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Chenars Antwort überraschte Ramses, da er keine Einwände erhob und seinen Fehler sogar zugab.

»Dein Vorgehen kann ich nur gutheißen«, fuhr Chenar fort, »nur Änderung bringt Gesundung. Kein Verstoß gegen die guten Sitten, und sei er noch so geringfügig, darf geduldet werden. In diesem Bereich kann ich mich dir wirklich als nützlich erweisen, denn mein Amt gewährt mir Einblick in das Gebaren bei Hof und macht es mir leicht, Regelwidrigkeiten aufzuspüren. Es genügt auch nicht, sie aufzudecken, jedes Fehlverhalten muß berichtigt werden.«

Ramses fragte sich, ob er wirklich seinen Bruder vor sich hatte. Welcher wohlwollende Gott hatte denn aus dem verschlagenen Höfling einen Verfechter des Rechts gemacht?

»Ich nehme dein Angebot gerne an.«

»Nichts könnte mich mehr beglücken als brüderliche Zusammenarbeit! Ich werde gleich anfangen, meinen Stall auszumisten, und dann werden wir uns all die anderen im Reich vornehmen.«

»Siehst du denn überall Unrat?«

»Sethos ist ein großer König, sein Name wird in die Geschichte eingehen, aber er kann sich nicht um alles und jeden kümmern! Als Würdenträger, Sohn oder Enkel eines solchen nimmt man schlechte Gewohnheiten an und maßt sich zum Schaden anderer gewisse Vorrechte an. Als Regent hast du die Möglichkeit, diesem Sittenverfall Einhalt zu gebieten. Ich gestehe, auch ich habe in der Vergangenheit von Vorrechten Gebrauch gemacht, doch dies ist nun vorbei. Wir sind Brüder, der Pharao hat jedem seinen rechtmäßigen Platz zugewiesen. Aus dieser Erkenntnis müssen wir leben und handeln.«

»Ist das Waffenstillstand oder Friede?«

»Friede, endgültig und unwiderruflich«, beteuerte Chenar. »Wir haben einander nur zu oft die Stirn geboten, daran trägt jeder von uns beiden Schuld. Dieser Bruderkrieg ist sinnlos geworden. Du bist der Regent und ich der Oberste Zeremonienmeister. Arbeiten wir Hand in Hand zum Wohle unseres Landes.«

Ramses war verwirrt, als Chenar gegangen war. War das nur wieder eine Falle, ein neuer Schachzug, oder war der Bruder diesmal ehrlich?

VIERZIG

Der grosse Thronrat versammelte sich gleich im Anschluß an die Feier der Morgenrituale. Die Sonne stach, jeder suchte nach Schatten. Dicke Schweißtropfen verunstalteten so manchen übergewichtigen Höfling, der sich befächeln ließ, sobald er sich bewegen mußte.

Der Audienzsaal des Königs allerdings war wohltuend kühl, denn die geschickte Anordnung der hohen Fenster gewährleistete eine Durchlüftung, die den Raum angenehm machte. Der König, der sich um die Mode nicht scherte, trug ein schlichtes weißes Hemd, während etliche hohe Amtsinhaber geradezu wie Gecken wirkten. Der Wesir, die Hohenpriester von Memphis und Heliopolis sowie der Oberste der Wüstenwachmannschaften nahmen ebenfalls teil an dieser außergewöhnlichen Ratsversammlung.

Ramses, der zur Rechten seines Vaters saß, musterte sie alle. Furchtsame, Sorgenvolle, Eitle, Maßvolle, kurz, die verschiedensten Arten von Menschen waren hier versammelt unter der Oberherrschaft des Pharaos, der allein den Zusammenhalt sicherte. Sonst hätten sie sich gegenseitig wohl zerfleischt.

»Der Oberste der Wüstenwachmannschaften bringt schlechte Nachricht«, verkündete Sethos. »Er möge sprechen.«

Der hohe Beamte, der jetzt etwa sechzig Jahre alt war, hatte seine Laufbahn zielstrebig Schritt für Schritt verfolgt, bis er an der Spitze angelangt war. Er war ein besonnener, erfahrener Mann, der jeden Pfad der westlichen und östlichen Wüste kannte und in diesen unendlichen Weiten die Sicherheit der Karawanen und Steinbrucharbeiter gewährleistete. Er strebte nicht nach Ruhm und Ehre und bereitete sich allmählich auf einen ruhigen Lebensabend auf seinem Gut bei Assuan vor. Man lauschte seinen Worten mit großer Aufmerksamkeit, zumal er in diesem feierlichen Rahmen sehr selten zu Wort kam.

