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»Nein, ich…«

»Was das Frühstück meiner Mutter anbelangt, kannst du unbesorgt sein. Ihre Dienerinnen werden es ihr zur gewohnten Zeit bringen.«

»Ja, aber, ich habe doch keine einzige gesehen!«

»Lautet dein Lieblingssatz nicht ‹Ein wahres Wort ist verborgener als der grüne Stein, doch man findet es bei den Dienerinnen am Mühlstein›?«

»Soll ich daraus schließen, daß du sie alle weggeschickt hast, um mich hierherzulocken?«

»Ich ahnte, was du tun würdest.«

»Soll ich jetzt Korn mahlen, um dich zufriedenzustellen?«

»Nein, Nefertari, ich bin auf der Suche nach dem wahren Wort.«

»Da muß ich dich enttäuschen; ich besitze es nicht.«

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt.«

Sie war schön und strahlend, und ihr Blick war so tief wie himmlische Gewässer.

»Vielleicht mißfällt dir meine Aufrichtigkeit, aber dieser Scherz verletzt mein Herz.«

Der Regent wirkte nicht mehr ganz so selbstsicher.

»Dieses Wort, Nefertari…«

»Alle glauben, du weiltest in Abydos.«

»Ich bin gestern zurückgekommen.«

»Und das erste, was dir einfiel, war diese Verschwörung mit den Dienerinnen der Königin, um mir Steine in den Weg zu werfen!«

»Am Nilufer bin ich einem wilden Stier begegnet. Wir standen einander Aug in Aug gegenüber. Mein Schicksal lag bei ihm, seine spitzen Hörner würden den Ausschlag geben. Während er mich anstarrte, traf ich gewichtige Entscheidungen, und da er mich nicht getötet hat, bin ich erneut Herr meines Geschicks.«

»Ich bin froh, daß du überlebt hast, und wünsche, daß du König wirst.«

»Ist das deine oder meiner Mutter Meinung?«

»Lügen ist nicht meine Art, kann ich jetzt gehen?«

»Dieses Wort, das kostbarer ist als der grüne Stein, das besitzt du, Nefertari! Darf ich es aussprechen?«

Die junge Frau neigte den Kopf.

»Ich bin deine ergebene Dienerin, Regent von Ägypten.«

»Nefertari!«

Stolzen Blickes richtete sie sich auf. Er war geblendet von so viel Adel.

»Die Königin erwartet mich zu unserem morgendlichen Gespräch, und eine Verspätung wäre ein schweres Versäumnis.«

Ramses nahm sie in die Arme.

»Was muß ich tun, damit du einwilligst, meine Gemahlin zu werden?«

»Mich darum bitten«, erwiderte sie sanft.

SIEBENUNDVIERZIG

Sethos eröffnete sein elftes Regierungsjahr mit einer Opferhandlung. Er huldigte dem riesigen Sphinx von Gizeh, dem Hüter der Hochebene, auf der die Pyramiden der Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos erbaut worden waren. Da er dort wachte, vermochte kein Unwürdiger vorzudringen an diese heilige Stätte, aus der das ganze Land seine Kraft schöpfte.

Als Regent durfte Ramses seinen Vater in den kleinen Tempel vor dem Sphinx, einem ruhenden Löwen mit Königskopf und zum Himmel erhobenen Augen, begleiten. Bildhauer hatten eine Stele errichtet, die Sethos darstellte, wie er die Säbelantilope des Gottes Seth erlegte. Im Kampf gegen die dunklen Mächte, die dieses Wüstentier verkörperte, erfüllte der Pharao seine hehrste Pflicht, die diese Jagd versinnbildlichte: die Unordnung durch Ordnung zu ersetzen.

Ramses war tief beeindruckt. Die Kraft, die dieser Ort ausströmte, prägte sich jeder Faser seines Körpers ein. War in Abydos alles auf Vertrauen und Besinnlichkeit angelegt, so war Gizeh die augenfälligste Bekundung der Anwesenheit des Ka. Ka, die unsichtbare und allgegenwärtige Kraft, die in der Tierwelt in die Haut des wilden Stiers geschlüpft war. Dies hier hatte ewigen Bestand, die Pyramiden würden die Zeiten überdauern.

»Am Nilufer«, bekannte Ramses, »habe ich ihn wiedergesehen.

Der Stier und ich standen einander gegenüber, und er starrte mich an wie beim erstenmal.«

»Du wolltest auf die Regentschaft und die Königsherrschaft verzichten«, antwortete Sethos, »und davon hat er dich abgehalten.«

Sein Vater las in seinen Gedanken. Vielleicht hatte Sethos sich gar in den wilden Stier verwandelt, um seinem Sohn seine Verantwortung klarzumachen.

