»An die Waffen«, befahl der Wachtmeister seinen Leuten, die mit Lanze, Schwert, Bogen und Schild schon kaum mehr umzugehen wußten.
An Bord des seltsamen Schiffes waren Männer mit dunkler Haut, krausen Schnurrbärten, hörnergezierten Helmen, metallenem Brustharnisch, auffallend spitzen Schwertern und runden Schutzschilden.
Vorne im Bug stand ein Riese.
Er wirkte so erschreckend, daß die ägyptischen Soldaten zurückwichen.
»Ein böser Geist«, murmelte einer von ihnen.
»Nur ein Mann«, berichtigte der Wachtmeister, »nieder mit ihm!«
Zwei Bogenschützen schossen gleichzeitig. Der erste Pfeil verlor sich in den Lüften, der zweite schien sich in den Brustkasten des Riesen zu bohren, doch noch bevor er ihn erreichte, hatte dieser ihn mit einem Schwerthieb zertrümmert.
»Dort drüben!« schrie einer der Soldaten. »Noch ein Schiff!«
»Ein Überfall«, stellte der Wachtmeister fest. »Rückzug!«
Ramses wiegte sich im Glück.
Ein beständiges Glück, heftig wie der Südwind, sanft wie der Nordwind. Nefertari verwandelte jeden Augenblick in Glückseligkeit, vertrieb die Sorgen, lenkte die Gedanken hin zum Licht. Neben ihr wurden die Tage hell, strahlend hell. Die junge Frau verstand es, ihn zu besänftigen, ohne das Feuer, das ihn beseelte, zu ersticken. Aber kündete sie nicht auch von einer fast beklemmenden, unheilvollen Zukunft, in der er würde regieren müssen?
Nefertari erstaunte ihn immer wieder. Sie hätte sich mit einem Leben in Ruhe und Glanz bescheiden können und schien doch gleichzeitig zur Königin geboren. Über welches Geschick würde sie herrschen oder dienend wachen? Nefertari war ein Geheimnis. Ein Geheimnis mit dem bezaubernden Lächeln der Göttin Hathor, so wie er sie in der Grabstätte des ersten Ramses, seines Ahns, gesehen hatte.
Iset, die Schöne, verkörperte die Erde, Nefertari den Himmel. Ramses brauchte die eine wie die andere, doch Iset galten nur seine Leidenschaft und sein Verlangen.
Nefertari aber war die Liebe.
Sethos betrachtete die untergehende Sonne. Als Ramses ihn begrüßte, lag bereits Dämmerung über dem Palast. Der König hatte keine Lampe angezündet.
»Mich hat ein beunruhigender Bericht von den Wachmannschaften im Delta erreicht«, offenbarte er seinem Sohn. »Meine Berater glauben an einen unerheblichen Zwischenfall, doch ich bin überzeugt, daß sie sich irren.«
»Was ist vorgefallen?«
»Seeräuber haben ein Fischerdorf am Rande des Mittelmeers überfallen. Die Küstenwachen haben daraufhin den Rückzug angetreten, behaupten aber, die Lage im Griff zu haben.«
»Ob sie lügen?«
»Das wirst du herausfinden.«
»Warum hegst du diesen Verdacht?«
»Diese Seeräuber sind furchterregende Plünderer. Wenn es ihnen gelingt, ins Landesinnere vorzudringen, werden sie Angst und Schrecken verbreiten.«
Ramses fuhr auf.
»Ist denn die Küstenwache nicht in der Lage, unsere Sicherheit zu gewährleisten?«
»Die Verantwortlichen haben die Gefahr vielleicht unterschätzt.«
»Ich breche unverzüglich auf.«
Der König betrachtete abermals den Sonnenuntergang. Gern hätte er seinen Sohn begleitet, die Wasserlandschaft des Deltas wiedergesehen und an der Spitze des Heers die Allmacht des Staates bekundet. Doch nach vierzehn Regierungsjahren nahm die Krankheit allmählich von ihm Besitz. Zum Glück ging die ihn beseelende Kraft allmählich in Ramses’ Blut über.
Die Wachen hatten sich in einiger Entfernung von der Küste in einem Weiler am Ufer eines Nilarms erneut gesammelt und in aller Eile, bis Verstärkung da war, Befestigungen aus Hölzern errichtet. Als die vom Regenten angeführten Truppen endlich eintrafen, kamen sie aus ihren Unterständen und liefen ihren Rettern entgegen.
Der dickbäuchige Wachtmeister war als erster bei Ramses und warf sich vor dem Streitwagen in den Schlamm.
