Es war kein Fest im landläufigen Sinne. Mehrere junge Mädchen aus Jen besten Familien hatten sich vorgenommen, unter sachkundiger Anleitung ihre Begabung für den Tanz unter Beweis zu stellen. Ramses war spät eingetroffen, da er am Festmahl nicht teilnehmen wollte; so geriet er unbeabsichtigt in die erste Reihe der zahlreichen Zuschauer.
Als Ort ihrer Darbietung hatten zwölf Tänzerinnen das Ufer des großen Weihers gewählt, in dem weiße und blaue Lotosblüten prangten. Der ganze Platz wurde erleuchtet von Fackeln, die in hohen Schäften steckten.
Die jungen Frauen – Perlennetz über kurzem Hemd, Perücke mit drei Zopfreihen, breite Halsketten und Lapislazuli-Armbänder vollführten unzüchtige Gebärden. Geschmeidig neigten sie sich zu Boden, streckten sie die Arme unsichtbaren Partnern entgegen, um sie zu umfangen. Jede Bewegung wurde voll ausgekostet, und jeder Zuschauer hielt den Atem an.
Plötzlich warfen die Tänzerinnen Perücke, Hemd und Perlennetz ab – die Haare waren hochgesteckt, die Brüste nackt, nur ein kurzer Schurz bot spärliche Verhüllung, der rechte Fuß hämmerte auf den Boden, bis sie plötzlich, alle gemeinsam, einen weiten, gestreckten Sprung rückwärts machten, der laute Bewunderung fand. Anmutig neigten und wiegten sie sich und vollführten noch weitere, nicht minder aufsehenerregende Kunststücke.
Vier junge Frauen lösten sich aus der Gruppe, die jetzt sang und im Takt klatschte. Die von einer altbekannten Weise beflügelten Solistinnen stellten die vier Winde dar. Iset, die Schöne, verkörperte den sanften Nordwind, der an glühendheißen Abenden alle Lebewesen aufatmen läßt. Sie übertraf ihre Partnerinnen bei weitem und genoß es sichtlich, alle Blicke auf sich zu lenken.
Ramses vermochte sich ihrem Zauber nicht zu entziehen. Ja, sie war großartig, und keine konnte es mit ihr aufnehmen. Sie setzte ihren Körper ein wie ein Instrument, dem sie vertraute Melodien entlockte, und das wirkte so gelöst, als betrachte sie sich selbst ohne jede Scham. Zum erstenmal erblickte Ramses eine Frau, die in ihm den Wunsch weckte, sie in die Arme zu schließen.
Sobald der Tanz zu Ende war, löste er sich aus den Reihen der Zuschauer und setzte sich abseits an eine Ecke des Eselpferchs.
Iset, die Schöne, hatte es darauf abgesehen, ihn herauszufordern. Da sie wußte, daß sie seinen Bruder heiraten würde, gab sie ihm den Gnadenstoß, um ihm noch deutlicher zu machen, daß er ausgestoßen war. Er, der von Großem geträumt hatte, mußte Demütigung um Demütigung hinnehmen. Aus diesem Teufelskreis mußte er hinaus, er mußte die Dämonen abschütteln, die sich ihm immer wieder in den Weg stellten. Die Provinz! Wenn es denn so sein sollte! Dort würde er beweisen, was er wert war, in jeder Hinsicht. Wenn auch das mißlang, würde er zu Setaou ziehen und sich den gefährlichsten Schlangen stellen.
»Sollte dich etwas bedrücken?«
Lautlos hatte Iset, die Schöne, sich ihm genähert. Sie lächelte ihn an.
»Nein, ich habe nachgedacht.«
»Wohl völlig in Gedanken versunken? Alle Gäste sind fort, meine Eltern und ihre Dienerschaft schlafen.«
Ramses war nicht bewußt geworden, wie die Zeit verstrichen war, beleidigt erhob er sich.
»Verzeih mir, ich verlasse dein Reich unverzüglich.«
»Hat dir eine Frau schon einmal gesagt, daß du schön und verführerisch bist?«
Das gelöste Haar, die bloßen Brüste, dieses verwirrende Funkeln in den Augen… Sie verstellte ihm den Weg.
»Bist du nicht mit meinem Bruder verlobt?«
»Begnügt sich ein Königssohn mit Gerüchten? Ich liebe, wen ich will, und deinen Bruder hebe ich nicht. Dich begehre ich, hier und jetzt.«
»Königssohn… Bin ich es noch?«
»Liebe mich.«
Gemeinsam lösten sie den verknoteten Schurz.