»Ich habe nicht alle Geheimnisse von Abydos zu entschlüsseln vermocht, aber daß das Leben das große Geheimnis enthält, das hat diese Zeit der Besinnung mich gelehrt.«

»Kehre häufig dorthin zurück, und wache über diesen Tempel. Auch der Osiris-Kult sorgt für das Gleichgewicht unseres Landes.«

»Ich habe noch eine Entscheidung getroffen.«

»Deine Mutter ist einverstanden, ich auch.«

Am liebsten hätte er seiner Freude in Jubelrufen Ausdruck verliehen, doch die Weihe dieses Ortes ließ so etwas nicht zu. Ob auch er, Ramses, eines Tages im Herzen der Menschen würde lesen können, so wie Sethos es vermochte?

So ausgelassen hatte Ramses Ameni noch nie erlebt.

»Ich weiß alles, und ich habe ihn überführt! Es ist unglaublich, aber es gibt keinen Zweifel. Schau her, sieh dir das an!«

Der junge Schreiber, der sonst so peinlich auf Sorgfalt bedacht war, wühlte sich buchstäblich aus einem Haufen von Papyri, Holztäfelchen und Kalksteinscherben hervor. Was sich seit Monaten hier angehäuft hatte an Schriftstücken, hatte er immer wieder von neuem geprüft.

»Er ist es!« beteuerte er. »Es ist seine Schrift! Ich erkenne auch die Verbindung zum Wagenlenker, der in seinen Diensten stand, und folglich auch zum Stallknecht! Stell dir das bloß vor, Ramses!

Ein Dieb und Verbrecher, das ist er! Warum hat er sich auf so etwas bloß eingelassen?«

Es war wirklich kaum zu glauben, aber eindeutig. Ameni hatte großartige Arbeit geleistet, es gab keinen Zweifel mehr.

»Ich werde ihn fragen.«

Ramses’ ältere Schwester Dolente und ihr Mann Sary, dessen Bauch sich immer mehr wölbte, vergnügten sich mit dem Füttern exotischer Fische im Wasserbecken ihres Gartens. Dolente war schlecht gelaunt. Diese Hitze, und diese krankhaft fettige Haut! Sie würde den Arzt und die Salben wechseln müssen.

Ein Diener meldete, Ramses sei zu Besuch gekommen.

»Endlich ein Zeichen der Anerkennung!« rief Dolente und umarmte ihren Bruder. »Weißt du, daß der Hof dich in Abydos als Einsiedler wähnte?«

»Der Hof täuscht sich oft, und er regiert nicht das Land.«

Der ernsthafte Ton überraschte Dolente und Sary. Der junge Prinz hatte sich verändert. Hier sprach kein Jüngling mehr, sondern der Regent Ägyptens.

»Bist du gekommen, um endlich meinem Mann die Leitung der Kornspeicher zu übertragen?«

»Du solltest uns jetzt lieber allein lassen, liebe Schwester.«

Dolente war beleidigt.

»Mein Mann hat kein Geheimnis vor mir.«

»Bist du dir sicher?«

»Ich weiß es genau.«

Sarys übliche Leutseligkeit war gewichen. Der ehemalige Prinzenerzieher wirkte verkrampft und besorgt.

»Erkennst du diese Schrift wieder?«

Ramses zeigte ihnen den Brief, der den Vater und ihn zum Aufbruch in die Steinbrüche von Assuan bewogen hatte.

Weder Sary noch seine Gemahlin antworteten.

»Dieser Brief trägt eine gefälschte Unterschrift, aber der Schriftzug ist eindeutig. Es ist deiner, Sary. Der Vergleich mit anderen Unterlagen ist der schlagende Beweis.«

»Das ist eine Fälschung, eine plumpe Nachahmung…«

»Da dein Amt als Lehrer dir nicht mehr genügte, hast du einen Betrug mit minderwertigen Tintensteinen ersonnen und sie mit dem Siegel ‹erstklassig› in den Handel gebracht. Als du dich in Gefahr wähntest, hast du versucht, jede Spur, die sich bis zu dir hätte zurückverfolgen lassen, zu verwischen. Nichts einfacher als das für jemanden, der wie du die Archive und das Schreiberamt kennt. Aber die Scherbe einer Schriftprobe war erhalten geblieben, und die hat Ameni, der für seine Wahrheitssuche beinahe mit dem Leben bezahlt hätte, in einem Scherbenhaufen gefunden. Lange Zeit haben er und ich geglaubt, Chenar sei der Schuldige, doch dann entdeckte Ameni seinen Irrtum. Vom Namenszug des Besitzers dieser Werkstatt war nur noch ein Bruchteil erhalten, und der war nicht Bestandteil des Namens Chenar, sondern deines, Sary. Außerdem hast du den Wagenlenker, der mich in eine Falle gelockt hat, über ein Jahr lang beschäftigt. Mein Bruder ist unschuldig, du bist der einzig Schuldige.«