»Eine hübsche Frau.«
Moses lächelte.
»Daran mangelt es hier nicht. Bist du verliebt?«
»Vielleicht.«
»Wer ist es?«
»Iset, die Schöne.«
»Ein Prachtweib, wie es heißt. Da könnte ich schon neidisch werden. Doch warum sagst du vielleicht?«
»Sie ist wunderbar, wir verstehen uns herrlich, aber ich glaube nicht, daß ich sie liebe. Die Liebe habe ich mir immer anders vorgestellt, tiefer, verzehrender, viel…«
»Quäl dich nicht und genieße den Augenblick, sind das nicht die Worte der Harfenspieler, die beim Festmahl unsere Ohren bezaubern?«
»Und du, hast du die Liebe gefunden?«
»Liebschaften, gewiß, aber keine, die mir wahre Befriedigung schenkt. Auch in mir brennt ein Feuer, das ich nicht zu benennen weiß. Soll man es ersticken oder lieber schüren?«
»Wir haben keine Wahl, Moses; wenn wir fliehen, vergehen wir wie unselige Schatten.«
»Glaubst du, diese Welt besteht aus Licht?«
»Das Licht ist in dieser Welt.«
Moses wandte die Augen gen Himmel.
»Verbirgt es sich nicht im Herzen der Sonne?«
Ramses riet seinem Freund, den Blick zu senken.
»Blick ihr nicht direkt ins Antlitz, sie könnte dich blenden.«
»Was verborgen ist, werde ich enthüllen.«
Ein Entsetzensschrei unterbrach ihr Zwiegespräch, in einer der anderen Alleen liefen zwei Weberinnen um ihr Leben.
»Jetzt habe ich eine Überraschung für dich«, sagte Moses, »komm, bestrafen wir den Dämon, der diese beiden in Schrecken versetzt.«
Der Störenfried hatte gar nicht versucht, sich aus dem Staub zu machen. Er kniete mit einem Bein am Boden und fing ein schönes dunkelgrünes Reptil ein, das er in seinen Beutel steckte.
»Setaou!«
Der Schlangenkundige ließ sich die Wiedersehensfreude nicht anmerken. Als Ramses seinem Erstaunen, ihn hier zu finden, Ausdruck verlieh, erklärte er nur, er verkaufe Gift an die hiesige Arzneikammer und könne sich somit ein unabhängiges Leben gestatten. Auch sei es ihm eine große Freude, hin und wieder ein paar Tage mit Moses zu verbringen. Dann machten sie sich ein Weilchen ein schönes Leben, bevor ihre Wege wieder auseinandergingen.
»Ich habe Moses ein paar Grundbegriffe meiner Kunst beigebracht. Schließ die Augen, Ramses.«
Als der Prinz die Augen wieder öffnen durfte, hielt Moses, der mit den Beinen fest auf dem Boden stand, einen spindeldürren dunkelbraunen Stab in der rechten Hand.
»Das ist keine besondere Leistung.«
»Schau genauer hin«, riet Setaou.
Der Stab bewegte sich, wand sich, und Moses warf eine Schlange von beachtlicher Größe zu Boden, die Setaou sofort wieder einfing.
»Ist das nicht ein wunderbar einfaches Zauberkunststück? Etwas Kaltblütigkeit, und schon gelingt es einem, jedermann in Erstaunen zu versetzen, sogar einen Königssohn!«
»Mir mußt du diesen Stockzauber auch beibringen.«
»Warum nicht?«
Die drei Freunde zogen sich in einen Obstgarten zurück, wo Setaou ihnen eine Lehrstunde in Zauberei erteilen wollte, denn um ein lebendes Reptil gefügig zu machen, brauchte man Fingerspitzengefühl.
Schlanke junge Mädchen übten sich in einem Tanz, der völlige Körperbeherrschung erforderte. Sie trugen einen engen, halblangen Rock mit gekreuzten Bändern über Brust und Rücken und das Haar hoch am Hinterkopf zum Pferdeschwanz gerafft, an dessen Ende eine kleine Holzkugel baumelte. Sie vollführten kunstvolle Figuren.
Ramses genoß das Schauspiel, bei dem er zugegen sein durfte, weil Moses ein sehr gutes Verhältnis zu den Tänzerinnen hatte. Dessen Stimmung dagegen wurde zunehmend düsterer. Setaou waren die Qualen seiner beiden Freunde fremd. Das ständige Zusammensein mit den Schlangen, die einen plötzlichen und gnadenlosen Tod bewirken konnten, erfüllte sein Leben mit Sinn. Auch Moses hätte sich gern einer solchen Leidenschaft gewidmet, aber er war eingespannt in ein Netz von Verwaltungsaufgaben, die er so gewissenhaft erledigte, daß er wohl bald zum Leiter eines Harim befördert werden würde.
