Dolente hatte keinerlei Schwierigkeiten, in die höheren Kreise Thebens eingeladen zu werden. Man pries sich glücklich, eine Persönlichkeit von so hohem Rang willkommen zu heißen. Ihren Aufenthalt im Süden erklärte Sethos’ Tochter mit ihrem Wunsch, diese wunderschöne Provinz ein wenig kennenzulernen, den Reiz dieser Landschaft zu genießen und sich dem riesigen Amun-Tempel in Karnak näher zu wissen, wohin sie sich in Begleitung ihres Gemahls des öfteren für ein Weilchen zurückzuziehen gedächte.
Bei Empfängen und vertraulichen Gesprächen ließ Dolente geschickt immer wieder ein paar Bemerkungen über Ramses fallen. Wer wüßte mehr über seine geheimen Absichten als sie? Sethos war ein großer König, ein untadeliger Herrscher, aber Ramses würde sich als Tyrann entpuppen. Die Oberschicht Thebens würde keinerlei Rolle mehr spielen in den Staatsangelegenheiten, dem Amun-Tempel würde weniger Unterstützung zuteil, kleine Leute wie Ramses’ Freund Ameni würden den Platz des Adels einnehmen. Punkt für Punkt entwarf Dolente ein abstoßendes Bild und knüpfte so die Bande zwischen den Gegnern von Ramses immer enger.
Sary seinerseits spielte den Frömmler. Er, der ehemalige Leiter des hochherrschaftlichen Kap, begnügte sich mit dem bescheidenen Posten eines Lehrers in einer der Schreiberschulen von Karnak und reihte sich ein in die Gruppe der Tempeldiener, die für den Blumenschmuck der Altäre verantwortlich waren. Seine Demut gefiel. Einflußreiche Mitglieder der religiösen Obrigkeit fanden Gefallen am Gespräch mit ihm und luden ihn zu Tische. Und dort verspritzte Sary sein Gift, wie seine Gemahlin andernorts.
Als er eingeladen wurde, die große Baustelle zu besichtigen, auf der Moses arbeitete, beglückwünschte er seinen ehemaligen Schüler zu dem gelungenen Werk. Keine Säulenhalle würde an die von Karnak heranreichen, deren Ausmaße den Göttern wahrlich angemessen waren.
Moses war noch kräftiger geworden. Bärtig und mit sonnenverbranntem Gesicht saß er gedankenversunken im Schatten eines riesigen Säulenkapitells.
»Wie ich mich freue, dich wiederzusehen! Noch einer meiner Schüler, dessen Erfolg ins Auge springt.«
»Sei nicht zu voreilig, denn solange die letzte Säule nicht steht, habe ich noch keine Ruhe.«
»Man ist des Lobes voll über deine Leistung.«
»Ich beschränke mich darauf, das von anderen Geleistete zu überprüfen.«
»Du darfst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen, Moses. Was du kannst, sieht doch jeder, und ich bin stolz auf dich.«
»Bist du vorübergehend in Theben?«
»Nein, Dolente und ich wohnen in einem Haus in der Nähe. Ich unterrichte in Karnak, an einer Schule.«
»Das sieht aber verdächtig nach einem Abstieg aus.«
»Das ist es auch.«
»Was ist der Grund dafür?«
»Möchtest du die Wahrheit hören?«
»Wie es dir beliebt.«
»Sie läßt sich nicht so leicht in Worte fassen.«
»Ich habe nicht die Absicht, dich zum Reden zu zwingen.«
»Ramses trägt die Schuld an meinem Los. Er hat gegen die eigene Schwester und gegen mich schlimmste Anschuldigungen erhoben.«
»Ohne Beweise zu haben?«
»Ohne den geringsten Beweis. Hätte er uns, wäre es anders gewesen, denn nicht vor Gericht bringen müssen?«
Dieser Gedankengang machte Moses unsicher.