»Ich vergöttere die Schönheit, Ramses, und du bist die Verkörperung der Schönheit.«
Die Hände des Prinzen liebkosten die junge Frau und nahmen sie gefangen. Er wollte geben und nichts nehmen, seiner Geliebten das Feuer darbieten, das von seinem Wesen Besitz ergriffen hatte. Besiegt gab sie sich hin. Mit unglaublich sicherem Instinkt entdeckte Ramses die geheimen Orte seiner Lust und verzögerte trotz seiner Feurigkeit zärtlich die Erfüllung.
Sie war unberührt wie er. In der Süße der Nacht boten sie sich einander dar, trunken von einem Verlangen, das stets von neuem aufwallte.
SIEBEN
WÄCHTER HATTE HUNGER. Entschlossen leckte der goldgelbe Hund seinem Herrn, der wirklich zu lange schlief, übers Gesicht. Ramses fuhr hoch, noch in einem Traum befangen, in dem er den liebenden Körper einer Frau an sich preßte, deren Brüste süßen Äpfeln glichen, deren Lippen so zart wie Zuckerrohr und deren Beine so geschmeidig wie Kletterpflanzen waren.
Ein Traum? Nein, es war kein Traum! Es gab sie wirklich, Iset hieß sie, die Schöne, sie hatte sich ihm hingegeben und ihn die Lust entdecken lassen.
Wächter, dem die Erinnerungen des Prinzen nichts sagten, bellte mehrmals ungeduldig. Ramses begriff endlich und begleitete den Hund in die Palastküchen, wo er gierig das Futter verschlang. Sobald der Napf geleert war, machten sie sich auf in Richtung Stallungen.
Dort standen herrliche Pferde, die sorgfältig gepflegt, geschniegelt und gestriegelt wurden. Wächter war argwöhnisch gegenüber diesen hochtrabenden Vierbeinern, die völlig unvorhersehbar reagieren konnten. Lieber hielt er sich vorsichtig hinter seinem Herrn.
Ein paar Stallburschen spotteten über einen Lehrling, der mit großer Mühe einen strohgeflochtenen Tragkorb voller Pferdeäpfel schleppte. Einer stellte ihm ein Bein, so daß der Unglückliche den Korb fallen ließ und der Inhalt ihm vor die Füße rollte.
»Aufsammeln«, befahl der Henkersknecht, ein Fünfzigjähriger mit bulligem Gesicht.
Der Unglücksrabe wandte sich um, und da erkannte ihn Ramses.
»Ameni!«
Der Prinz sprang ihm bei, versetzte dem Stallknecht einen Hieb mit dem Ellbogen und half seinem Freund, der an allen Gliedern zitterte, auf.
»Was machst du denn hier?«
Der verstörte junge Mann stammelte etwas Unverständliches. Eine rachsüchtige Hand legte sich auf Ramses’ Schulter.
»Hör mal, du… Wer bist du, daß du dir erlaubst, uns ins Handwerk zu pfuschen?«
Ein Ellbogenhieb in den Brustkasten, und der Fragesteller flog auf den Rücken. Wutschnaubend wegen dieser Erniedrigung, rief er mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Kameraden herbei.
»Die wollen wir mal etwas Anstand lehren, diese beiden frechen Bengel…«
Der goldgelbe Hund bellte und bleckte die Zähne.
»Lauf«, befahl Ramses Ameni.
Der Schreiber war unfähig, sich zu rühren.
Einer gegen sechs, das konnte Ramses nicht schaffen. Doch solange die Burschen davon überzeugt waren, hatte er eine winzige Chance, diesem Wespennest zu entkommen. Der kräftigste stürzte sich auf ihn, seine Faust stieß ins Leere, und bevor er begriff, wie ihm geschah, wurde er in die Luft geworfen und knallte auf den Rücken. Zweien seiner Verbündeten erging es ebenso.
Ramses war froh, daß er sich im Kampfsportunterricht stets so eifrig und gewissenhaft gestählt hatte. Diese Kerle wußten nicht zu kämpfen, da sie nur rohe Gewalt kannten und zu schnell siegen wollten. Wächter kämpfte mit ihm, er biß den vierten in die Wade, sprang aber sogleich zur Seite, um nicht noch einen Hieb abzubekommen. Ameni hatte die Augen geschlossen, Tränen quollen aus ihnen hervor.
Zögernd rotteten die Stallburschen sich erneut zusammen. Nur ein Adelssprößling konnte diese Griffe kennen.
»Woher kommst du?«
»Solltet ihr Angst haben, sechs gegen einen?«