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Serramanna beugte das Knie und senkte den Kopf.

»Befiehl, und ich werde gehorchen.«

ZWEIUNDFÜNFZIG

In Memphis war man empört. Stellte die Oberschicht der Armee etwa nicht genügend tapfere Söhne, oder waren diese etwa nicht würdig, den Schutz des Regenten zu gewährleisten? Die Leibgarde einem solchen Barbaren zu unterstellen war eine Beleidigung des Adels, selbst wenn Serramanna, das mußte man zugeben, in seiner sardischen Tracht in der Tat abschreckender wirkte als jeder andere. Die übrigen Seeräuber, die sich der Plünderung schuldig gemacht hatten, waren zwar zur Verbüßung ihrer Schuld in die Steinbrüche geschickt worden, aber gebührte ihrem Anführer deshalb ein solch beneidenswerter Posten? Keiner würde Mitleid haben mit dem Regenten, wenn der Kerl ihm eines Tages doch in den Rücken fiele.

Chenar jubilierte. Wieder hatte Ramses einen Fehler begangen. Diese empörende Entscheidung war ein beredter Beweis, daß nur rohe Gewalt bei Ramses Anklang fand. Bankette und Empfänge strafte er mit Mißbilligung und machte statt dessen endlose Ritte durch die Wüste, übte sich unermüdlich im Bogenschießen und Schwertkampf, wenn er nicht gar mit seinem Löwen herumtollte.

Serramanna wurde zu seinem bevorzugten Kampfgefährten. Einer lernte vom anderen, sei es im Ringkampf oder mit der Waffe, wobei Kraft und Geschmeidigkeit sich harmonisch verbanden. Die dem Riesen unterstellten Ägypter beklagten sich nicht. Auch sie wurden gedrillt und zu Elitesoldaten geschult und dafür bestens untergebracht und verpflegt.

Ramses hielt sein Wort. Serramanna wurde Besitzer eines Hauses mit acht Räumen, einem Brunnen und einem baumbestandenen Garten. Sein Keller füllte sich mit Amphoren voll ausgereiften Weines und sein Bett mit nicht gerade scheuen Libyerinnen und Nubierinnen, die den Fremdling höchst anziehend fanden.

Obgleich er weiterhin Helm, Brustschild, Schwert und Rundschild trug, vergaß der Sarde seine Heimat. In Sardinien war er arm und verachtet gewesen, in Ägypten war er reich und geachtet! Dafür war er Ramses unendlich dankbar. Er hatte ihm nicht nur das Leben geschenkt, sondern ihm auch noch jenes beschert, von dem er immer geträumt hatte. Wer auch immer es wagen sollte, den Regenten zu bedrohen, der würde es mit ihm zu tun bekommen!

Die Nilschwemme in diesem vierzehnten Regierungsjahr Sethos’ war nicht vielversprechend. Der schwache Wasseranstieg könnte zu Hungersnöten führen. Sobald der König eine Bestätigung der Kundigen aus Assuan erhielt, die den Fluß beobachteten und ihre Aufzeichnungen mit denen früherer Zeiten verglichen, ließ er Ramses rufen. Trotz seiner Mattigkeit, die sich nicht bessern wollte, fuhr der Pharao mit seinem Sohn zum Gebel Silsileh, wo die Ufer den Nil einengten. Dort kam der Überlieferung gemäß Hapi, der das Wasser anschwellen ließ, aus zwei Höhlen hervor, und dieses reine Wasser nährte das Land.

Um ihn wohlwollend zu stimmen, opferte Sethos dem Fluß vierundfünfzig Krüge Milch, dreihundert Brote, siebzig Kuchen, achtundzwanzig Näpfe Honig, achtundzwanzig Körbe Weintrauben, vierundzwanzig Körbe Feigen, achtundzwanzig Körbe Datteln sowie Granatäpfel, Avocados, Jojobas, Gurken und Bohnen, Tonfigürchen, achtundvierzig Krüge Weihrauch, Gold, Silber, Kupfer, Alabaster und Kuchen in Form von Kalb, Gans, Krokodil und Flußpferd.

Drei Tage später war der Wasserspiegel gestiegen, aber noch immer unzureichend. Es blieb nur noch eine winzige Hoffnung.

Das Haus des Lebens von Heliopolis war das älteste Ägyptens. Dort wurden die Schriften über die Geheimnisse von Himmel und Erde, die geheimen Rituale, die Himmelskarten, die Annalen der Königshäuser, die Verheißungen, die Göttersagen, die Aufzeichnungen aus Medizin und Chirurgie, die Abhandlungen über Mathematik und Geometrie, Hinweise zur Traumdeutung, die Handbücher zur Baukunst, Bildhauerei und Malerei, die Listen des für jeden Tempel notwendigen Ritualgeräts, der Festtagskalender, Sammlungen mit Zauberformeln, die von den Alten verfaßten »Weisheitslehren« und die Spruchsammlungen zur »Verwandlung in Licht«, die das Reisen in der anderen Welt begleiteten, sorgfältig aufbewahrt.