»Ramses berauscht sich an seiner Macht«, fuhr Sary fort, »seine Schwester hat den Fehler begangen, ihm etwas mehr Zurückhaltung nahezulegen. Im Grunde hat er sich nicht verändert. Sein unnachgiebiger und ungezügelter Charakter ist nicht geeignet für die verantwortungsvolle Rolle, die ihm übertragen wurde. Glaube mir, ich bin der erste, der das bedauert. Auch ich hatte ja versucht, ihm ins Gewissen zu reden. Doch es war vergeblich.«
»Belastet dich diese Verbannung nicht?«
»Verbannung ist ein zu starkes Wort! Diese Gegend ist doch großartig, der Tempel verschafft Seelenruhe, und es macht mir Freude, mein Wissen an Kinder weiterzugeben. Ehrgeiz ist meinem Alter nicht mehr angemessen.«
»Hältst du dich für das Opfer einer Ungerechtigkeit?«
»Ramses ist der Regent.«
»Machtmißbrauch ist ein schlimmer Frevel.«
»Es ist schon besser so, glaub mir. Aber hüte du dich vor Ramses.«
»Aus welchem Grund?«
»Ich bin mir sicher, daß er sich nach und nach all seiner alten Freunde entledigen wird, und dabei wird ihm jeder Vorwand recht sein. Allein schon ihre Gegenwart wird ihm lästig sein. Er hat ohnehin nur Augen für Nefertari. Seit ihrer Heirat zählt nur mehr ihre Zweisamkeit. Diese Frau vergiftet ihm Herz und Sinn. Sei auf der Hut, Moses! Für mich ist es zu spät, aber du wirst es noch zu spüren bekommen.«
Der Hebräer dachte lange nach. Er achtete seinen ehemaligen Lehrer, dessen Worte so gar nicht streitbar geklungen hatten. Sollte Ramses wirklich den falschen Weg gegangen sein?
Der Löwe und der gelbe Hund hatten Freundschaft geschlossen mit Nefertari. Außer Ramses durfte nur sie noch den Wüstenkönig streicheln, ohne gekratzt oder gebissen zu werden. Alle zehn Tage gönnte sich das junge Paar einen freien Tag und streifte mit den beiden Tieren durchs Land. Schlächter lief neben dem Wagen her, während Wächter es sich zu Füßen seines Herrn bequem machte. Mittags aßen sie am Feldrain, bewunderten den Flug der Ibisse und Pelikane und grüßten die Dorfbewohner, die Nefertaris Schönheit bezauberte. Die junge Frau verstand es, auf jeden einzugehen, und fand für alles das richtige Wort. Schon etliche Male hatte sie bewirkt, daß sich die Lebensbedingungen eines alten oder kranken Bauern verbessert hatten.
Ob sie Tuja oder einer Magd gegenüberstand, Nefertari war immer die gleiche, stets aufmerksam und ausgeglichen. Sie besaß alle Gaben, die Ramses fehlten, Geduld, Bescheidenheit und Sanftmut. Alles, was sie tat, war einer Königin würdig. Vom ersten Augenblick an hatte er gewußt, daß sie unersetzlich sein würde.
In ihnen wuchs eine Liebe heran, die sich deutlich unterschied von der, die der Regent für Iset, die Schöne, empfand. Zwar vermochte Nefertari wie diese sich der Lust hinzugeben und die Leidenschaftlichkeit ihres Geliebten zu genießen, aber selbst im Augenblick der Vereinigung ihrer beider Körper funkelte in ihrem Blick noch ein anderes Licht. Im Gegensatz zu Iset, der Schönen, teilte Nefertari die geheimsten Gedanken ihres Geliebten.
Als der Winter des zwölften Regierungsjahrs seines Vaters anbrach, bat Ramses ihn um die Erlaubnis, Nefertari nach Abydos mitnehmen zu dürfen, damit auch sie die Osiris- und Isis-Mysterien erlebte. Das königliche Paar sowie der Regent und seine Gemahlin brachen also gemeinsam auf zur heiligen Stadt, wo Nefertari eingeweiht wurde.
Am Tage nach der Zeremonie überreichte Tuja ihr ein Goldarmband, das sie von nun an tragen würde, wenn sie der großen königlichen Gemahlin zur Hand ging bei den Ritualhandlungen. Die junge Frau war zu Tränen gerührt. So hatte ihr Lebensweg sie also doch nicht, wie befürchtet, vom Tempeldienst entfernt.
»Mir gefällt das nicht«, mäkelte Ameni.
Da Ramses wußte, wie griesgrämig er manchmal sein konnte, hörte er nur mit halbem Ohr zu.
»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, hörte er abermals.
»Sollte man dir minderwertigen Papyrus geliefert haben?«
»Den hätte ich doch gar nicht erst angenommen, darauf kannst du Gift nehmen. Fällt dir denn nichts auf? In deiner Umgebung?«
»Des Pharaos Gesundheit ist nicht beeinträchtigt, meine Mutter und meine Gemahlin sind die besten Freundinnen, das Land lebt in Frieden, Homer schreibt. Was kann man sich sonst noch wünschen? Ja, ich weiß! Du bist noch immer nicht verlobt!«
»Ich habe keine Zeit für solche Belanglosigkeiten. Hast du sonst nichts bemerkt?«