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»Steh auf, Ramses, deine erste Reise ist beendet.«

Allerorts erhoben sich Pyramiden in den Himmel. Die eindrucksvollste war die das Pharaos Djoser, deren ausladende Stufen eine zum Himmel aufsteigende Treppe bildeten. Und noch eine Begräbnisstätte zeigte der Vater Ramses: das riesige Sakkara, wo die Pharaonen des Alten Reichs für sich und ihre getreuen Diener Heimstätten für die Ewigkeit hatten errichten lassen.

Sethos trat an den Rand der felsigen Kuppe, von wo aus man die Palmhaine, die Felder und den Nil überblickte. Auf mehr als zweitausend Königsellen Fläche reihten sich gewaltige Grabstätten aus Rohziegeln. Sie waren gut hundert Königsellen lang, und die Seitenwände glichen Palastfassaden und waren zehn Ellen hoch und in lebhaften und fröhlichen Farben bemalt.

Eine dieser Mauern, aus der dreihundert tönerne Stierköpfe vorragten, fand große Bewunderung bei Ramses. Die Köpfe trugen echte Hörner und verwandelten das Grabmal in eine unbesiegbare Armee, der sich keine böse Macht zu nähern wagen würde.

»Der hier beigesetzte Pharao trug den Namen Djet, und das bedeutet Ewigkeit«, erklärte Sethos. »Um ihn geschart liegen die anderen Könige der ersten Dynastie, unsere frühesten Ahnen. Zum erstenmal auf Erden haben sie das Gesetz der Maat angewandt und dem Chaos die Ordnung aufgeprägt. Jede Herrschaft wurzelt in diesem von ihnen angelegten Garten. Entsinnst du dich des wilden Stiers, dem du die Stirn geboten hast? Hier wurde er geboren, hier speist sich seit Anbeginn unserer Kultur die Macht stets von neuem.«

Ramses hielt vor jedem Stierkopf inne, denn keiner hatte denselben Gesichtsausdruck. Die Kunst des Regierens zeigte sich in ihren Mienen, die von strengster Erhabenheit bis zum Wohlwollen reichten. Als er das eigenartige Bauwerk einmal umrundet hatte, bestieg Sethos seinen Wagen.

»Hier endet deine zweite Reise.«

Sie waren gen Norden gesegelt und dann auf schmalen Pfaden zwischen grünenden Feldern bis zu einem Marktflecken galoppiert, wo die Ankunft des Pharaos mit seinem Sohn Jubel auslöste. In diesem abgelegenen Winkel im Delta kam ein solcher Glücksfall einem Wunder gleich, doch der Pharao schien diesen Bewohnern wohlbekannt. Auch die Wachen gaben sich wohlwollend, als Sethos und Ramses ein ins Dunkel getauchtes kleines Heiligtum betraten. Auf Steinbänken setzten sie sich einander gegenüber.

»Ist dir der Name Auaris bekannt?«

»Wer kennt ihn nicht?! Es ist doch der Name der verfemten Stadt, die die Hyksos-Belagerer als Hauptstadt nutzten.«

»Du befindest dich in Auaris.«

Ramses war sprachlos.

»Aber war sie denn nicht zerstört worden?«

»Welcher Mensch vermöchte eine Gottheit zu zerstören? Hier herrscht Seth, der Herr über Blitz und Donner, der mir meinen Namen verliehen hat.«

Ramses wußte nichts zu sagen. Er spürte, daß Sethos in der Lage war, ihn mit einem einzigen Handzeichen oder einem einzigen Blick zu vernichten. Aus welchem anderen Grunde hätte er ihn sonst an diesen verfemten Ort gebracht?

»Du hast Angst, und das ist gut so. Nur Prahler und Dummköpfe kennen keine Angst. Aus dieser Furcht muß eine Kraft entstehen, die sie zu besiegen vermag. Dies ist das Geheimnis Seths. Wer das leugnete wie Echnaton, beging einen schweren Fehler und schwächte Ägypten. Ein Pharao verkörpert auch das Gewitter, den Zorn des Alls, die Unerbittlichkeit des Blitzes. Er ist der handelnde Arm, der manchmal zuschlägt und straft. An das Gute im Menschen zu glauben ist ein Fehler, den ein König nicht begehen darf. Er würde sein Land in den Untergang und sein Volk ins Elend führen. Doch bist du fähig, Seth die Stirn zu bieten?«

Ein Lichtstreif vom Dach des Heiligtums erhellte das Standbild eines Mannes. Sein Haupt mit der langen Schnauze und den zwei großen Ohren flößte Angst ein. Es war Seth, dessen schreckenerregendes Antlitz da aus der Finsternis auftauchte!

Ramses erhob sich und ging auf ihn zu.

