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»Ich habe meine Verpflichtungen eingehalten, der Vizekönig hat nicht Wort gehalten.«

»Bring deine Klagen vor.«

»Er hatte uns Korn versprochen im Austausch für unsere Abgaben. Wo ist es?«

»Wo sind die Abgaben?«

»Komm mit.«

Indem er dem Häuptling folgte, mußte Ramses mitten durch die Schar der Krieger. Der Vizekönig, der überzeugt war, daß sie ihn töten oder als Geisel nehmen würden, verhüllte sich das Gesicht. Doch nichts geschah.

Der Häuptling zeigte dem Regenten Säcke voller Goldstaub, Pantherfelle, Fächer und Straußeneier, die bei den adeligen Familien sehr behebt waren.

»Wenn das gegebene Wort nicht eingelöst wird, werden wir kämpfen, selbst wenn wir dabei sterben müssen. In einer wortbrüchigen Welt kann niemand leben.«

»Es wird keinen Kampf geben«, erklärte Ramses, »das Korn wird, wie versprochen, geliefert werden.«

Allzugern hätte Chenar Ramses bezichtigt, den nubischen Aufständischen gegenüber Schwäche gezeigt zu haben, aber der Vizekönig riet ihm davon ab. Die beiden Männer hatten sich an einem geheimen Ort getroffen, ausführlich miteinander gesprochen, und dabei hatte der Vizekönig erzählt, Ramses erfreue sich unter den Soldaten wachsender Beliebtheit. Man bewundere seine Kühnheit, seine ansteckende Begeisterung und seine Fähigkeit, schnelle Entschlüsse zu fassen. Unter der Führung eines solchen Heerführers fürchteten sie keinen Feind. Ramses für feige zu halten könne Chenar nur zum Nachteil gereichen.

Der ältere Sohn des Pharaos beugte sich den Vernunftgründen des Vizekönigs. Die Armee nicht hinter sich zu haben wäre gewiß ein Hemmschuh, aber letztlich würde sie dem neuen Herrscher beider Länder gehorchen. In Ägypten genügte rohe Gewalt allein nicht, um zu regieren. Man mußte der Zustimmung des Hofes und der Hohenpriester sicher sein.

Mehr und mehr verfestigte sich das Bild von Ramses als kühnem und gefährlichem Krieger. Solange Sethos die Zügel der Macht in Händen hielt, würde der junge Mann nichts unternehmen. Aber dann? Aus Lust, sich mit dem Feind anzulegen, würde er sich vielleicht doch in wahnwitzige Abenteuer stürzen, wobei Ägypten alles verlieren konnte.

Wie Chenar selbst unterstrich, hatte sogar Sethos mit den Hethitern lieber einen Waffenstillstand geschlossen, anstatt zur Eroberung ihres Landes und der berüchtigten Festung Kadesch aufzurufen. Würde Ramses ähnlich weise handeln? Die hohen Würdenträger verabscheuten den Krieg, lebten in Annehmlichkeit und Ruhe und beäugten kampfeslustige Heerführer mit Mißtrauen.

Das Land bedurfte keines Helden, der Schlachten anzetteln und ringsum alles in Feuer und Blut ertränken würde. Wie die Gesandten und Botengänger, die in den Fremdländern tätig waren, mitgeteilt hatten, waren auch die Hethiter zum Frieden und zum Verzicht auf die Eroberung Ägyptens bereit. Folglich wurde jemand wie Ramses überflüssig, wenn nicht gar schädlich. Müßte man sich seiner nicht vorsorglich entledigen, wenn er sich weiterhin als Eroberer gebärdete?

Chenars Gedankengänge eroberten nach und nach die Gemüter. Man hielt den älteren Sohn des Königs für ausgewogen und sachkundig. Sprachen die Tatsachen nicht für ihn?

Anläßlich einer Reise ins Delta, wo er zwei Provinzvorsteher überredete, ihn nach Sethos’ Tod zu unterstützen, empfing er in der Prunkkabine seines Schiffes abermals Acha. Sein Koch hatte ein vorzügliches Essen zubereitet und sein Mundschenk einen ausnehmend fruchtigen Weißwein aufgetragen.

Wie üblich war der junge Gesandte mit erlesenem Geschmack gekleidet. Sein lebhafter Blick mochte verwirren, doch die salbungsvolle Stimme und die unerschütterliche Ruhe verliehen Zutrauen. Wenn er ihm treu bliebe, nachdem er Ramses verraten hatte, würde Chenar einen kundigen Mann für auswärtige Angelegenheiten haben.

Acha kostete nur von den Speisen und nippte nur an den Getränken.

