»Ich reiche Klage ein und werde vor Gericht aussagen.«
»Du, der die Hethiter verabscheut?«
»Der alte Mann ist kein Feind mehr, er arbeitet bei uns und verdient Achtung. So will es das Gesetz der Maat.«
»Keine großen Worte! Vergiß diesen Zwischenfall, ich werde es dir danken.«
»Ich werde auch aussagen«, erklärte Moses, »denn nichts vermag ein solches Handeln zu rechtfertigen.«
»Ist es nötig, die Stimmung zu vergiften?«
»Nimm diesen Kämmerer mit«, sagte Ramses zu Moses, »und übergib ihn unserem Freund Setaou. Gleich morgen werde ich darum ersuchen, daß ihm der Prozeß gemacht wird.«
»Das ist Freiheitsberaubung!«
»Verpflichtest du dich, deinen Hausverweser dem Gericht vorzuführen?«
Chenar beugte sich. Zu viele gewichtige Zeugen waren zugegen. Es war klüger, auf einen von Anfang an verlorenen Kampf zu verachten. Der Schuldige würde in die Oasen verbannt werden.
»Das Recht ist eine schöne Sache«, sagte Chenar abschließend, um Verbindlichkeit bemüht.
»Es zu achten ist die Grundlage unseres Gesellschaftsgefüges.«
»Wer behauptet das Gegenteil?«
»Wenn du das Land mit solchen Methoden regierst, wirst du in mir einen unerbittlichen Widersacher haben.«
»Was stellst du dir denn da schon wieder vor?«
»Ich stelle mir nichts vor, ich beobachte. Lassen große Pläne sich verwirklichen, wenn man seinen Nächsten verachtet?«
»Sei nicht so verstiegen, Ramses! Du schuldest mir Respekt!«
»Noch ist Sethos Pharao, Herr über Ober- und Unterägypten, wenn ich nicht irre.«
»Der Spott hat seine Grenzen, morgen wirst du mir gehorchen müssen.«
»Morgen ist noch weit.«
»Dein Irrtum wird dem Untergang sein.«
»Beabsichtigst du, auch mich wie einen hethitischen Gefangenen zu behandeln?«
Empört brach Chenar das Gespräch ab.
»Dein Bruder ist ein mächtiger und gefährlicher Mann«, bemerkte Moses, »hältst du es für nötig, ihn derart herauszufordern?«
»Er erschreckt mich nicht. Was wolltest du vorhin sagen, in bezug auf die Götter?«
»Ich weiß selbst nicht so recht, seltsame Gedanken gehen mir durch den Kopf und quälen mich. Solange ich ihr Geheimnis nicht entschlüsselt habe, werde ich keinen Frieden finden.«
DREIUNDZWANZIG
Ameni liess nicht locker. Als rechte Hand des königlichen Schreibers Ramses hatte er Zugang zu zahlreichen Verwaltungsdienststellen, wo er Freunde zu gewinnen wußte, die ihm bei seinen Nachforschungen halfen. So ging er die ganze Liste der Werkstätten durch, die Tintensteine herstellten, und ließ sich die Namen der Besitzer nennen. Wie Königin Tuja schon zu Ramses gesagt hatte, waren die Angaben zu dieser verdächtigen Werkstatt tatsächlich verschwunden.
Da diese Spur nun im Sande verlief, legte Ameni einen wahren Ameisenfleiß an den Tag. Er mußte jene Würdenträger ausfindig machen, die mit den Schreibern in unmittelbarem Kontakt standen, deren Hab und Gut auflisten und dabei hoffentlich auf die Werkstatt stoßen. Aber auch diese Spur führte trotz tagelanger Suche nicht weiter.
Jetzt blieb nur noch eines zu tun: die Abfallhalden nach Scherben durchzukämmen, angefangen bei der Halde, wo er selbst fast zu Tode gekommen wäre. Bevor ein Schreiber irgend etwas auf Papyrus übertrug, benutzte er, wenn er seine Arbeit gewissenhaft tat, erst einmal eine Kalksteinscherbe für den Entwurf. Diese wanderte dann mit unzähligen anderen in ein großes Loch, das sich auffüllte im Rhythmus der Schriftstücke, die diese Behörde zu liefern hatte.
Ameni war sich nicht einmal sicher, daß es eine zweite Ausfertigung der Besitzurkunde dieser Werkstatt gab. Dennoch widmete er dieser Wühlarbeit zwei Stunden täglich und fragte nicht nach der Aussicht auf Erfolg.
