er sich bei den Bauern erfrischen konnte. Der Stadt überdrüssig, entdeckte er hier eine friedliche, sich immer gleichbleibende Welt, die im Rhythmus der Jahreszeiten und Feste lebte.

Ramses hatte weder Ameni noch Iset verständigt, denn er wollte allein reisen, wie ein gewöhnlicher Ägypter, der die Verwandtschaft besuchte oder zur Arbeit auf einer der zahlreichen Baustellen, die während der Überschwemmungszeit gut zu tun hatten, aufbrach.

An einigen Orten hatte er den Fährmann gerufen, der arme Leute und solche, die kein Boot besaßen, nicht einmal ein notdürftig zusammengezimmertes, über den Fluß zu setzen pflegte. Auf der wogenden Wasseroberfläche kreuzten Dutzende von Kähnen unterschiedlicher Größe, einige hatten Kinder an Bord, die so wild herumfuchtelten, daß sie ins Wasser plumpsten und sogleich Wettschwimmen veranstalteten.

Erholung, Spiele und Reisen… Ramses spürte den Atem des ägyptischen Volkes, seine tiefe und gelassene Freude, verankert im Vertrauen zum Pharao. Hier und dort wurde mit Hochachtung und Bewunderung von Sethos gesprochen. Sein Sohn empfand Stolz und schwor sich, sich seiner würdig zu erweisen, selbst wenn er ein einfacher königlicher Schreiber bleiben sollte, der über das Einbringen des Korns oder die Eintragung der Erlässe zu wachen hatte.

Am Eingang des Fayum, dieser grünenden Provinz, wo Sobek, der Krokodilgott, herrschte, erstreckte sich über weite, von ausgesuchten Gärtnern gehegte Flächen der königliche Harim Mer-Our, was »Reich an Liebe« bedeutet. Ein klug angelegtes Kanal-Metz versorgte das ausgedehnte herrschaftliche Anwesen, das vielen als das schönste Ägyptens galt. In die Jahre gekommene edle Damen genossen dort einen ruhigen Lebensabend und bewunderten die herrlichen jungen Frauen, die in den Webereien arbeiteten oder in den Schulen sich der Poesie, der Musik und dem Tanz widmen durften. Andere vervollkommneten ihre Kenntnisse der Emailherstellung, und wieder andere entwarfen Schmuck. Der Harim war ein wahrer Bienenkorb, in dem unermüdliches Treiben herrschte.

Bevor Ramses sich am Eingangstor des Anwesens meldete, tat er einen sauberen Schurz um, schlüpfte in die Sandalen und klopfte seinem Hund den Staub aus dem Fell. Nun konnte er sich zeigen. Er ging auf einen Aufseher zu, der grimmig dreinblickte.

»Ich komme einen Freund besuchen.«

»Dein Empfehlungsschreiben, junger Mann?«

»Ich brauche keins.«

Der Aufseher warf sich in die Brust.

»Was soll dieses Gehabe?«

»Ich bin Prinz Ramses, Sohn des Sethos.«

»Du machst dich wohl lustig über mich! Ein Königssohn reist mit Begleitern.«

»Mein Hund genügt mir.«

»Geh deines Weges, Junge, ich schätze deine Späße nicht.«

»Ich befehle dir, den Weg frei zu machen.«

Der keinen Widerspruch duldende Ton und der scharfe Blick verblüfften den Aufseher. Sollte er diesen Hochstapler kurzerhand fortschaffen oder lieber Vorsicht walten lassen?

»Wie lautet der Name deines Freundes?«

»Moses.«

»Gedulde dich hier.«

Wächter setzte sich im Schatten einer Persea auf die Hinterpfoten. Die Luft war von Düften erfüllt, Hunderte von Vögeln nisteten in den Bäumen. Gab es ein süßeres Leben?

»Ramses!«

Moses stieß den Aufseher beiseite und lief auf Ramses zu. Die beiden Freunde umarmten sich, gingen durchs Tor, und hinter ihnen trottete Wächter, der gar nicht mehr wußte, wo er noch schnüffeln sollte bei all den Düften, die jetzt aus der Küche des Aufsehers drangen und ihm so verlockend schienen.

Moses und Ramses schritten durch eine mit Steinplatten belegte Allee, die sich unter Sykomoren dahinschlängelte, und gelangten an ein Wasserbecken, in dem zwischen breiten, ausladenden Blättern weiße Lotosblüten prangten. Sie setzten sich auf eine Bank aus drei Kalksteinblöcken.

»Welch wunderbare Überraschung, Ramses! Hat man dir dieses Amt hier zugewiesen?«

»Nein, ich wollte dich wiedersehen.«

»Bist du allein gekommen, ganz ohne Begleitschutz?«

»Was ist dabei?«

»Das sieht dir ähnlich! Was hast du getrieben, seit unser Kreis sich zerstreut hat?«

»Ich bin zum königlichen Schreiber aufgestiegen und hatte geglaubt, mein Vater habe mich zum Nachfolger bestimmt.«

»Mit Chenars Einverständnis?«

»Es war natürlich nur ein Traum, aber ich hatte es mir in den Kopf gesetzt. Als mein Vater mich dann öffentlich der Schmach aussetzte, war die Illusion schnell verflogen, aber…«

»Aber?«

»Aber diese Kraft, dieselbe Kraft, die mich über meine Fähigkeiten getäuscht hat, sie ist noch in mir. Wie ein Narr vor mich hin zu dösen widert mich an. Was sollen wir mit unserem Leben anlangen, Moses?«

»Das ist die entscheidende Frage, da stimme ich dir zu.«

»Und welche Antwort hast du gefunden?«

»Eine ebenso unbefriedigende wie du. Ich bin einer der vielen Gehilfen des Leiters dieses Harim, arbeite in einer Weberei, überwache die Arbeit der Töpfer, verfüge über ein Haus mit fünf Räumen, über einen Garten und erlesene Kost. Dank der hier gesammelten Schriften kenne ich, der Hebräer, mich jetzt bestens aus in der Weisheit Ägyptens. Was kann man sich sonst noch wünschen?«