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Als die Barken der Gottheiten in das Innere des Bauwerks einzogen, war die Menge nicht mehr zugelassen. Während das Fest draußen seinen Fortgang nahm, bereitete sich hier die Wiedergeburt der verborgenen Kräfte vor, von denen die Fruchtbarkeit Ägyptens abhing. Elf Tage lang luden die drei Barken sich in der Verschwiegenheit des Allerheiligsten mit neuer Kraft auf.

Die Amun-Priesterinnen tanzten, sangen und musizierten. Die Tänzerinnen mit dem üppigen Haar und den festen Brüsten waren mit Ladanum eingeölt und mit Lotos parfümiert und trugen auf dem Kopf duftende Binsen.

Unter den Lautenspielerinnen war auch Nefertari. Ein wenig abgerückt von den anderen, befaßte sie sich nur mit ihrem Instrument und schien sonst nichts wahrzunehmen. Wie konnte ein so junges Mädchen nur so ernsthaft sein? Bemüht, unbemerkt zu bleiben, stach sie doch hervor. Ramses suchte ihren Blick, doch die blaugrünen Augen hefteten sich unverwandt auf die Saiten der Laute. Aber wie sie es auch anstellte, ihre Schönheit konnte Nefertari nicht verbergen. Sie übertraf all die anderen Amun-Priesterinnen, deren Liebreiz keineswegs zu leugnen war.

Stille trat ein. Die jungen Frauen zogen sich zurück. Die einen waren befriedigt über ihre Darbietung, die anderen hatten es eilig, ihre Eindrücke auszutauschen. Nefertari verharrte in tiefer Versunkenheit, als lauschte sie dem Echo der Zeremonie in ihrem Herzen.

Der Regent folgte ihr mit Blicken, bis die in makelloses Weiß gekleidete zierliche Gestalt im blendenden Sommerlicht verblaßte.

SECHSUNDDREISSIG

Iset, die schöne, schmiegte sich an den nackten Körper ihres Geliebten und säuselte ihm ein Liebeslied ins Ohr, das alle Hingen Ägypterinnen kannten:

»Wäre ich doch deine Sklavin, gefesselt an deine Schritte. Ich könnte dich kleiden und entkleiden, die Hand sein, die dich kämmt und die dich massiert. Ich wäre die, die dein Gewand wäscht und die dich mit Duft benetzt. Wäre ich doch deine Armreife und dem Schmuck, die deine Haut berühren und ihren Duft kennen.«

»Das singt der Liebhaber, nicht seine Geliebte.«

»Was soll’s? Ich will, daß du es hörst, immer wieder hörst.«

Iset war eine stürmische und zärtliche Geliebte. Geschmeidig und leidenschaftlich, erfand sie ständig neue Spiele, um ihren Geliebten zu entzücken.

»Ob du Regent oder Bauer bist, mich kümmert’s nicht! Dich liebe ich, deine Kraft, deine Schönheit.«

Isets Aufrichtigkeit und Leidenschaft gefielen Ramses. In ihren Augen war keine Spur von Heuchelei. Er erwiderte ihre Hingabe mit der Glut seiner sechzehn Jahre, und im Einklang genossen sie ihre Lust.

»Verzichte«, schlug sie vor.

»Worauf?«

»Auf das Regentenamt, auf die Zukunft als Pharao. Verzichte, Ramses, und lebe glücklich mit mir.«

»Als ich noch Kind war, wollte ich König werden. Dieser Gedanke ließ mich fiebern und nicht mehr schlafen. Dann lehrte mich mein Vater, wie unbedacht ein solcher Ehrgeiz war. Ich verzichtete, vergaß diesen Wahn. Und nun ruft Sethos mich zu sich auf den Thron. Ein feuriger Sturzbach reißt mich mit, und sein Ziel ist mir unbekannt.«

»Stürze dich nicht hinein, bleib am Ufer.«

»Bin ich denn frei in meiner Entscheidung?«

»Schenke mir dein Vertrauen, ich werde dir beistehen.«

»Wie immer du dich auch mühst, ich bin allein.«

Tränen liefen Iset über die Wangen.

»Ich weigere mich, ich will keine Schicksalsergebenheit! Gemeinsam werden wir die Prüfungen leichter bestehen.«

»Ich werde meinen Vater nicht verraten.«

»Laß mich wenigstens nicht im Stich.«

Von Heirat wagte Iset, die Schöne, nicht mehr zu sprechen. Wenn nötig, würde sie im Schatten verharren.

Unter Ramses’ belustigtem Blick betastete Setaou das Diadem und den Uräus des Regenten.

