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»Pah!«

Chenar bewies unendliche Geduld, und obwohl Menelaos’ Gebaren und Reden nicht gerade von feiner Lebensart zeugten, fühlte Chenar sich irgendwie angezogen von diesem Fremden mit dem verschlagenen Blick. Sein Gespür veranlaßte ihn, ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken, um die empfindliche Stelle ausfindig zu machen.

Immer wieder kam Menelaos auf die zehn Jahre Krieg zurück, die den Untergang Trojas besiegelt hatten. Er beklagte das grausame Geschick seiner Verbündeten, die den Feinden zum Opfer gefallen waren, verurteilte Helenas Verhalten und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß Homer, der die Heldentaten der Sieger verewigen würde, ihm die Hauptrolle zuteilen möge.

Chenar suchte in Erfahrung zu bringen, wie Troja bezwungen worden war. Menelaos berichtete von wüstem Handgemenge, von der Unerschrockenheit Achills und anderer Helden und von ihrem unbeugsamen Willen, Helena zurückzuerobern.

»War in solch einem langen Krieg denn gar nichts mit List zu erreichen?« fragte Chenar hinterhältig.

Menelaos stutzte, antwortete dann aber doch.

»Odysseus kam auf den Gedanken, ein großes Holzpferd fertigen zu lassen, um Soldaten darin zu verstecken, und die Troer waren so unvorsichtig, es in die Stadt hineinzulassen. So konnten wir sie innerhalb ihrer Mauern überrumpeln.«

»An diesem Gedanken warst du sicher nicht ganz unbeteiligt«, sagte Chenar schmeichelnd.

»Ich hatte mit Odysseus darüber geredet, aber…«

»Ich bin sicher, er hat deinen Gedanken nur in die Tat umgesetzt.«

Menelaos warf sich in die Brust.

»Das ist durchaus möglich, wenn man’s recht bedenkt.«

Chenar verwandte fast seine gesamte Zeit darauf, die Freundschaft des Griechen zu gewinnen. Nun wußte er ein neues Verfahren, um Ramses auszuschalten und wieder der einzige Thronanwärter zu werden.

VIERUNDVIERZIG

Im Garten liess Chenar für Menelaos die köstlichsten Speisen auftragen. Der Grieche bewunderte die dunkelgrünen Reben mit den schwer herabhängenden Trauben. Schon vor dem Mahl, das sie in der Laube zu sich nahmen, stopfte er sich voll mit tiefblauen, dicken Weinbeeren. Taubenklein, Rinderbraten, Wachteln in Honig, Schweinenieren und Rippchen mit Kräutern waren ihm eine Gaumenfreude, während seine Augen sich ergötzten an den leicht bekleideten jungen Musikerinnen, die mit Flöten- und Harfenklängen seine Ohren betörten.

»Ägypten ist ein schönes Land«, gab er zu. »Es ist mir lieber als die Schlachtfelder.«

»Bist du mit deinem Haus zufrieden?«

»Ein wahrer Palast! Wenn ich erst wieder daheim bin, werde ich mir von meinen Baumeistern etwas Ähnliches bauen lassen.«

»Die Dienstboten?«

»Überaus zuvorkommend.«

Seinem Wunsch gemäß hatte Menelaos eine Granitwanne bekommen, die mit warmem Wasser gefüllt wurde, damit er seine endlosen Bäder nehmen konnte. Sein ägyptischer Hausverweser, der sich wie alle seine Landsleute unter fließendem Wasser zu waschen pflegte, fand diese Sitzbäder verweichlichend und nicht gerade reinlich. Doch er beugte sich Chenars Anweisungen und verfügte auch das tägliche Einreiben mit duftenden Ölen, das dem von Narben übersäten Körper des Helden wohltat.

»Gefügig sind sie nicht, eure Mädchen hier! Meine Sklaven daheim stellen sich nicht so an. Nach dem Bad verschaffen sie mir Lust, ganz wie es mir behagt.«

»Wir haben keine Sklaven hier in Ägypten«, erklärte Chenar, »diese Mädchen beherrschen ihr Handwerk und erhalten Lohn.«

»Keine Sklaven? Das wäre ein Fortschritt für euch!«

»Wir brauchten wirklich Männer deines Schlages.«

Menelaos schob die Alabasterschale mit der Wachtel in Honig von sich. Chenars letzte Worte hatten ihm den Appetit verschlagen.