»Eines Tages«, sagte er zu Ramses, »werde ich all das verlassen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich weiß es selbst noch nicht, aber ein solches Dasein wird mir in zunehmendem Maße unerträglich.«
»Dann gehen wir zusammen.«
Eine Tänzerin – ihr Körper duftete betörend – strich an den beiden Freunden vorbei, doch auch ihr gelang es nicht, sie heiter zu stimmen. Als die Vorführung zu Ende ging, ließen sie sich aber doch überreden, mit den jungen Frauen zu speisen, die sich neben einem Bassin mit blauschimmerndem Wasser niedergelassen hatten. Prinz Ramses mußte etliche Fragen beantworten, über den Hof, sein Amt als königlicher Schreiber und seine Zukunftspläne. Er antwortete ausweichend, ruppig, fast rüpelhaft. Enttäuscht überboten sich die jungen Frauen schließlich mit poetischen Zitaten, womit sie ihre umfassende Bildung unter Beweis stellten.
Ramses fiel auf, daß eine von ihnen nichts sagte. Sie war entzückend mit ihren glänzenden tiefschwarzen Haaren, den blaugrünen Augen und schien jünger als ihre Gefährtinnen.
»Wie ist ihr Name?« fragte er Moses.
»Nefertari.«
»Warum ist sie so schüchtern?«
»Sie stammt aus einer bescheidenen Familie und ist erst seit kurzem hier, sie fiel uns auf, weil sie so gut weben konnte. In allen Bereichen ist sie bereits die Beste ihrer Gruppe, und das verzeihen ihr die Mädchen aus reichen Häusern nicht.«
Einige der Tänzerinnen gingen wieder zum Angriff über und bemühten sich, die Gunst des Prinzen zu erobern. Das Gerücht sprach von einer Heirat mit Iset, der Schönen, doch hatte ein Königssohn nicht ein größeres Herz als andere Männer? Ramses ließ die Schmachtenden stehen und setzte sich neben Nefertari.
»Ist dir meine Anwesenheit unangenehm?«
Die Angriffslust, die in dieser Frage steckte, entwaffnete sie. Verwirrt blickte sie zu Ramses auf.
»Verzeih meine Grobheit, aber du scheinst mir so einsam.«
»Ich… ich dachte nach.«
»Welche Sorge beschäftigt dich?«
»Wir sollen uns einen Lehrsatz des Weisen Ptah-hotep wählen und ihn erläutern.«
»Ich verehre diesen Mann, welchen Satz wirst du wählen?«
»Ich bin noch unschlüssig.«
»Wozu fühlst du dich berufen, Nefertari?«
»Zum Blumenbinden, gern würde ich die Kränze für die Götter binden und den größten Teil des Jahres im Tempel verbringen.«
»Ist das nicht ein sehr karges Dasein?«
»Ich hebe die Meditation, aus ihr schöpfe ich meine Kraft. Steht nicht geschrieben, die Stille lasse die Seele wachsen wie einen blühenden Baum?«
Die Aufseherin rief die Mädchen zusammen, sie sollten sich umkleiden und dann zum Grammatikunterricht kommen. Nefertari erhob sich.
»Einen Augenblick noch! Würdest du mir eine Gunst erweisen?«
»Die Aufseherin ist streng und duldet keine Verspätung.«
»Welchen Lehrsatz wirst du wählen?«
Ihr Lächeln hätte auch den zornigsten Krieger besänftigt.
»Ein wahres Wort ist verborgener als der grüne Stein; doch man findet es bei den Mägden, die am Mühlstein arbeiten.«
Wie eine Luftgestalt, wie eine Lichtgestalt enteilte sie.
ZWANZIG
Ramses verweilte eine Woche im Harim Mer-Our, doch Nefertari sah er nicht wieder. Moses, von seinem Vorgesetzten, der seinen Eifer schätzte, mit Arbeit überhäuft, konnte seinem Freund nur wenig Zeit widmen. Dennoch schöpften sie aus ihren Gesprächen neue Kraft und schworen sich, nicht dahinzudämmern im Schlaf des Gerechten.
Recht schnell wurde die Anwesenheit des jüngeren Sohns des Sethos zu einem Ereignis. Altere Damen von Stand suchten das Gespräch mit ihm, einige überschütteten ihn mit Erinnerungen und guten Ratschlägen, etliche Handwerker und Beamte buhlten um sein Wohlwollen, und der Leiter des Harim bezeigte ihm unermüdlich größte Zuvorkommenheit, damit er Sethos berichte, wie vollendet dieser Harim geführt war. Sich in einen Garten zurückzuziehen, um in Frieden die Schriften der Alten zu lesen, geriet zu einem Kunststück. Bald fühlte er sich als Gefangener in diesem Paradies, daher nahm er seinen Reisesack, seine Matte und seinen Stock und machte sich davon, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Moses würde es schon verstehen.