»Für einen Pharao gibt es keinen wichtigeren Ort«, erklärte Sethos. »Sobald dich Zweifel befällt, komm hierher, und befrage die Archive. Das Haus des Lebens ist die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft Ägyptens. Nimm seine Lehren in dich auf, dann wirst du sehend werden wie ich.«

Sethos bat den Vorsteher des Hauses, einen alten Priester, der der Außenwelt entsagt hatte, ihm das »Nilbuch« zu bringen. Einer der Tempelhüter übernahm diese Aufgabe. Ramses erkannte ihn.

»Bist du nicht Bakhen, der Aufseher der königlichen Stallungen?«

»Ich war es einmal und erfüllte gleichzeitig meinen Auftrag als Tempeldiener. Seit meinem einundzwanzigsten Geburtstag habe ich meine weltlichen Ämter niedergelegt.«

Der stämmige Bakhen mit dem eckigen und häßlichen Gesicht, das nun kein Kurzbart mehr verhärtete, mit den muskulösen Armen und der tiefen und heiseren Stimme glich wahrlich keinem Gelehrten, der sich in die Weisheit der Alten zu versenken pflegte.

»Unterschätze diesen Mann nicht«, empfahl Sethos. »In wenigen Wochen wird er nach Theben aufbrechen und Dienst im Amun-Tempel von Karnak versehen. Dort wirst du ihm immer wieder begegnen.«

Der König las das ehrwürdige Nilbuch, das einer seiner Vorgänger aus der dritten Dynastie vor mehr als dreizehnhundert Jahren verfaßt hatte. Geprägt von tiefem Wissen um den Nil, verriet es, was bei zu niedrigem Wasserstand zu tun war.

Sethos verstand. Das Opfer am Gebel Silsileh mußte in Assuan, Theben und Memphis wiederholt werden.

Erschöpft kehrte Sethos von dieser langen Reise zurück. Als die Boten ihm meldeten, der Wasserstand habe fast die übliche Höhe erreicht, befahl er den Provinzvorstehern, die Deiche und Auffangbecken besonders sorgfältig zu überprüfen. Das Unheil war zwar abgewendet, doch nun hieß es, keinen Tropfen versickern zu lassen.

Jeden Morgen empfing der König, dessen Antlitz immer hagerer wurde, seinen Sohn Ramses und sprach zu ihm von der Maat, der Göttin der Gerechtigkeit, dargestellt von einer zarten Frau oder einer Feder, der Steuerfeder der Vögel. Sie war die Herrscherin, denn nur sie gewährleistete den Zusammenhalt zwischen den Menschen. Achtete man dieses göttliche Gesetz, war auch die Sonne bereit, zu scheinen, das Korn wachsen zu lassen, und der Schwache würde vor dem Starken geschützt, und Gegenseitigkeit und Miteinander würden Alltag in Ägypten. Dem Pharao oblag es, Recht zu sprechen und die Gesetze der Maat anzuwenden. Das war wichtiger als tausend blendende Heldentaten.

Seine Worte waren Balsam für Ramses’ Seele, der es nicht wagte, den Vater nach seiner Gesundheit zu fragen, denn er fühlte, wie dieser sich allmählich vom Alltag loslöste und eine andere Welt betrachtete, deren Kräfte er seinem Sohn vermittelte. Kein Fünkchen dieser Unterweisungen durfte er vergeuden. Um des Pharaos Worte in sich aufzunehmen, vernachlässigte er Nefertari, Ameni und alle, die ihm nahestanden.

Seine Gemahlin bestärkte Ramses in diesem Tun. Mit Amenis Hilfe übernahm sie eine Menge seiner Verpflichtungen, so daß er sich ganz in den Dienst Sethos’ stellen und so der Erbe seiner Macht werden konnte.

Nach allem, was man hörte, war kein Zweifel mehr möglich. Die Krankheit, an der Sethos litt, nahm nun ganz Besitz von ihm. Klagend und mit Tränen in den Augen verbreitete Chenar diese Nachricht unter den Höflingen und ließ sie auch dem großen Amun-Priester sowie den Provinzvorstehern zukommen. Die Ärzte hatten zwar noch Hoffnung, das Leben des Herrschers verlängern zu können, doch mit dem Schlimmsten müsse gerechnet werden. Und dann würde wahrscheinlich das Unheil hereinbrechen, denn Ramses würde zum Pharao gekrönt.

Wer dies verhindern und Chenar unterstützen wolle, müsse sich bereithalten. Er würde zwar versuchen, seinem Bruder klarzumachen, daß er nicht fähig sei, dieses höchste Amt auszufüllen, doch würde die Vernunft Gehör finden? Wenn der Erhalt des Landes es gebot, müßte man vielleicht zu anderen Mitteln greifen, die scheinbar verwerflich wären, aber doch die einzige Möglichkeit, einen Hitzkopf daran zu hindern, Ägypten in den Untergang zu treiben.