Выбрать главу

Doch noch einen viel heikleren Vorstoß als diesen unternahm der König von Lakedämon. Ramses’ Ablehnung mußte verringert werden. Ihre Begegnung verlief förmlich und ohne Überschwang auf beiden Seiten. Als geehrter Gast in diesem Lande wolle er, Menelaos, den Anforderungen des Hofes entsprechen und alles daransetzen, um dem Regenten nicht zu mißfallen. Obwohl Ramses kühl blieb, war die Gefahr eines offenen Zusammenstoßes erst einmal gebannt. Chenar und sein griechischer Freund konnten sorglos ihre Netze knüpfen.

Acha genoß das Bier, das ihm in der Kajüte auf Chenars Schiff gereicht wurde. Ihrer Abmachung gemäß mußten derlei Treffen ja geheim bleiben.

Der ältere Sohn des Königs berichtete über die Ankunft von König Menelaos und Helena, enthüllte Acha aber seine Pläne nicht. Er mißtraute dem jungen Mann mit dem vollendet gestutzten Oberlippenbärtchen und den vor Scharfsinn blitzenden Augen.

»Wie entwickelt sich die Lage in den Ostländern?«

»Es wird immer verzwickter. Die kleinen Fürstentümer bekriegen sich untereinander, jeder Zaunkönig träumt von Bundesgenossen, doch nur unter seiner Oberhoheit. Diese Zerstückelung ist für uns günstig, doch sie wird nicht andauern. Im Gegensatz zu meinen Amtsbrüdern bin ich überzeugt, daß es den Hethitern gelingen wird, die Ehrgeizlinge und die Unzufriedenen auf ihre Seite zu bringen und sie ihrem Oberbefehl zu unterstellen. An jenem Tag wird Ägypten große Gefahr drohen.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Ein paar Jahre noch, es erfordert ja Gespräche und Verhandlungen.«

»Wird der Pharao davon erfahren?«

»Nicht wahrheitsgemäß, denn unsere Gesandten sind alte Männer, die unfähig sind, die Zukunft zu erkennen.«

»Hast du dich schon so weit vorgearbeitet, daß du entscheidende Auskünfte erhältst?«

»Noch nicht ganz, aber mit denen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, habe ich mich schon recht eng angefreundet. Wir treffen uns abseits der öffentlichen Anlässe, und mir wurde schon so manches, was vertraulich ist, hinterbracht.«

»Meba, unser Mann für die Fremdländer, sucht immer häufiger meine Nähe, wir sind fast schon Freunde. Wenn unser Zusammentreffen anhält, werde ich mich für deine Beförderung einsetzen.«

»Dein Ruf ist unbeschadet im Osten, Ramses als Person ist dagegen dort unbekannt.«

»Verständige mich, sobald etwas Entscheidendes vorfällt.«

FÜNFUNDVIERZIG

In diesem zehnten Regierungsjahr hatte Sethos beschlossen, Ramses den entscheidenden Schritt tun zu lassen, obgleich er erst achtzehn Jahre alt war. Doch wäre er nicht eingeweiht in die Osiris-Mysterien, könnte er die Regierungsaufgaben nicht übernehmen. Gern hätte er noch länger damit gewartet und seinen Sohn heranreifen sehen, doch das Schicksal gewährte ihm womöglich keine längere Frist. Daher mußte er so entscheiden. Selbst wenn dieser Schritt gefährlich war für die Seele des Jungen, mußte er ihn nach Abydos führen.

Er, Sethos, Verkörperung des Gottes Seth, des Mörders seines Bruders Osiris, hatte für letzteren einen gewaltigen Tempel errichten lassen, den größten all seiner ägyptischen Heiligtümer. Die erschreckende Zerstörungsgewalt, von der sein Name zeugte, hatte der Pharao in die Kraft der Wiedergeburt verwandelt. In der Ewigkeit trug Seth, der Mörder, die Lichtgestalt Osiris, den Sieger über den Tod, auf seinem Rücken.

Hinter seinem Vater durchschritt Ramses das Monumentaltor am ersten Pylon. Zwei Priester reinigten ihm in einem steinernen Becken Hände und Füße. Erst nachdem er einen Brunnen hinter sich gelassen hatte, entdeckte er die Fassade des überdachten Tempels. Vor jeder Königsstatue in Osiris-Gestalt lagen Blumengebinde und standen Körbe mit Lebensmitteln.

»Dies ist das Lichtland«, erklärte Sethos.

Die mit Gold- und Silberschmelz überzogenen Tore aus libanesischem Zedernholz schienen jeden Zugang zu verwehren.

»Möchtest du noch weiter vordringen?«

Ramses nickte.

Die Tore öffneten sich einen Spaltbreit.

