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Chenars gemäßigte und hellsichtige Worte fanden Gehör. Jeder wünschte, Sethos möge noch lange regieren, doch man machte sich auf das Schlimmste gefaßt.

Die griechischen Soldaten, die sich inzwischen als Kaufleute betätigt hatten, schärften erneut ihre Waffen. Auf Geheiß ihres Königs Menelaos würden sie eine Truppe bilden, die um so schlagkräftiger wäre, als niemand mit einem solchen Kraftakt von seiten der friedlich in Ägypten lebenden Fremden rechnete. Je näher der Tag des Aufstands kam, desto eiliger hatte es der König von Lakedämon, hier kräftig dreinzuschlagen. Er würde sein gewaltiges Schwert schwingen, Bäuche und Brüste durchbohren, Gliedmaßen abhauen und Schädel zertrümmern, mit dem gleichen Ungestüm wie auf dem Schlachtfeld bei Troja. Dann würde er heimkehren und Helena ihre Verfehlungen und ihre Untreue büßen lassen!

Chenar war zuversichtlich. Die Mannigfaltigkeit und Tauglichkeit seiner Verbündeten war vielversprechend. Nur eine Figur war ihm hinderlich, der Sarde Serramanna. Als Ramses ihn zum Befehlshaber seiner Leibgarde ernannte, hatte er ungewollt einen Plan seines Bruders durchkreuzt, der bereits einen griechischen Offizier zum Schutz des Regenten gedungen hatte. Dieser Söldner konnte sich nun leider Ramses ohne Zustimmung des Riesen nicht nähern. Die Lösung ergab sich von selbst. Menelaos müßte den Sarden beseitigen, dessen Verschwinden keinen Wirbel auslösen würde.

Chenar hatte alle Fäden in der Hand. Er brauchte nur noch den Tod Sethos’ abzuwarten und dann das Zeichen zum Angriff zu geben.

»Heute morgen wird dem Vater dich nicht empfangen«, sagte Tuja bedauernd.

»Hat sein Zustand sich verschlechtert?« fragte Ramses.

»Sein Leibarzt wollte ihn nicht operieren, und um seine Schmerzen zu lindern, hat er ihm ein starkes Schlafmittel aus Alraunwurzel gegeben.«

Tuja war sehr gefaßt, doch der Kummer klang aus all ihren Worten.

»Sag mir die Wahrheit. Gibt es noch Hoffnung?«

»Ich glaube nicht. Sein Körper ist zu geschwächt. Trotz seiner Widerstandskraft hätte dein Vater sich mehr Ruhe gönnen müssen. Doch wie soll man einen Pharao davon abhalten, sich um das Wohl seines Volkes zu sorgen?«

Ramses sah die Tränen in den Augen der Mutter und drückte sie an sich.

»Sethos fürchtet den Tod nicht. Sein ewiges Haus ist fertig, und er ist bereit, vor Osiris und den Richtern der anderen Welt zu erscheinen. Sobald seine Taten neben ihm aufgehäuft sein werden, wird er nichts zu befürchten haben von dem Ungeheuer, das jene verschlingt, die die Maat verleugnet haben. Auf Erden werde ich dies bezeugen.«

»Wie kann ich dir dabei helfen?«

»Mach dich bereit, mein Sohn. Mach dich bereit, den Namen deines Vaters auf ewig am Leben zu erhalten, deine Schritte in die Fußstapfen deiner Ahnen zu lenken und den unbekannten Gesichtern des Schicksals zu trotzen.«

Setaou und Lotos verließen ihr Haus bei Einbruch der Nacht. Aus den Niederungen hatte das Wasser sich zurückgezogen, und das Land sah wieder aus wie immer. Obwohl die Überschwemmung nicht heftig gewesen war, hatte sie den Boden doch gereinigt und ihn von unzähligen Nagern und Reptilien, die in ihren Schlupflöchern ertrunken waren, befreit. Die überlebenden waren die widerstandsfähigsten und schlausten, und daher war das Spätsommergift so besonders wirksam.

Der Schlangenjäger hatte es auf eine bestimmte Gegend in der östlichen Wüste abgesehen, die er gut kannte. Dort lebten prachtvolle Kobras, deren Biß tödlich war. Setaou ging auf den Bau der größten zu. Er kannte ihr Verhalten. Lotos lief barfüßig hinter ihm. Trotz ihrer Erfahrung und Unerschrockenheit wollte er sie nicht der geringsten Gefahr aussetzen. Die hübsche Nubierin trug eine Astgabel als Stock, einen Leinenbeutel und ein Glasröhrchen. Das Reptil auf den Boden zu pressen, damit es Gift spuckte, war ein Kinderspiel.

