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Der ehemalige Erzieher des Regenten hatte die Zähne zusammengebissen und vermied es, Ramses anzublicken. Dolente hingegen schien weder erschüttert noch überrascht.

»Du hast keinen schlüssigen Beweis in Händen«, ließ sich Sary vernehmen. »Aufgrund solch dürftiger Hinweise wird kein Gericht mich verurteilen.«

»Warum haßt du mich?«

»Weil du ein Hindernis bist auf unserem Weg!« schrie Ramses’ Schwester wie von Sinnen. »Du bist nur ein Gockel, ein Geck, der sich viel zuviel zutraut! Mein Mann ist ein großartiger Mensch, gebildet, klug und anpassungsfähig; ihm fehlt nichts, um Ägypten zu regieren. Und durch mich, die Tochter des Königs, hat er einen Anspruch darauf!«

Dolente faßte nach der Hand ihres Gatten.

»Der Ehrgeiz hat euch wahnsinnig gemacht«, stellte Ramses fest. »Um meinen Eltern eine solch grausame Pein zu ersparen, werde ich davon absehen, Klage zu erheben. Aber ich befehle euch, Memphis zu verlassen. Ihr werdet euch in einer kleinen Provinzstadt ansiedeln und euch hier nicht mehr blicken lassen. Beim geringsten Aufbegehren droht euch Verbannung.«

»Ich bin deine Schwester, Ramses.«

»Das ist der Grund für meine Nachsicht und meine Schwäche.«

Obwohl man ihm nach dem Leben getrachtet hatte, war auch Ameni bereit, auf eine Anklage zu verzichten. Dieses Zeichen der Freundschaft war für Ramses wie Balsam auf die Wunde, die seine Schwester und sein ehemaliger Erzieher ihm zugefügt hatten. Hätte Ameni gerechte Rache gefordert, hätte er sich nicht widersetzt, doch der junge Schreiber dachte an nichts anderes, als für den Tag der Hochzeit des Regenten mit Nefertari alle, die ihm nahestanden, zusammenzutrommeln.

»Setaou ist wieder in seiner Giftküche und hat riesige Mengen Schlangengift mitgebracht, Moses wird übermorgen in Memphis erwartet. Nur Acha… Er ist zwar auf dem Weg hierher, doch wie lange es dauern wird, bis er da ist, weiß niemand so recht.«

»Wir werden auf ihn warten.«

»Ich freue mich für dich. Es heißt, Nefertari sei die Schönste der Schönen.«

»Bist du nicht dieser Ansicht?«

»Ich kann nur die Schönheit eines Papyrus oder eines Gedichts beurteilen, nicht die einer Frau. Verlang nicht zuviel von mir.«

»Wie geht es Homer?«

»Er wartet schon ungeduldig auf dich.«

»Ihn werden wir auch einladen.«

Ameni schien irgendwie unruhig.

»Plagt dich etwas?«

»Ja, es ist deinetwegen, ich habe mich dagegen gestemmt, aber lange werde ich nicht mehr durchhalten. Iset verlangt dich zu sehen.«

Iset, die Schöne, hatte sich vorgenommen, ihren Zorn nicht zu verbergen und ihren Geliebten mit Schmähungen und Vorwürfen zu überschütten. Doch als er auf sie zukam, war sie entwaffnet. Ramses hatte sich verändert, auffallend verändert. Er war nicht mehr nur der leidenschaftliche junge Mann, in den sie verliebt war, sondern ganz offenkundig der geborene Regent.

Die junge Frau hatte den Eindruck, jemanden vor sich zu haben, den sie gar nicht kannte und über den sie keinerlei Macht mehr besaß. Ihr Groll verflog und machte der Ehrfurcht Platz.

»Dein Besuch ehrt mich.«

»Meine Mutter hat mir von deinem Ansinnen erzählt.«

»Ich war so besorgt, das stimmt, und wünschte sehnlichst deine Rückkehr!«

»Und bist du jetzt enttäuscht?«

»Du wirst eine andere zur Gemahlin nehmen.«

»Ja, morgen vermähle ich mich mit Nefertari.«

»Sie ist sehr schön, doch du sollst wissen, daß ich ein Kind erwarte.«

Ramses faßte zärtlich nach ihrer Hand.

»Hast du geglaubt, ich ließe dich im Stich? Dieses Kind wird das unsrige sein. Morgen, wenn das Schicksal will, werde ich Nefertari zur großen königlichen Gemahlin erwählen. Aber wenn du es wünschst und wenn sie einwilligt, wirst du im Palast wohnen.«

Sie drängte sich an ihn.

