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Er verscheuchte diese trüben Gedanken und gab sich ganz dem Vergnügen der Reisevorbereitungen hin. Dieser Aufenthalt in Ägypten hatte ihm neue Kräfte verliehen. Auch seinen Soldaten war es gut ergangen, sämtliche Mannschaften waren abfahrbereit.

Im Sturmschritt ging Menelaos zum Palast der großen königlichen Gemahlin, wo Helena seit ihrer Rückkehr aus Mer-Our untergebracht war. Nefertari empfing ihn und geleitete ihn zu seiner Gemahlin.

Helena, in einem Leinenkleid mit Trägern wie eine Ägypterin gewandet, wirkte fast herausfordernd. Zum Glück gab es hier keinen Paris, der sie rauben würde! Derartiges galt unter den Pharaonen als verwerflich, und außerdem waren die Frauen hier viel unabhängiger als in Griechenland. Sie lebten nicht hinter Gittern in Frauenhäusern, sondern gingen frei herum, mit unverhülltem Gesicht, und sie trotzten den Männern und hatten sogar hohe Ämter inne. Solche Mißstände würde er daheim nicht dulden!

Als ihr Gatte den Raum betrat, stand Helena nicht einmal auf. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Webstuhl.

»Ich bin’s, Helena.«

»Ich weiß.«

»Müßtest du mich nicht begrüßen?«

»Wieso?«

»Ja, aber, ich bin doch dein Mann, dein Gebieter!«

»Der einzige Gebieter hier ist der Pharao.«

»Wir fahren heim nach Lakedämon.«

»Ich habe meine Arbeit noch längst nicht fertig.«

»Steh auf und komm.«

»Du wirst allein fahren, Menelaos.«

Der König stürzte sich auf seine Frau und versuchte sie am Handgelenk zu packen, doch der Dolch in ihrer Hand ließ ihn zurückweichen.

»Greif mich nicht an, sonst rufe ich um Hilfe. Einer Frau Gewalt antun bedeutet in Ägypten die Todesstrafe.«

»Aber du bist meine Frau, du gehörst mir!«

»Königin Tuja hat mir die Leitung einer Weberei übertragen, und dieser Ehre werde ich mich würdig erweisen. Ich werde Kleider herstellen für die Hofdamen, und erst wenn ich dieser Aufgabe überdrüssig bin, werden wir fahren. Wenn du zu ungeduldig bist, dann geh, ich werde dich nicht zurückhalten.«

Menelaos hatte schon zwei Schwerter und drei Lanzen auf dem Mühlstein seines Bäckers zertrümmert. Seine Wut hatte die Dienstboten in Schrecken versetzt, und hätte Chenar nicht eingegriffen, hätten die Wachen den Rasenden festgenommen. Der ältere Sohn des Pharaos hielt sich in angemessener Entfernung, solange der Zorn des griechischen Helden nicht abgeklungen war. Als sein Arm endlich ermüdete, reichte Chenar ihm eine Schale Starkbier.

Gierig trank der König von Lakedämon und setzte sich auf den Mühlstein.

»Dieses Biest! Was hat sie mir jetzt wieder angetan!«

»Ich verstehe deinen Zorn, doch er ist nutzlos. Helena ist frei in ihren Entscheidungen.«

»Frei, frei! Ein Land, das den Frauen so viele Freiheiten gewährt, sollte lieber untergehen!«

»Wirst du in Memphis bleiben?«

»Hab ich vielleicht die freie Wahl? Wenn ich ohne Helena nach Lakedämon zurückkehre, mache ich mich zum Gespött der Leute. Man wird mich auslachen, und dann wird mir einer meiner Getreuen im Schlaf die Kehle durchschneiden. Ich brauche diese Frau!«

»Die Aufgabe, die Tuja ihr übertragen hat, ist keine Erfindung Helenas. Die Königin schätzt deine Gemahlin sehr.«

Menelaos hieb mit der Faust auf den Mühlstein.

»Verflucht soll sie sein, Helena, dieses Weib!«

»Jammern wird dir nicht weiterhelfen. Wir können statt dessen gemeinsame Ziele verfolgen.«

Der Grieche spitzte die Ohren.

»Wenn ich Pharao werde, gebe ich dir Helena zurück.«

»Was muß ich dafür tun?«

»Mit mir hinarbeiten auf die Beseitigung von Ramses.«

»Sethos kann hundert Jahre alt werden!«

»Neun Regierungsjahre haben meinem Vater schwer zugesetzt. Er verausgabt sich für Ägypten und treibt Raubbau an seinen Kräften. Ich sage noch einmal, wir brauchen Zeit, doch wenn während der Staatstrauer der Thron verwaist ist, dann müssen wir schnell und kraftvoll zuschlagen. Und so etwas will vorbereitet sein.«

Niedergeschlagen, wie er war, gab Menelaos nach.