»Die Goldgräber, die vor einem Monat in die östliche Wüste aufbrachen, sind verschwunden.«

Diese haarsträubende Aussage löste langes Schweigen aus. Ein von Seth geschleuderter Blitz hätte nicht wirkungsvoller sein können. Schließlich erbat der Hohepriester des Ptah das Wort, das der König ihm gewährte. Im großen Thronrat sprach man nur mit Zustimmung des Herrschers, wie man auch einen Redner nie unterbrach. Das Vorgetragene mochte noch so fragwürdig sein – darauf mit einem Gewirr von Stimmen zu antworten, die Mißklang erzeugten, war streng verboten. Wollte man zu einer gerechten Lösung gelangen, hatte man zuerst einmal den Gedanken des anderen zu achten.

»Kannst du dich für diese Auskunft verbürgen?«

»Ja, leider. Im allgemeinen erhalte ich fortlaufend Kunde von den Fortschritten, Schwierigkeiten oder gar Mißerfolgen derartiger Expeditionen, und nun bin ich seit mehreren Tagen ohne Nachricht.«

»Ist so etwas noch niemals vorgekommen?«

»Doch, in unruhigen Zeiten.«

»Könnte es einen Beduinenüberfall gegeben haben?«

»Sehr unwahrscheinlich in dieser Gegend, die von meinen Leuten streng überwacht wird.«

»Unwahrscheinlich oder unmöglich?«

»Kein uns bekannter Stamm konnte diese Goldgräber, die von erfahrenen Wachen begleitet und geschützt waren, angreifen und zum Schweigen bringen.«

»Wie lautet deine Vermutung?«

»Ich habe keine, bin aber äußerst besorgt.«

Das Gold der Wüsten war für die Tempel bestimmt. Dieses unvergängliche, ewiges Leben verheißende Erz, »Fleisch der Götter«, verlieh den Kunstwerken von Menschenhand einen unvergleichlichen Glanz. Außerdem diente es als Zahlungsmittel für eingeführte Waren wie auch als Gastgeschenk für Herrscher anderer Länder. Die Gewinnung dieses Edelmetalls durfte unter keinen Umständen behindert werden.

»Was schlägst du vor?« fragte der Pharao den Mann.

»Wir sollten nicht länger abwarten und die Armee losschicken.«

»Ich übernehme die Führung, und der Regent wird mich begleiten«, verkündete Sethos.

Die hohe Ratsversammlung begrüßte diese Entscheidung. Chenar, der wohlweislich keinerlei Einspruch erhoben hatte, ermunterte seinen Bruder und versprach, gewisse Amtsgeschäfte schon einmal vorzubereiten, denen er sich dann nach seiner Rückkehr widmen könne.

Am zwanzigsten Tag des dritten Monats im neunten Regierungsjahr Sethos’ zogen vierhundert Soldaten unter Führung des Pharaos und seines Regenten durch die ausgedörrte Wüste nördlich von Edfu, etwa zehn Schoinos südlich des Weges, der zu den Steinbrüchen von Wadi Hammamat führte. Wadi Mia, von wo aus die letzte Nachricht nach Memphis gelangt war, war bald erreicht.

Die Botschaft hatte nichts Beunruhigendes enthalten. Die Goldgräber schienen bestens gelaunt und sämtliche Reisende in bester gesundheitlicher Verfassung. Der Schreiber erwähnte keinerlei Zwischenfall.

Sethos verlangte ständige Wachsamkeit, bei Tag und bei Nacht. Obwohl der Oberste der Wüstenwachmannschaften, der mit seinen besten Männern dabei war, es für ausgeschlossen hielt, fürchtete Sethos einen Überraschungsangriff von Beduinen aus der Sinaihalbinsel. Plünderei und Mord waren bei ihnen an der Tagesordnung. Ihre Anführer hatten sich in ihrem Rausch schon der grausamsten Taten schuldig gemacht.

»Was empfindest du, Ramses?«

»Die Wüste ist überwältigend, aber ich bin besorgt.«

»Was siehst du jenseits dieser Dünen?«

Der Regent sammelte sich. Sethos hatte wieder diesen merkwürdigen, fast übernatürlichen Blick, mit dem er in Assuan eine neue Gesteinsader entdeckt hatte.

»Meine Sicht ist versperrt, jenseits dieser Höhen ist Leere.«

»Ja, Leere. Die Leere eines grauenvollen Todes.«

Ramses erbebte.

»Beduinen?«

»Nein, ein noch viel hinterhältigerer und noch unbarmherzigerer Feind.«

»Müssen wir uns auf den Kampf vorbereiten?«

»Das ist nun nicht mehr nötig.«

Ramses bezwang seine Angst, obwohl sie ihm die Kehle zuschnürte. Welchem Feind waren die Goldgräber zum Opfer gefallen? Wenn es die bösen Geister der Wüste gewesen waren, was die meisten Soldaten vermuteten, so wäre jedes Heer dem Untergang geweiht. Diese geflügelten Raubtiere mit ihren riesigen Klauen zerfetzten ihre Beute und ließen ihr keine Zeit, sich zu verteidigen.