»Mein Brief?«
»Streitest du etwa ab, mir geschrieben zu haben?«
»Geschrieben? Schreiben ist nicht meine Stärke. Wenn ich nicht umhinkann, erbitte ich die Dienste eines Schreibers.«
»Hast du mich nicht gewarnt, weil zwischen Arbeitern und Soldaten Streit herrscht?«
»Niemals, Majestät! Reibereien gibt es immer mal wieder, aber das bereinigen wir unter uns.«
»Und die Vorarbeiter?«
»Wir achten sie, und sie achten uns. Das sind keine Städter, sondern erfahrene Arbeiter. Sie haben eigenhändig zugepackt und kennen den Beruf. Wenn einer sich mal für etwas Besseres hält, regeln wir das unter uns.«
Aper rieb sich die Hände, als müsse er mit bloßen Fäusten antreten gegen einen, der sich zu viel Macht anmaßte.
»Ist der Hauptsteinbruch nicht allmählich erschöpft?«
Dem Vorsteher der Hauer verschlug es den Atem.
»Wer – wer hat denn das mitgeteilt?«
»Entspricht es der Wahrheit?«
»Mehr oder weniger, es wird allmählich mühsamer, wir müssen tiefer graben. In zwei oder drei Jahren werden wir an anderer Stelle suchen müssen. Aber daß du das bereits weißt, das ist ja… das Zweite Gesicht!«
»Zeig mir die zweifelhafte Stelle.«
Aper führte Sethos und Ramses auf eine kleine Anhöhe, von der aus man den größten Teil des ausgebeuteten Geländes überblicken konnte.
»Hier, zur Linken«, sagte er und streckte die Hand aus. »Wir zögern noch, einen Obelisken herauszuschälen.«
»Schweigen wir«, gebot Sethos.
Ramses sah, wie der Blick des Vaters ein anderer wurde. Mit gebündelter Kraft schien er sich ins Innerste des Gesteins zu bohren, den eigenen Leib in Granit zu verwandeln. Von Sethos ging eine fast unerträgliche Glut aus. Sprachlos wich Aper zur Seite, während Ramses neben dem Herrscher stehenblieb. Auch er versuchte, hinter den Augenschein vorzudringen, doch seine Gedanken brachen sich an den undurchlässigen Gesteinsbrocken, und er empfand einen stechenden Schmerz auf der Höhe des Sonnengeflechts. Doch er kämpfte verbissen und vermochte schließlich auch, die einzelnen Flöze im Fels deutlich zu unterscheiden. Sie schienen aus den Tiefen der Erde zu kommen, sich der Sonne und der Luft zu öffnen, eine besondere Form anzunehmen und sich schließlich zu dem rosenfarbenen Granit mit den funkelnden Einschlüssen zu verfestigen.
»Hört auf an der bisherigen Stelle, und grabt rechts weiter auf breiter Front«, befahl Sethos. »Über Jahrzehnte hinweg wird der Granit sich großmütig zeigen.«
Der Vorsteher der Steinhauer lief den Abhang hinunter und hieb mit einem Meißel eine Rille ms Gestein. Die schwärzliche Färbung verhieß nichts Gutes. Doch der Pharao hatte sich nicht geirrt, unter der splittrigen Oberfläche lag ein Granit von blendender Schönheit.
»Auch du, Ramses, hast es gesehen. Mach weiter so, dring immer weiter vor ins Herz des Gesteins, dann wirst du es erkennen.«
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Wunder des Pharaos in den Steinbrüchen, auf den Ufern und in der Stadt. Die Zeit der Prachtbauten würde andauern und Assuan weiterhin Wohlstand bringen.
»Aper hat diesen Brief nicht geschrieben«, sagte Ramses, »wer hat es gewagt, dich in die Irre zu führen?«
»Man hat mich nicht hierhergeleitet, um eine neue Gesteinsader zu eröffnen«, erwiderte Sethos. »Der Sender dieses Schreibens hatte mit diesem Ergebnis nicht gerechnet.«
»Was erhoffte er sich?«
Noch unschlüssig, gingen der König und sein Sohn den seitlich am Hang entlangführenden schmalen Pfad hinab. Sicheren Schrittes ging Sethos voran.
Ein Grollen ließ Ramses stutzen.
Als er sich umwandte, sprangen, aufgescheuchten Gazellen gleich, zwei Steine den Abhang herunter und streiften sein Bein; dann setzte Steinschlag ein und löste einen mächtigen Granitblock, der den Abhang hinunterdonnerte.
Eine Staubwolke nahm Ramses die Sicht.
»In Deckung, Vater!« schrie Ramses.