»Behagt dir dieses Essen nicht?«

»Verzeih, aber ich weilte in Gedanken woanders.«

»Bist du in Schwierigkeiten?«

»Keineswegs.«

»Hat man dir Steine in den Weg geworfen?«

»Ganz im Gegenteil.«

»Ramses! Ramses wird es sein! Er ist uns auf die Schliche gekommen!«

»Sei unbesorgt, unser Geheimnis ist gewahrt.«

»Was beschäftigt dich denn dann so?«

»Die Hethiter«, antwortete Acha.

»Die Berichte, die bei Hofe eingehen, sind aber doch allesamt beruhigend. Ihr kriegerisches Ansinnen scheint zurückgesteckt.«

»Das sind in der Tat die offiziellen Worte.«

»Und was gefällt dir daran nicht?«

»Ihre Naivität. Es sei denn, meine Vorgesetzten beabsichtigten, Sethos nicht zu beunruhigen und ihn nicht mit düsteren Vorahnungen zu belasten.«

»Besitzt du genauere Hinweise?«

»Die Hethiter sind keine einfältigen Draufgänger. Da sie mit Waffengewalt nichts erreicht haben, verlegen sie sich jetzt auf eine List.«

»Sie werden sich das Wohlwollen einiger benachbarter Krieger erkaufen und niederträchtige Intrigen spinnen.«

»So sehen es die Gesandten, in der Tat.«

»Du nicht?«

»Ich betrachte es immer weniger so.«

»Was befürchtest du statt dessen?«

»Daß die Hethiter allmählich in unsere Schutzgebiete eindringen und wir plötzlich in der Falle sitzen.«

»Das ist höchst unwahrscheinlich. Bei der geringsten Abtrünnigkeit wird Sethos einschreiten.«

»Sethos weiß davon nichts.«

Chenar nahm die Warnungen des jungen Gesandten nicht auf die leichte Schulter. Bisher war Acha ungeheuer hellsichtig gewesen.

»Droht uns bereits Gefahr?«

»Die Hethiter haben sich für ein langsames, schrittweises Vorgehen entschieden. In vier oder fünf Jahren werden sie bereit sein.«

»Beobachte weiterhin ihr Tun und Lassen, aber sag niemandem etwas davon, außer mir.«

»Du verlangst viel von mir.«

»Du wirst auch viel dafür bekommen.«

EINUNDFÜNFZIG

Das Fischerdorf lebte gemächlich vor sich hin. Hier an der Küste wurde der Siedlung sogar Schutz zuteil, da ein Dutzend Soldaten den Schiffsverkehr überwachten. Keine sonderlich aufreibende Aufgabe, denn nur von Zeit zu Zeit fuhr ein ägyptisches Schiff gen Norden. Der schwerbäuchige Sechzigjährige, der dieser Schutztruppe vorstand, vermerkte Namen und Tag, da ein Schiff hier vorbeikam, auf einem Täfelchen. Schiffe, die von außen kamen, nahmen eine andere Nilmündung.

Die Soldaten halfen den Fischern beim Einholen der Netze und Ausbessern der Boote. Man aß ausschließlich Fisch, und an Festtagen ließ sich der Wachtmeister sogar herbei, den alle zwei Wochen behördlich angelieferten Wein mit den Dorfbewohnern zu teilen.

Das Spiel der Delphine zu beobachten gehörte zu den beliebtesten Vergnügungen des kleinen Gemeinwesens. Man wurde nicht müde, ihre vollendeten Sprünge und ihr Wettschwimmen zu bewundern. Abends erzählte dann einer der alten Fischer, wie in den nahegelegenen Sümpfen Göttin Isis sich mit ihrem Neugeborenen, dem Horuskind, vor Seths Zorn verborgen gehalten habe.

»Wachtmeister, ein Schiff!«

Der Wachtmeister, der sich zu einem Mittagsschläfchen auf seiner Matte ausgestreckt hatte, wollte nicht eigens aufstehen.

»Gib ihm ein Zeichen, und vermerke seinen Namen.«

»Es kommt auf uns zu.«

»Du hast dich bestimmt geirrt. Schau nochmals genauer.«

»Es nähert sich uns, das ist eindeutig.«

Ärgerlich stand der Wachtmeister auf. Heute erwartete er keine Weinlieferung. Der Verzehr von Süßbier konnte doch nicht zu derartigen Trugbildern führen.

Vom Strand aus war das große Schiff, das geradewegs auf das Dorf zuhielt, deutlich zu erkennen.

»Es ist kein ägyptisches Schiff.«

Griechische Schiffe legten hier nicht an. Geschah dies doch einmal, dann wurde der Eindringling zurück- und dann nach Westen abgedrängt, wo die Flotte des Pharaos ihn in Empfang nehmen würde.