Er stieß gegen eine unsichtbare Mauer und mußte innehalten; ein zweiter Versuch mißlang ebenfalls, aber beim dritten vermochte er das Hindernis zu überwinden. Die roten Augen des Standbildes funkelten wie zwei Flammen. Ramses hielt dem Blick stand, obgleich er ein Brennen verspürte, als leckte eine Feuerzunge an seinem Körper entlang. Der Schmerz war heftig, aber er hielt ihn aus. Nein, er würde nicht zurückweichen vor Seth, selbst wenn er dabei zugrunde ginge.

Das war der entscheidende Augenblick, ein ungleicher Zweikampf, den er nicht verlieren durfte. Die roten Augen traten aus ihren Höhlen hervor, eine Flamme umhüllte Ramses, verzehrte ihn vom Kopf an abwärts, sein Herz zersprang. Doch er blieb aufrecht, heftete all seine Kraft auf Seth und schleuderte ihn von sich bis in den hintersten Winkel des Heiligtums.

Das Gewitter setzte ein, sintflutartiger Regen ging auf Auaris nieder. Hagelkörner ließen die Mauern des Heiligtums erbeben. Das rote Licht erlosch, Seth zog sich in die Finsternis zurück. Er war der einzige Gott, der keinen Sohn besaß, aber der Pharao Sethos, sein Erbe auf Erden, erkannte den seinen als mächtigen Mann.

»Deine dritte Reise ist beendet«, murmelte er.

VIERUNDDREISSIG

Der Hof war vollzählig nach Theben gereist, um teilzunehmen an dem großartigen Opet-Fest, das Mitte September stattfand. Der Pharao würde dann mit Amun, dem Verborgenen, in Verbindung treten, damit dieser den Ka seines Sohnes, der ihn auf Erden vertrat, zu neuem Leben erweckte. Dieses zwei Wochen währende Fest in der großen Stadt des Südens konnte sich kein Adeliger entgehen lassen. Die Kulthandlungen waren zwar nur einigen wenigen Eingeweihten vorbehalten, aber auch das Volk gönnte sich ein paar schöne Tage, und die Reichen luden ihresgleichen in prachtvolle Landhäuser.

Für Ameni war die Reise ein Qual gewesen. Da er immer einen ganzen Packen Papyri und all sein Schreibgerät mitschleppen mußte, haßte er derartige Unternehmungen, weil sie seine Arbeitsgewohnheiten störten. Obwohl er seinen Unmut nicht verhehlte, hatte er doch alles äußerst sorgfältig vorbereitet, so daß Ramses zufrieden sein konnte.

Der Prinz war ein anderer geworden seit der letzten Reise. Er war verschlossener und zog sich häufig zurück, um nachzudenken. Ameni belästigte ihn nicht, erstattete ihm nur täglich Bericht über sein Tun. Als königlicher Schreiber und höherer Offizier hatte der Prinz allerlei Verwaltungsangelegenheiten zu regeln, und das nahm Ameni ihm ab.

Zumindest war man hier auf dem Schiff, das nach Theben segelte, Iset erst einmal los, sagte sich Ameni. Die ganze Zeit, da Ramses nicht da war, hatte sie ihm Auskünfte zu entlocken versucht, die er gar nicht geben konnte. Da er unempfänglich war für den Liebreiz der jungen Frau, verliefen diese Wortwechsel meist recht stürmisch. Als Iset dann von Ramses gefordert hatte, seinen Schreiber zu entlassen, hatte der Prinz sie ohne Umschweife des Hauses verwiesen. Dieser Zwist hatte tagelang angehalten. Das hübsche Edelfräulein hatte begreifen müssen, daß Ramses seine Freunde nie verriet.

In seiner engen Kajüte verfaßte Ameni Briefe, die Ramses mit seinem Siegel versah. Er ließ sich auf einer Matte neben dem Schreiber nieder.

»Wie kannst du eine so glühende Sonne bloß ertragen?« wunderte sich Ameni. »Mich würde in kürzester Zeit der Schlag treffen.«

»Wir verstehen uns, die Sonne und ich. Ich verehre sie, sie nährt mich. Willst du nicht ein Weilchen aufhören zu arbeiten und dir die Landschaft ansehen?«

»Müßiggang macht mich krank. Deine letzte Reise scheint dir nicht gut bekommen zu sein.«

»Ist das ein Vorwurf?«

»Du bist seitdem zum Einzelgänger geworden.«

»Das habe ich wohl von dir übernommen.«

»Spotte nicht über mich, und bewahre ruhig dein Geheimnis.«

»Ein Geheimnis? Ja, da magst du recht haben.«

»Du vertraust mir also nicht mehr.«

»Im Gegenteil, du bist der einzige, der das Unerklärliche zu verstehen vermag.«