Der Vollmond erhellte die Wüste. Er erregte die Schlangen, so daß sie sich weit vorwagten. Setaou sang leise vor sich hin, wobei er die tiefen Töne, die den Kobras schmeichelten, besonders hervorhob. Er hatte eine Stelle ausgemacht, wo sich zwischen zwei flachen Steinen eine Höhlung zeigte und der Sand sich wellte. Hier mußte ein riesiges Reptil vorbeigezogen sein.

Setaou setzte sich und sang beharrlich weiter. Die Kobra ließ auf sich warten.

Lotos warf sich kopfüber in den Sand, wie eine Schwimmerin in einen Fluß. Setaou stutzte und sah, wie sie mit der schwarzen Kobra rang, der er aufgelauert hatte. Der Kampf währte nicht lange, und die Nubierin stopfte das Tier in den Beutel.

»Sie wollte dich von hinten angreifen«, erklärte Lotos.

»Das ist völlig ungewöhnlich«, befand Setaou. »Wenn die Schlangen den Kopf verlieren, steht ein Erdbeben bevor.«

DREIUNDFÜNFZIG

 »Denn wir werden nicht ruhen«, deklamierte Homer, »und wäre es nur für ein Weilchen, bis die nahende Nacht den Mut der Männer gebrochen. Triefen wird manchem das Wehrgehenk des beschützenden Schildes über der Brust von Schweiß und starren die Hand an der Lanze.«

»Künden diese Verse deiner Ilias von einem neu aufflammenden Krieg?« fragte Ramses.

»Ich spreche nur von der Vergangenheit.«

»Ist das keine Vorahnung der Zukunft?«

»Ägypten beginnt mich zu betören. Ich würde es ungern ins Chaos sinken sehen.«

»Woher dann diese Furcht?«

»Ich habe immer noch ein Ohr für meine Landsleute. Ihre augenblickliche Aufregung beunruhigt mich.«

»Weißt du Genaueres?«

»Ich bin nur ein Dichter, und mein Augenlicht wird zunehmend schwächer.«

Helena dankte Königin Tuja, daß sie ihr in dieser so schmerzlichen Zeit eine Begegnung gewährte. Auf dem vollendet geschminkten Antlitz der großen königlichen Gemahlin war keine Spur von Leid zu erkennen.

»Ich weiß nicht, wie…«

»Worte sind überflüssig, Helena.«

»Mein Kummer ist aufrichtig, ich bete zu den Göttern, daß der König genesen möge.«

»Hab Dank dafür, Helena. Auch ich flehe zum Unsichtbaren.«

»Ich bin besorgt, so besorgt.«

»Was fürchtest du?«

»Menelaos ist so fröhlich, zu fröhlich. Er, der sonst so finster ist, scheint zu jubilieren. Folglich ist er überzeugt, mich bald nach Griechenland zurückzubringen!«

»Selbst wenn Sethos sterben sollte, genießt du hier Schutz.«

»Ich fürchte das Gegenteil, Majestät.«

»Menelaos ist mein Gast. Er hat keinerlei Entscheidungsbefugnis.«

»Ich möchte hierbleiben, in diesem Palast, in deiner Nähe!«

»Beruhige dich, Helena. Du hast nichts zu fürchten.«

Trotz der besänftigenden Zusicherungen der Königin fürchtete Helena Menelaos’ Bosheit. Sein Verhalten bewies, daß er etwas im Schilde führte, um seine Frau aus Ägypten herauszuholen. Wäre Sethos’ Dahinscheiden nicht die beste Gelegenheit? Helena beschloß, das Treiben ihres Mannes zu beobachten. Vielleicht war sogar Tujas Leben in Gefahr. Wenn Menelaos nicht bekam, was er begehrte, wurde er gewalttätig. Und diese Gewalttätigkeit hatte er lange nicht mehr ausleben dürfen.

Ameni las den Brief, den Dolente an Ramses geschrieben hatte:

»Mein geliebter Bruder,

mein Gemahl und ich machen uns Sorge wegen Deiner Gesundheit und mehr noch wegen der unseres verehrten Vaters, des Pharaos Sethos. Gerüchte besagen, er sei schwer erkrankt. Ist der Zeitpunkt des Verzeihens nicht gekommen? Mein Platz ist in Memphis. Im Vertrauen auf Deine Güte bin ich überzeugt, daß Du die Verfehlung meines Gemahls vergessen und ihm gestatten wirst, an meiner Seite Sethos und Tuja seine Liebe zu bekunden. In diesen schweren Stunden müssen wir einander beistehen. Ist das Wichtigste nicht, wieder eine geschlossene Familie zu bilden, anstatt an Vergangenem festzuhalten?