Iset betrachtete die Freundschaft zwischen Moses und Ramses mit Argwohn. Der Hebräer, ein gequälter Geist, der seinen Weg noch nicht gefunden hatte, übte einen schlechten Einfluß auf den Ägypter aus. Daher zog die junge Frau ihren Geliebten in einen Wirbel von Vergnügungen und sprach vorsichtshalber nicht mehr von ihrem Heiratswunsch. Ramses ging ihr in die Falle. Von Haus zu Haus, von Garten zu Garten, von Empfang zu Empfang führte er das müßige Leben eines Adeligen und überließ Ameni die Erledigung der laufenden Geschäfte.
Ägypten war ein Traum, der Wirklichkeit geworden war. Ein Paradies, das Tag um Tag neue Wunder darbot: Beglückung im Überfluß für den, der den Schatten eines Palmenhains, den Honig einer Dattel, das Lied des Windes, die Schönheit des Lotos oder den Duft der Lilien zu würdigen wußte. Und war es nicht vollkommenes Glück, wenn dazu noch die Leidenschaft einer hebenden Frau hinzukam?
Iset, die Schöne, wiegte sich im Glauben, Ramses’ Gedanken kreisten nur um sie. Ihr Geliebter war fröhlich und stürmisch wie kein anderer. Ihre Liebesspiele nahmen kein Ende, die Lust war ihnen gemeinsam und feuerte sie an. Wächter entwickelte sich zum Leckermaul bei all den Köstlichkeiten, die die Köche der nobelsten Familien von Memphis zubereiteten.
Ganz offensichtlich war den beiden Söhnen des Sethos der Weg vom Schicksal vorgezeichnet: für Chenar die Staatsgeschäfte, für Ramses ein ruhiges, aber glanzvolles Leben. Iset war mit dieser Aufgabenteilung vollauf zufrieden.
Eines Morgens war das Schlafzimmer leer, Ramses war schon aufgestanden. Beunruhigt lief sie in den Garten. Sie rief nach ihrem Geliebten, doch er antwortete nicht. Sie wurde fast wahnsinnig, entdeckte ihn dann aber am Brunnen, wo er mitten in einem Irisbeet saß und meditierte.
»Was ist los mit dir? Ich bin vor Angst fast gestorben!«
Sie kniete sich neben ihn.
»Gibt es eine neue Sorge, die dich quält?«
»Für ein Leben an deiner Seite bin ich nicht geschaffen.«
»Du irrst dich, sind wir denn nicht glücklich?«
»Diese Art Glück genügt mir nicht.«
»Verlang nicht zuviel vom Leben, es könnte sich letztlich gegen dich wenden.«
»Ein schönes Kräftemessen, das du mir da verheißt.«
»Ist Hochmut etwa eine Tugend?«
»Wenn er einem etwas abverlangt und man über sich hinauswächst, dann schon. Ich muß mit meinem Vater sprechen.«
Seit zwischen Ägyptern und Hethitern Waffenruhe herrschte, waren die Kritiker verstummt. Man war sich einig, daß Sethos weise gehandelt hatte, keinen Krieg mit Ungewissem Ausgang heraufzubeschwören, selbst wenn das ägyptische Heer in der Lage schien, die hethitischen Truppen zu besiegen.
Obwohl Chenar kräftig auftrumpfte, glaubte ihm niemand. Laut Aussage der hohen Offiziere hatte der ältere Sohn des Königs an keiner Auseinandersetzung wirklich teilgenommen, sondern nur aus sicherer Entfernung die Scharmützel beobachtet.
Der Pharao hörte zu und handelte entsprechend.
Er hörte seine Berater an, von denen einige es ehrlich meinten, verglich die Aussagen, trennte die Spreu vom Weizen und traf keinerlei übereilte Entscheidung.
Er arbeitete in dem weitläufigen Raum des Hauptpalastes von Memphis. Aus drei hohen holzvergitterten Fenstern fiel das Licht herein, die Wände waren weiß und durch keinerlei Schmuck aufgelockert. Die schlichte und karge Einrichtung bestand aus einem großen Tisch, einem Sessel mit gerader Rückenlehne für den Herrscher und Rohrgeflechtstühlen für die Besucher sowie einem Schrank für Papyri.
Hier, in dieser Einsamkeit und Stille, entwarf der Herr beider Länder die Zukunft des mächtigsten Landes der Welt und versuchte, es auf dem von der Maat vorgezeichneten Weg zu halten, denn die Maat war die Verkörperung der Weltordnung.
In diese Stille drang plötzlich Geschrei. Es kam vom Innenhof her, wo die dem König und seinen Beratern vorbehaltenen Wagen standen.
Aus einem der Fenster erblickte Sethos ein Pferd, das plötzlich irrsinnig geworden zu sein schien. Nachdem es den Strick zerrissen hatte, mit dem es an einen Pfosten gebunden war, galoppierte es kopflos umher und gefährdete jeden, der sich ihm zu nähern wagte. Es keilte aus und warf einen Aufseher zu Boden, schlug abermals aus und traf einen betagten Schreiber, der sich zu spät in Sicherheit gebracht hatte.