Er sprang einen Schritt rückwärts und stürzte, doch Sethos hatte schon kraftvoll zugepackt, ihn aufgehoben und aus der Falllinie gezogen. Der Granitblock donnerte zu Tal, Schreie hallten wider. Hauer und Steinmetze hatten einen Mann gesichtet, der das Weite suchte.
»Der da, der dort drüben! Der hat den Block losgeschlagen und zum Kippen gebracht!« rief Aper.
Die Verfolgungsjagd begann.
Aper bekam als erster den Flüchtenden zu packen und versetzte ihm einen Fausthieb in den Nacken, um ihn zum Anhalten zu zwingen. Doch der Vorsteher der Hauer hatte seine Kraft falsch eingeschätzt, und er konnte dem Pharao nur noch einen Leichnam vorführen.
»Wer ist der Mann?« fragte Sethos.
»Keine Ahnung«, antwortete Aper. »Der hat hier nicht gearbeitet.«
In Assuan hatte man schnell herausgefunden, daß der Mann ein ehemaliger Binnenschiffer, Witwer und kinderlos war und Steingutgefäße verkauft hatte.
»Der Anschlag galt dir«, erklärte Sethos. »Doch in diesen Block war dein Tod nicht eingeschrieben.«
»Gestattest du mir, selbst nach der Wahrheit zu forschen?«
»Ich verlange es sogar.«
»Ich weiß schon, wem ich die Nachforschungen anvertrauen kann.«
NEUNUNDDREISSIG
Ameni zitterte und frohlockte zugleich. Er zitterte, weil Ramses ihm gerade erzählt hatte, wie er einem entsetzlichen Tod entronnen war; er frohlockte, weil der Regent ihm mit dem Brief an Sethos, der die Reise nach Assuan ausgelöst hatte, ein großartiges Beweisstück ausgehändigt hatte.
»Eine schöne Schrift«, sagte er, »eine Person aus höheren Kreisen, gebildet und erfahren im Abfassen von Sendschreiben.«
»Der Pharao wußte also, daß es nicht von einem der Vorsteher dort stammte und man ihm eine Falle stellen wollte.«
»Meiner Meinung nach hatte man es auf euch beide abgesehen, Unfälle auf Baustellen sind ja keine Seltenheit.«
»Bist du einverstanden, die Nachforschungen voranzutreiben?«
»Aber natürlich! Allerdings…«
»Allerdings?«
»Ich muß dir etwas gestehen. Ich habe nie aufgehört, nach dem Besitzer der verdächtigen Werkstatt zu fahnden. Ich hätte dir zu gern den Beweis gebracht, daß Chenar der Schuldige war, aber das ist mir nicht gelungen. Doch dies hier ist ja viel aufschlußreicher.«
»Hoffen wir es.«
»Hat man noch mehr über den Schiffsmann in Erfahrung gebracht?«
»Nein, sein Auftraggeber scheint unantastbar.«
»Eine echte Schlange also, wir sollten Setaous Mithilfe erbitten.«
»Warum eigentlich nicht?«
»Sei getrost, es ist bereits geschehen.«
»Und was hat er gesagt?«
»Da es um deine Sicherheit geht, ist er bereit, mich tatkräftig zu unterstützen.«
Chenar konnte dem Süden nichts abgewinnen. Dort war es ihm zu heiß, und dort war man auch nicht so aufgeschlossen wie im Norden für all das Neue, das die Welt bot. Der riesige Tempel von Karnak allerdings war ein so reiches und so einflußreiches Wirtschaftsgebilde, daß keiner, der die höchste Macht anstrebte, auf die Unterstützung des Hohenpriesters verzichten konnte. Daher machte er ihm einen Anstandsbesuch, wobei allerdings nur Belangloses zur Sprache kam. Doch mit Genugtuung stellte Chenar fest, daß dieser hohe Würdenträger, der die Machtspiele in Memphis aus der Ferne beobachtete, ihm keineswegs feindlich gesinnt war und sich im rechten Augenblick auf die Seite des Stärkeren schlagen würde. Daß er nicht Ramses’ Loblied sang, war ein ermutigendes Zeichen.
Chenar ersuchte um die Erlaubnis, eine gewisse Zeit im Tempel zu verweilen, um fern aller Geschäftigkeit des öffentlichen Treibens ein wenig Besinnung zu finden. Es wurde ihm gestattet, doch Sethos’ älterer Sohn gewöhnte sich nur schwer an das karge Dasein in einer Priesterzelle, erreichte aber sein Ziel, Moses zu treffen.
In einer Arbeitspause begutachtete der Hebräer eine Säule. Auf ihr war die Zurückgabe des göttlichen Auges dargestellt und die Erfassung der Welt.