»Liebst du mich, Ramses?«

»Abydos und der wilde Stier haben mir meine wahre Natur offenbart. Ich bin vermutlich nicht wie die anderen Männer, Iset. Mein Vater hat meinen Schultern eine Last aufgebürdet, die mich vielleicht erdrücken wird, aber ich möchte das Abenteuer wagen. Du verkörperst die Leidenschaft und das Begehren, das Feuer der Jugend, doch Nefertari ist die geborene Königin.«

»Ich werde alt werden, und du wirst mich vergessen.«

»Ich bin ein Stammesoberhaupt, und ein Stammesoberhaupt vergißt die Seinen nie. Möchtest du dazugehören?«

Sie bot ihm ihre Lippen dar.

Die Heirat war eine persönliche Angelegenheit, die keinen Anlaß bot zu einer religiösen Zeremonie. Nefertari hatte sich ein schlichtes Fest gewünscht, auf dem Lande, in einem Palmenhain, zwischen Kornfeldern und blühenden Mondbohnen, in der Nähe eines Kanals, an dessen schlammigen Ufern die Herden zur Tränke kamen.

Die junge Frau trug wie Königin Tuja ein kurzes Leinenkleid und als Schmuck Lapislazuli-Armbänder und Karneolkette. Der Eleganteste war Acha. Er war am selben Morgen aus den Ostländern zurückgekehrt, und dieses in so bäuerlichem Rahmen gehaltene Fest, das im Beisein der großen königlichen Gemahlin, Mosis, Amenis und Setaous nebst einem berühmten griechischen Dichter, einem Löwen mit gewaltigen Pranken und einem schier närrischen Hund stattfand, erstaunte ihn sehr. Acha wäre höfischer Prunk lieber gewesen, doch er enthielt sich jeglichen Einwands und teilte das ländliche Mahl trotz der spöttischen Blicke Setaous.

»Du fühlst dich nicht wohl in deiner Haut«, bemerkte der Schlangenbeschwörer.

»Es ist ein hübscher Ort.«

»Aber das Gras macht Flecken auf dein schönes Gewand! Das Leben ist manchmal doch recht hart, vor allem, wenn weit und breit kein Reptil zu sehen ist.«

Trotz seiner schwachen Sehkraft war Homer hingerissen von Nefertari. Widerstrebend mußte er zugeben, daß sie an Schönheit Helena noch übertraf.

»Diesen echten Erholungstag verdanke ich dir, und ich genieße ihn«, sagte Moses zu Ramses.

»Ist Karnak so anstrengend?«

»Das Bauvorhaben ist so gewaltig, daß der geringste Fehler ein Scheitern bewirken würde. Ich prüfe unermüdlich jede Einzelheit, damit die Arbeiten ungehindert weitergehen.«

Sethos war nicht anwesend. Obwohl er diese Heirat guthieß, hatte der König sich keinen Mußetag gönnen können. Ägypten gewährte ihn nicht.

Es war ein gelöster und glücklicher Tag. Zurück in Memphis, nahm Ramses Nefertari in die Arme und führte sie über die Schwelle ihres Hauses. Vor dem Gesetz waren sie jetzt Mann und Frau.

ACHTUNDVIERZIG

Chenar überschlug sich schier vor Tatendrang. Er hastete von einem Amtsinhaber zum anderen, eine Einladung jagte die andere, Mittagessen, Abendessen, Empfänge und vertrauliche Gespräche lösten einander ab. War er etwa nicht der vollendete, der geborene Mittler zwischen den höchsten Persönlichkeiten des Reiches?

In Wirklichkeit schlachtete Chenar zu seinen Gunsten den gewaltigen Fehler seines Bruders aus. Eine Nichtadelige zu heiraten, aus kleinen Verhältnissen, die eines Tages die große königliche Gemahlin werden sollte! Gewiß war so etwas schon vorgekommen, und kein Gesetz verbot eine solche Heirat, aber Sethos’ Ältester setzte alles daran, um Ramses’ Wahl als Beleidigung des Adels und des Hofes anzuprangern. Dabei gelang es ihm, einhellige Zustimmung zu finden. Die geistige Unabhängigkeit des Regenten würde in naher Zukunft die mühsam erworbenen Vorteile in Frage stellen! Und wie würde Nefertari sich erst aufführen? Trunken von einer Macht, die ihr nicht zukam, würde sie doch gewiß ihren eigenen Kreis bilden und die alteingesessenen und einflußreichen Familien allmählich verdrängen!