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»Hat dein Vater dich mit den Osiris-Mysterien vertraut gemacht?« fragte Ameni begierig.

»Nein, aber er hat mich mit seinen Ahnen bekannt gemacht, mit all seinen Ahnen.«

Diese letzten Worte hatte Ramses mit einem solchen Ernst ausgesprochen, daß der junge Schreiber innerlich erbebte. Was der Prinz da erlebt hatte, war zweifellos eine der wichtigsten Erfahrungen auf seinem Lebensweg gewesen. Ameni stellte die Frage, die ihm auf den Lippen brannte.

»Hat der Pharao deine Bestimmung geändert?«

»Er hat mir eine andere Wirklichkeit vor Augen geführt. Ich bin dem Gott Seth begegnet.«

Ameni erschauderte.

»Und du – du lebst noch!«

»Faß mich ruhig an!«

»Sollte sonst jemand behaupten, Seth gegenübergestanden zu haben, würde ich ihm nicht glauben! Bei dir ist das etwas anderes.«

Nicht ganz ohne Scheu drückte Ameni Ramses die Hand. Der Hinge Schreiber seufzte erleichtert.

»Er hat dich nicht in einen bösen Geist verwandelt.«

»Wer weiß?«

»Ich wüßte es, du bist nicht wie Iset, die Schöne!«

»Sei nicht zu streng mit ihr.«

»Hat sie nicht versucht, meine Laufbahn zu zerstören?«

»Ich werde ihr ihren Irrtum schon beweisen.«

»Erwarte nicht von mir, daß ich liebenswürdig bin zu ihr.«

»Ach, übrigens, bist du nicht etwas zu einsam und vielleicht gar verbittert?«

»Die Frauen sind gefährlich, meine Arbeit ist mir lieber. Und du solltest dich mit deinen Aufgaben anläßlich des Opet-Festes befassen. Du wirst im ersten Drittel des Festzuges gehen und ein neues Gewand aus Leinen mit gefältelten Ärmeln tragen. Denk daran, daß so etwas leicht reißt. Du mußt dich geradehalten und darfst keine heftigen Bewegungen machen.«

»Das stellt mich aber auf eine harte Probe.«

»Wer von der Kraft Seths beseelt ist, schafft das spielend.«

Kanaan und Syrisch-Palästina waren befriedet, Galiläa und der Libanon unterworfen, die Beduinen und die Nubier besiegt, die Hethiter hinter den Orontes zurückgeschlagen – Ägypten und Theben konnten sorglos feiern. Im Norden wie im Süden hatte das mächtigste Land der Erde die bösen Geister bezwungen, die es seiner Reichtümer berauben wollten. In acht Regierungsjahren hatte Sethos sich als großer Pharao erwiesen, dem noch künftige Generationen huldigen würden.

Es war durchgesickert, daß das »ewige Haus« des Sethos im Tal der Könige weiträumiger und schöner werden würde als jedes andere zuvor. Mehrere Baumeister waren in Karnak am Werk, und der Pharao überwachte persönlich diese große Baustelle. Auch über den Tempel in Kurna, auf dem westlichen Ufer, wurden Lobeshymnen gesungen. Dort sollte dem Ka des Sethos, seiner geistigen Kraft, auf ewig ein Kult geweiht werden.

Mittlerweile gaben auch die Andersdenkenden zu, daß der Herrscher recht getan hatte, sich nicht auf einen gewagten Krieg gegen die Hethiter einzulassen und statt dessen die Kräfte des Landes zu bündeln auf die Errichtung von steinernen Heiligtümern, die Schreine der göttlichen Gegenwart darstellten. Dennoch war, wie Chenar den aufmerksam zuhörenden Würdenträgern erklärte, dieser Aufschub nicht für den Handelsaustausch genutzt worden, dieses einzige Mittel, um Feindschaften zu beseitigen.

Eine große Zahl Würdenträger erwartete mit Ungeduld die Thronbesteigung des älteren Sohnes ihres Pharaos, denn er war ihnen ähnlich. Sethos’ Unnahbarkeit und sein Hang zum Geheimnisvollen waren für so manche, die auf ihr Amt als Berater pochten, ein Grund für Feindseligkeit. Mit Chenar ließ sich leichter reden, er war zuvorkommender, liebenswürdiger und wußte die Gunst der einen zu erwerben, ohne die anderen vor den Kopf zu stoßen, und er versprach auch jedem, was er hören wollte. Für ihn wäre das Opet-Fest eine weitere Gelegenheit, seinen Einfluß auszuweiten, indem er sich die Freundschaft des Amun-Priesters und seiner Amtsbrüder sicherte.

Gewiß, die Anwesenheit von Ramses störte ihn, doch was er nach Sethos’ unverständlicher Weigerung, den Bruder zum Vizekönig in Nubien zu ernennen, befürchtet hatte, war nicht eingetreten. Der Pharao hatte seinem jüngeren Sohn keinerlei Vorrang eingeräumt, und dieser gab sich offensichtlich auch wie so viele andere Königskinder mit einem Leben in Luxus und Trägheit zufrieden.