»Wir sind unversehrt, Majestät! Kein einziger ist verwundet.«
»Steh auf.«
Die arglose Freude wurde von einer eisigen Stimmung gelähmt.
»Wir – wir waren zu wenige, um Widerstand zu leisten. Die Seeräuber hätten uns niedergemacht.«
»Wie weit sind sie vorgedrungen?«
»Sie haben die Küste nicht verlassen und ein anderes Dorf überfallen.«
»Weil ihr zu feige wart!«
»Aber Majestät, das wäre ein ungleicher Kampf gewesen.«
»Mach meinen Weg frei.«
Dem Wachtmeister blieb gerade noch Zeit, zur Seite zu springen. Da er mit gesenktem Kopf dastand, sah er nicht, wie der Streitwagen des Regenten auf das Leitschiff eines beeindruckenden Flottenverbandes aus Memphis zufuhr. Kaum war Ramses an Bord, gab er Befehl, schnurgerade nach Norden zu rudern.
Er war rasend vor Zorn auf diese Seeräuber und diese unfähigen Soldaten, und er verlangte von seinen Ruderern die Aufbietung sämtlicher Kräfte. Ihr Eifer erlahmte nicht, sie ließen sich sogar anstecken und hatten es plötzlich genauso eilig wie er, an der Meeresgrenze Ägyptens die Ordnung wiederherzustellen.
Ramses fuhr geradewegs auf sein Ziel los.
Die Seeräuber, die sich inzwischen in den beiden eroberten Dörfern niedergelassen hatten, wußten noch nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Sollten sie ihren Zugriff auf die Küste erweitern und sich am Sieg erfreuen oder die Beute packen und heimfahren und in näherer Zukunft erneut angreifen?
Als Ramses sie angriff, saßen sie gerade beim Mittagsmahl und aßen Fisch. Trotz der zahlenmäßig gewaltigen Überlegenheit des Gegners verteidigten die Seeräuber sich mit unglaublicher Wildheit. Der Riese allein erledigte rund zwanzig Fußsoldaten, mußte aber der großen Zahl dann doch weichen.
Mehr als die Hälfte der Seeräuber war getötet worden, ihr Schiff stand in Flammen, aber ihr Anführer weigerte sich, vor Ramses klein beizugeben.
»Wie heißt du?«
»Serramanna.«
»Woher kommst du?«
»Aus Sardinien. Du hast mich besiegt, aber andere sardische Schiffe werden mich rächen. Zu Dutzenden werden sie einfallen, und du wirst sie nicht aufhalten können. Wir wollen die Reichtümer Ägyptens, und wir werden sie uns holen.«
»Wieso beschränkt ihr euch nicht auf euer eigenes Land?«
»Erobern ist unser Lebensinhalt. Eure armseligen Soldaten werden uns nicht lange Widerstand leisten.«
Empört über die Frechheit des Mannes, hob einer der Ägypter sein Beil, um ihm den Schädel zu spalten.
»Zurück!« befahl Ramses, an seine Soldaten gewandt. »Wer von euch tritt freiwillig gegen diesen Barbaren an?«
Es gab keinen Freiwilligen.
Serramanna lachte höhnisch.
»Ihr seid keine Krieger!«
»Was genau suchst du hier?«
Die Frage überraschte den Riesen.
»Reichtum! Und dann auch noch Weiber, euren besten Wein, ein Haus mit Landbesitz und…«
»Wenn ich dir das alles biete, würdest du dann das Amt des Obersten meiner Leibgarde übernehmen?«
Die Augen des Riesen weiteten sich, bis vom Gesicht kaum mehr etwas übrigblieb.
»Töte mich, aber verspotte mich nicht!«
»Ein echter Krieger ist fähig, in einem einzigen Augenblick eine Entscheidung zu treffen. Willst du mir also dienen oder sterben?«
»Sag deinen Wachen, sie sollen mich loslassen!«
Furchterfüllt banden die zwei Soldaten ihm die Handgelenke los.
Ramses war groß, aber Serramanna war noch einen Kopf größer. Als er zwei Schritte auf den Regenten zu tat, richteten die ägyptischen Bogenschützen ihre Pfeile auf ihn. Wenn er sich auf Ramses stürzte und einen Zweikampf beabsichtigte, um ihn mit seinen Pranken zu erwürgen, würden sie dann noch schießen können, ohne Sethos’ Sohn zu verletzen?
Ramses las in den Augen des Sarden die Lust zu töten, blieb aber weiterhin mit verschränkten Armen stehen, als kümmere ihn das nicht. Sein Gegner vermochte beim Regenten keine Spur von Angst auszumachen.