»Wie lange wir da noch warten müssen…«

»Das Glück wird sich wenden, glaube mir. Doch bis dahin müssen wir noch unzählige heikle Aufgaben bewältigen.«

Auf Ramses’ Arm gestützt, erkundete Homer sein neues Reich, ein weiträumiges Haus inmitten eines Gartens, sechshundert Ellen vom Regentenflügel des Palastes entfernt. Ein Koch, eine Dienerin und ein Gärtner würden dem Dichter zur Verfügung stehen, doch wichtiger als alles andere waren diesem die Vorräte an Tonkrügen voller Olivenöl, Anis und Koriander, mit denen er seinen Wein würzte, um sich in Rausch zu versetzen.

Wegen seines schwachen Augenlichts besah Homer jeden Baum und jede Blume aus nächster Nähe. Ihre Vielfalt schien ihn nicht zu befriedigen. Ramses fürchtete schon, er könnte dieses hübsche, erst kürzlich erbaute Haus als unangemessen erachten. Doch plötzlich geriet der Dichter in Verzückung.

»Endlich! Ein Zitronenbaum! Ohne ihn lassen sich keine schönen Verse schmieden, er ist das Meisterwerk der Schöpfung. Schnell, bring mir einen Stuhl!«

Ramses brachte einen dreibeinigen Schemel, Homer schien zufrieden.

»Laß mir getrocknete Salbeiblätter bringen.«

»Als Arznei?«

»Du wirst schon sehen. Was wissen wir über den Trojanischen Krieg?«

»Daß er lang und blutig war.«

»Das mutet nicht sehr poetisch an! Ich werde in langen Gesängen die Heldentaten Achills und Hektors preisen und das Ganze Ilias nennen. Meine Gesänge werden die Zeiten überdauern und aus dem Gedächtnis der Menschen niemals schwinden.«

Der Regent hielt Homer für leicht vermessen, aber seine Begeisterung gefiel ihm.

Eine schwarzweiße Katze kam aus dem Haus und hielt in zwei Ellen Entfernung vor dem Dichter inne. Nach kurzem Zögern sprang sie ihm auf den Schoß und begann zu schnurren.

»Eine Katze, ein Zitronenbaum und duftender Wein! Ich habe mich doch nicht geirrt bei meiner Ortswahl. Meine Ilias wird ein Meisterwerk werden.«

Chenar war stolz auf Menelaos. Der griechische Held machte gute Miene zum bösen Spiel. Um des Königs und der Priesterschaft Gunst zu erwerben, hatte er dem Tempel in Kurna, der dem Ka des Pharaos geweiht war, griechische Amphoren gestiftet, deren Sockel aufgemalte gelbe Zierstreifen mit Lotosblüten schmückten. Diese prachtvollen Geschenke wurden in der Schatzkammer des Tempels aufbewahrt.

Die griechischen Seeleute und Soldaten, die wußten, daß ihr Aufenthalt hier lang, wenn nicht endgültig sein würde, ließen sich in der Vorstadt von Memphis nieder und begannen mit dem Tauschhandel. Balsam, Duftstoffe und Goldschmiedearbeiten boten sie gegen Lebensmittel. Es wurde ihnen sogar gestattet, Läden und kleine Werkstätten zu eröffnen, wo sie ihre Fertigkeiten zeigen konnten.

Die Offiziere, aber auch gemeine Soldaten, die sich ausgezeichnet hatten, wurden in die ägyptischen Streitkräfte eingegliedert. Dort würden sie zunächst einmal Arbeiten für die Allgemeinheit verrichten, wie die Instandhaltung der Kanäle oder die Ausbesserung der Deiche. Die meisten würden heiraten, Kinder bekommen und ihr eigenes Haus bauen. So würden sie bald schon ein Teil der ägyptischen Gesellschaft sein, und weder Sethos noch Ramses würden ihre Anwesenheit mit Argwohn betrachten. Ein neues Trojanisches Pferd war damit geschaffen, nur war es noch viel scharfsinniger entworfen als das erste.

Menelaos hatte in Anwesenheit von Königin Tuja Helena wiedergesehen und ihr die Hochachtung entgegengebracht, die ein Ehemann seiner Gemahlin schuldet. Von nun an möge sie entscheiden, wann sie ihn treffen wolle, er würde sie in keiner Weise behelligen. Obwohl Helena ihm seine Aufrichtigkeit nicht glaubte, stellte sie dennoch fest, daß das in Netzen gefangene wilde Tier allmählich aufhörte, um sich zu schlagen.