Ein weißgekleideter Priester mit kahlgeschorenem Kopf gebot Ramses, sich herabzubeugen. Und sobald er seine Füße auf den Silberboden gesetzt hatte, fühlte er sich in einer anderen Welt, die ganz von Weihrauchduft erfüllt war.

Vor jede der sieben Kapellen stellte Sethos eine kleine Statue der Göttin Maat als Verkörperung der Gesamtheit der Opfergaben. Dann führte er seinen Sohn in die Ahnengalerie, wo die Namen der Pharaonen eingemeißelt waren, die seit Menes, dem Einiger der beiden Länder, über Ägypten geherrscht hatten.

»Sie sind tot«, sagte Sethos, »aber ihr Ka lebt weiter. Ka speist dein Denken und lenkt dem Tun. Solange der Himmel besteht, wird auch dieser Tempel bestehen. Hier wirst du mit den Göttern Zwiesprache halten und ihre Geheimnisse ergründen. Pflege ihre Behausung, und erwecke das von ihnen geschaffene Licht zum Leben.«

Vater und Sohn lasen die Hieroglyphenreihen, auf denen die Götter dem Pharao befahlen, Tempelgrundrisse zu entwerfen und das königliche Amt hochzuhalten. Auch ihre Altäre sollte er schmücken, um sie zu beglücken, denn ihr Glück erhelle die Erde.

»Der Name deiner Ahnen steht für immer und ewig am bestirnten Himmel«, verriet Sethos. »Ihre Annalen sind die Jahrmillionen. Regiere gemäß der Regel, pflanze sie ein in dein Herz, denn sie fügt alle Formen des Lebens zu einem harmonischen Ganzen.«

Eine Darstellung erstaunte Ramses. Sie zeigte einen Jüngling, der mit Hilfe des Pharaos einen wilden Stier einfing! Da hatten die Steinmetze jenen Augenblick verewigt, als sein Leben ins Wanken geraten war, diesen Augenblick, den jeder künftige König erlebt hatte, ohne sich bewußt zu sein, welch gewaltige Bestimmung seiner harrte.

Sethos und Ramses verließen den Tempel und gingen auf eine baumbestandene Kuppe zu.

»Dies ist Osiris’ Grabstätte. Nur wenige Menschen haben sie bisher gesehen.«

Sie stiegen hinab zu einem unterirdischen Eingang, dem eine Reihe von Stufen folgte, an die sich ein gewölbter, etwa zweihundert Ellen langer Gang anschloß. Die Wandinschriften beschrieben die Pforten zur jenseitigen Welt. Dann bogen sie im rechten Winkel nach links ab und gelangten vor ein ganz außergewöhnliches Denkmal. Zehn stämmige Pfeiler standen da auf einer Art wasserumspülter Insel und stützten das Dach eines Heiligtums.

»Jahr um Jahr, wenn wir seinen Kult feiern, entsteigt Osiris dieser riesigen Grabstätte. Dann ist er der Urhügel, der aus dem Urmeer auftauchte, als der Eine Zwei wurde und Tausende von Formen erzeugte und dennoch weiterhin der Eine blieb. Diesem unsichtbaren Ozean entstammen der Nil und die Überschwemmung, der Tau, der Regen und das Wasser der Quellen. Auf ihm fährt die Sonnenbarke, er umgibt unsere Welt und das All. Hier tauche du deinen Geist ein, damit er die Grenzen des Sichtbaren überwindet und seine Kraft schöpft aus dem, was weder Anfang noch Ende hat.«

In der folgenden Nacht wurde Ramses in die Osiris-Mysterien eingeweiht.

Er trank frisches Wasser aus dem unsichtbaren Ozean und aß Korn aus dem Leib des wiedererweckten Osiris. Dann kleidete man ihn in zartes Linnen, damit er teilnehmen konnte an der Prozession der Gottgetreuen, die ein Priester mit Schakalsmaske anführte. Seths Anhänger versperrten ihnen den Weg, wild entschlossen, sie zu vernichten und Osiris aus dem Felde zu schlagen. Ein Kampfritual begann, untermalt von beklemmender Musik. Ramses, in der Rolle des Horus, des Sohns und Nachfolgers Osiris’, verhalf den Söhnen des Lichts zum Triumph über die Kinder der Finsternis. Sein Vater indes wurde im Laufe des Kampfes tödlich getroffen.

Seine Getreuen trugen ihn unverzüglich auf den geheiligten Hügel und hielten Totenwache, an der sich auch Priesterinnen beteiligten. Auch Königin Tuja war darunter. Sie verkörperte Isis, die »Zauberreiche«, die dank ihrer beschwörenden Anrufungen die verstreuten Teile des Osiris-Leibes wieder zu vereinen vermochte und den toten Gott so zu neuem Leben erweckte.