»Was willst du damit sagen?«

»Ägypten ist, das gebe ich zu, ein reiches und mächtiges Land, aber könnte man es nicht mit mehr Umsicht lenken?«

»Bist du nicht der ältere Sohn des Pharaos?«

»Muß ich deswegen blind sein?«

»Sethos ist eine furchterregende Persönlichkeit, nicht einmal Agamemnon besaß so viel Ausstrahlung wie er. Solltest du vorhaben, Ränke gegen ihn zu schmieden, kann ich dir nur abraten, denn der Mißerfolg wäre dir sicher. Dieser König ist von einer übernatürlichen Kraft beseelt. Ich bin kein Feigling, aber seinem Blick zu begegnen macht mir angst.«

»Wer spricht denn von Ränken gegen Sethos? Das ganze Volk verehrt ihn. Aber der Pharao ist auch ein Mensch, und mit seiner Gesundheit geht es langsam bergab, wie man munkelt.«

»Wenn ich eure Gebräuche richtig verstanden habe, besteigt der Regent nach seinem Ableben den Thron. Somit ist jeder Nachfolgekrieg ausgeschlossen.«

»Ramses würde Ägypten in den Untergang führen. Mein Bruder ist unfähig, zu regieren.«

»Wenn du dich ihm entgegenstellst, handelst du gegen den Willen eures Vaters.«

»Ramses hat ihn hinters Licht geführt. Wenn du dich mit mir verbündest, wird deine Zukunft rosig sein.«

»Meine Zukunft? Die kenne ich schon, ich will so schnell wie möglich nach Haus! Selbst wenn ich in Ägypten besser wohne und besser esse, als ich mir vorgestellt hatte, bin ich nur Gast und ohne Macht. Vergiß deine wahnwitzigen Träume.«

Nefertari hatte Helena den Harim Mer-Our gezeigt. Die schöne blonde Frau mit den weißen Armen war entzückt von der Pracht des Pharaonenlandes. Als sie durch die Gärten wandelten und dabei den Klängen der Musik lauschten, empfand Helenas verwundetes, mattes Herz doch ein wenig Freude. Die Annehmlichkeiten des Lebens, die Königin Tuja ihr nun schon seit einigen Wochen gewährte, wirkten wie ein Heilmittel. Doch die jüngsten Nachrichten hatten Helena erneut in Angst versetzt. Zwei griechische Schiffe waren bereits instand gesetzt, die Abreise rückte näher.

Sie saß an einem Weiher voller blauer Lotosblüten und vermochte ihre Tränen dennoch nicht zurückzuhalten.

»Verzeih mir, Nefertari.«

»Wirst du in deiner Heimat denn nicht wie eine Königin geehrt?«

»Menelaos wird den Schein wahren. Er wird beweisen, daß er, der Krieger, eine Stadt dem Erdboden gleichgemacht und die Bevölkerung umgebracht hat, um seine Frau heimzuholen und von Schmach reinzuwaschen. Aber mein Leben dort wird die Hölle sein, der Tod wäre gnädiger.«

Unnütze Worte waren nicht Nefertaris Art. Sie weihte Helena in die Geheimnisse der Webkunst ein. Begeistert verbrachte diese ganze Tage in den Werkstätten, befragte die erfahrenen Weberinnen und machte sich selbst an die Herstellung prächtiger Gewänder. Sie hatte geschickte Hände und erwarb sich die Anerkennung der besten Weberinnen. Bei dieser Tätigkeit vergaß sie Troja, Menelaos und die bevorstehende Abreise, bis zu dem Abend, da die Sänfte Königin Tujas durch das Harimstor getragen wurde.

Helena flüchtete sich in ihr Zimmer und warf sich weinend aufs Bett. Die Anwesenheit der großen königlichen Gemahlin bedeutete das Ende einer glücklichen Zeit, die niemals wiederkehren würde. Hätte sie doch bloß den Mut, Hand an sich zu legen!

Mit sanften Worten bat Nefertari, sie möge ihr folgen.

»Die Königin wünscht dich zu sehen.«

»Ich verlasse dieses Zimmer nicht.«

»Die Königin schätzt es nicht, wenn man sie warten läßt.«

Helena fügte sich. Wieder einmal lag ihr Geschick nicht in ihrer Hand.

Die Geschicklichkeit der ägyptischen Zimmerleute überraschte Menelaos. Das Gerücht, daß die pharaonischen Schiffe monatelang auf dem Wasser bleiben konnten, schien sich zu bestätigen, denn die Werft in Memphis hatte die griechischen Schiffe in unglaublicher Geschwindigkeit ausgebessert und wieder seetüchtig gemacht. Der König von Lakedämon hatte dort riesige Kähne gesehen, die ganze Obelisken zu tragen vermochten, schnelle Segler und Kriegsschiffe, denen er ungern begegnet wäre. Daß Ägypten über eine einschüchternde Streitmacht verfügte, war unbestreitbar.