»Fürchtest du diese Schlange etwa?«

»Gegen ihren Biß habe ich keine Arznei, gegen ihr Gift gibt es keine Mittel.«

»Solltest auch du mir vom Amt des Regenten abraten?«

»Also bin ich nicht der einzige, der dieser Ansicht ist?«

»Iset, die Schöne, wünscht sich ein ruhigeres Dasein.«

»Wer könnte es ihr verübeln?«

»Du, der Abenteurer, träumst plötzlich von einem zurechtgestutzten und friedlichen Leben?«

»Der Weg, den du einschlägst, ist voller Gefahren.«

»Haben wir uns nicht vorgenommen, die wahre Macht zu ergründen? Du setzt täglich dein Leben aufs Spiel. Warum sollte ich verzagter sein?«

»Ich trotze nur Reptilien, du wirst gegen Menschen antreten müssen, eine viel gefährlichere Art.«

»Wärest du bereit, mir zur Seite zu stehen?«

»Aha, der Regent bildet seine Gefolgschaft…«

»Ich vertraue dir und Ameni.«

»Moses nicht?«

»Er kennt seinen eigenen Weg, aber ich bin überzeugt, ihn als Haumeister wiederzutreffen. Gemeinsam werden wir großartige Tempel errichten.«

»Und Acha?«

»Ich werde mit ihm reden.«

»Dein Angebot ehrt mich, aber ich lehne es ab. Habe ich dir schon gesagt, daß ich Lotos zur Gemahlin nehmen werde? Vor Frauen muß man sich in acht nehmen, das gebe ich zu, aber Lotos ist eine wertvolle Gehilfin. Ich wünsche dir Glück, Ramses.«

In knapp einem Monat hatte Chenar die Hälfte seiner Freunde eingebüßt. Es war also noch nicht alles verloren. Er hatte befürchtet, allein zu stehen, aber etliche Würdenträger glaubten trotz Sethos’ Entscheidung nicht an Ramses’ Zukunft. Es könnte ja sein, daß beim Ableben des Pharaos der Regent sich aus Trauer und mangelndem Selbstvertrauen zur Übergabe des Amtes in erfahrenere Hände entschlösse.

War Chenar denn nicht Opfer einer Ungerechtigkeit geworden? Ihn, den künftigen Nachfolger, hatte man ohne weitere Erklärung und ohne Federlesen einfach zur Seite gedrängt. Wie hatte Ramses seinen Vater denn dazu bringen können, wenn nicht durch Verleumdung seines älteren Bruders?

Chenar genoß es, als Opferlamm betrachtet zu werden. Jetzt lag es an ihm, diesen unerwarteten Vorteil zu nutzen, zunehmend beunruhigendere Gerüchte auszustreuen und, wenn Ramses sich vergaloppierte, als sicherer Hort zu erscheinen. Dies alles einzufädeln würde Zeit brauchen, viel Zeit, denn um Erfolg zu haben, mußte er auch die Pläne des Gegners kennen. Daher bat Chenar um eine Audienz beim neuen Regenten, der in einem Trakt des Königspalastes von Memphis in unmittelbarer Nähe des Pharaos residierte.

Doch zuerst war das Hindernis Ameni zu überwinden, Ramses’ böser Geist. Wie konnte man ihn bloß bestechen? Er hielt nichts von Frauen, auch nichts von Tafelfreuden, hockte ständig in seinem Arbeitszimmer und schien keinen anderen Ehrgeiz zu haben, als Ramses zu dienen. Aber jeder Panzer hatte einen wunden Punkt, und den würde er, Chenar, schon herausfinden.

Ehrerbietig richtete er das Wort an den Sandalenträger des Regenten und beglückwünschte ihn zum tadellosen Zustand seiner neuen Amtsräume. Ameni, bei dem Schmeicheleien nichts fruchteten, würdigte Chenar keines Wortes und führte ihn nur in den Audienzsaal des Regenten.

Auf den Stufen des Podests mit dem Thron hockte Ramses und spielte mit seinem Hund und seinem kleinen Löwen, der zusehends kräftiger wurde. Die beiden Tiere verstanden sich prachtvoll, der Löwe bezwang seine Kraft und der Hund seinen Hang, ihn zu necken. Wächter hatte dem kleinen Wildfang sogar beigebracht, unbemerkt Fleisch aus den Küchen zu stehlen, und Schlächter hatte sich angewöhnt, den gelben Hund zu schützen und niemanden an ihn heranzulassen.

Chenar stand wie vom Donner gerührt.

Das sollte ein Regent sein? Der zweite Mann im Staat nach dem Pharao? Ein spielender Knabe in der Kraft seiner Jugend! Sethos mußte eine solch unbesonnene Entscheidung ja bereuen! Obwohl er vor Empörung kochte, riß Chenar sich zusammen.