Im Grunde hatte Chenar Ramses zu Unrecht gefürchtet und als Rivalen angesehen. Seine Kraft und sein Äußeres täuschten, ihm fehlte der Weitblick eines künftigen Königs. Es wäre nicht einmal nötig, ihn zum Vizekönig in Nubien zu ernennen, was eine viel zu belastende Aufgabe für ihn darstellte. Chenar dachte eher an ein Ehrenamt, vielleicht sollte er Ramses zum Leutnant der Wagenmeisterei ernennen. Da stünden Ramses die besten Reitpferde zur Verfügung, und er könnte über ein paar ungehobelte Kerle herrschen, während Iset, die Schöne, das Muskelspiel ihres reichen Gemahls bewunderte.

Die Gefahr lag anderswo. Wie konnte man Sethos überreden, längere Zeit in den Tempeln zu verweilen und sich zunehmend weniger um die Geschäfte des Landes zu kümmern? Man mußte ihn geschickt belügen und ihn behutsam dazu bewegen, sich mehr und mehr in Gedanken dem Jenseits zuzuwenden. Wenn er, Chenar, die Beziehungen zu ägyptischen und fremdländischen Händlern, deren Worte beim König nur wenig Gehör fanden, pflegte und vervielfachte, würde sein Ansehen stetig wachsen und ihn bald unentbehrlich machen. Trotz bieten durfte man dem Pharao nicht, aber man könnte ihn allmählich ersticken in einem ganzen Netz von Einflüssen, bevor er gewahr würde, wie gefangen er dann war.

Auch seine Schwester Dolente mußte er außer Gefecht setzen. Schwatzhaft, verweichlicht und neugierig, wie sie war, wäre sie ohne jeden Nutzen im Rahmen seiner künftigen Politik. Aus Enttäuschung, keine vorrangige Stellung mehr einzunehmen, würde sie sogar etliche wohlhabende Adelige, auf die er nicht verzichten konnte, gegen ihn aufstacheln. Er hatte schon daran gedacht, Dolente ein riesiges Anwesen, Herden und ein Heer von Dienern anzubieten, aber das würde ihr bestimmt nicht genügen. Wie ihn gelüstete es auch sie nach Intrigen und Komplotten. Aber zwei Krokodile vertrugen sich nicht im selben Sumpf. Doch sich Chenar auf Dauer zu widersetzen, dazu fehlte seiner Schwester das Zeug.

Iset, die Schöne, probierte bereits das fünfte Kleid, doch es gefiel ihr auch nicht besser als die vorigen vier, die entweder zu lang, zu weit oder zuwenig gefältelt waren. Aufgebracht befahl sie ihrer Zofe, sich an eine andere Weberei zu wenden. Beim großen Festmahl zum Abschluß der Feierlichkeiten mußte sie die Schönste sein, um Chenar zu verspotten und Ramses zu verführen.

Atemlos kam die Dienerin angelaufen, der es oblag, Isets Haar zu frisieren.

»Schnell, schnell, setz dich, ich muß dich kämmen und dir eine Festtagsperücke aufsetzen.«

»Was ist der Grund für diese Hetze?«

»Eine Zeremonie beim Tempel von Kurna, auf dem westlichen Ufer.«

»Aber die war doch gar nicht vorgesehen! Die Kulthandlungen beginnen doch erst morgen.«

»So ist es aber nun mal, die ganze Stadt ist in heller Aufregung. Wir müssen uns beeilen.«

Widerwillig begnügte Iset sich mit einem Kleid herkömmlichen Zuschnitts und einer schlichten Perücke, die ihre Jugend und Anmut nicht sonderlich hervorkehrten. Aber dieses unerwartete Ereignis durfte sie sich nicht entgehen lassen.

Der Tempel von Kurna würde nach seiner Fertigstellung dem Kult des unsterblichen Geistes Sethos’ geweiht sein, sobald dieser zurückgekehrt wäre in den Ozean der Kraft, nachdem er zuvor für die Spanne eines Lebens im Leib eines Mannes Gestalt angenommen hatte. Noch waren im geheimen Teil des Bauwerks, wo der König beim Vollzug der Riten dargestellt war, die Bildhauer am Werk. Adel und hohe Würdenträger drängten sich vor der Fassade des Heiligtums in jenem großen Hof unter freiem Himmel, den bald ein Pylon versperren würde. Aus Furcht vor der Glut der Sonne, die trotz der frühen Stunde sehr heftig brannte, schützten die meisten sich mit viereckigen Sonnenschirmen. Belustigt betrachtete Ramses diese hohen Persönlichkeiten in ihren erlesenen Gewändern. Lange Hemden, Umhänge mit bauschigen Ärmeln und schwarze Perücken verliehen ihnen etwas Gekünsteltes. Sie nahmen sich überaus wichtig und würden doch, sobald Sethos erschien, zu Kriechern werden und die Nase am Boden tragen, um ihm nur nicht zu mißfallen.