Im Vertrauen auf Deine Nachsicht harren Sary und ich mit Ungeduld Deiner Antwort.«
»Lies ihn noch einmal langsam vor«, befahl der Regent.
Ameni tat es, er war erregt.
»Ich«, brummte er, »würde nicht antworten.«
»Nimm ein neues Blatt Papyrus.«
»Sollen wir etwa nachgeben?«
»Dolente ist meine Schwester, Ameni.«
»Mein Verschwinden hätte sie nicht beweint. Aber ich gehöre ja auch nicht zur königlichen Familie.«
»Warum so bitter?«
»Nachsicht ist nicht immer die beste Ratgeberin. Deine Schwester und ihr Mann werden nur darauf sinnen, dich zu verraten.«
»Schreib, Ameni.«
»Mein Handgelenk schmerzt. Willst du deiner Schwester nicht eigenhändig deine Verzeihung gewähren?«
»Schreib, ich bitte dich darum.«
Wütend umklammerte Ameni seine Schreibbinse.
»Schreib meiner Schwester: Untersteht Euch nicht, nach Memphis zurückzukehren, andernfalls kommt Ihr vor das Gericht des Wesirs, und haltet Euch fern vom Pharao.«
Amenis Binse flog nur so über das Blatt.
Stunden verbrachte Dolente bei Iset, der Schönen, nachdem sie ihr Ramses’ beleidigende Antwort gezeigt hatte. Verhießen seine Unnachgiebigkeit, seine Heftigkeit, seine Herzlosigkeit nicht auch seiner zweiten Gemahlin und seinem Sohn eine düstere Zukunft?
Chenar hatte gewiß recht gehabt, immer wieder die Charakterschwächen seines Bruders anzuprangern. Nur die uneingeschränkte Macht war Ramses wichtig. In seinem Umkreis würde er nur Zerstörung und Unheil stiften. Trotz ihrer einstigen Liebe zu ihm würde doch auch Iset nicht umhinkönnen, einen gnadenlosen Kampf gegen Ramses zu führen, wenn sogar Dolente, seine eigene Schwester, sich dazu gezwungen sah.
Die Zukunft Ägyptens hieß Chenar. Iset würde Ramses vergessen müssen, den neuen Herrscher des Landes heiraten und mit ihm eine echte Familie gründen.
Sary fügte hinzu, der große Amun-Priester und zahlreiche andere Würdenträger teilten Chenars Ansicht und würden ihn unterstützen, sobald er nach Sethos’ Dahinscheiden seinen Anspruch auf den Thron geltend machte. Nun war Iset, die Schöne, im Bilde und konnte ihr Schicksal in die Hand nehmen.
Als Moses kurz nach Sonnenaufgang zur Baustelle kam, war kein Steinhauer an der Arbeit. Dabei war es ein Tag wie jeder andere, und an Gewissenhaftigkeit hatten es diese ausgesuchten Arbeiter noch nie mangeln lassen. In ihrer Zunft mußte jedes Fehlen gerechtfertigt werden.
Aber die Säulenhalle von Karnak, die nach Fertigstellung die größte Ägyptens sein würde, war menschenleer. Zum erstenmal genoß der Hebräer eine Stille, die Meißel und Steinscheren nicht störten. Er betrachtete die Götterdarstellungen auf den Säulen und bewunderte die Opferhandlungen, bei denen der Pharao mit den Gottheiten verschmolz. Hier kam das Sakrale so ungeheuer kraftvoll zum Ausdruck, daß die Seele nur erhoben werden konnte.
Stunde um Stunde verweilte Moses hier allein, als sei er Herr über diesen magischen Ort, wo morgen die für das Überleben Ägyptens notwendigen Schöpfungskräfte Einzug halten würden. Aber waren sie der höchste Ausdruck des Göttlichen? Endlich bemerkte er einen Vorarbeiter, der zu Füßen einer Säule vergessenes Handwerksgerät abholte.
»Wieso wurde die Arbeit unterbrochen?«
»Hat man es dir denn nicht gesagt?«
»Ich bin gerade erst aus dem Steinbruch am Gebel Silsileh zurückgekommen.«
»Der Meister hieß uns heute morgen die Arbeit hier abbrechen.«
»Und aus welchem Grund?«
»Der Pharao persönlich wollte uns den vollständigen Plan des Baus erklären, aber er ist aufgehalten in Memphis. Sobald er nach Theben kommt, werden wir weitermachen können.«
Diese Erklärung befriedigte Moses nicht. Was vermochte Sethos davon abzuhalten, nach Theben zu kommen und sich um dieses so gewaltige Bauvorhaben zu kümmern? Nur eine schwere Erkrankung konnte der Grund sein.
Sethos todkrank? Wer hätte damit gerechnet? Ramses dürfte verzweifelt sein.
Moses würde das erste Schiff nach Memphis nehmen.
»Komm näher, Ramses.«
Sethos lag auf einem vergoldeten Holzbett in der Nähe des Fensters, durch das die Abendsonne ins Zimmer fiel und sein Antlitz, dessen Gelassenheit den Sohn erstaunte, mit Licht überflutete.
Neue Hoffnung beseelte in Ramses. Sethos hatte wieder die Kraft, seinen Sohn zu empfangen, die Wundmale der Leidenszeit würden verblassen. Würde er nicht doch Sieger bleiben im Kampf gegen den Tod?
»Der Pharao ist das Abbild des Schöpfers, der sich selbst geschaffen hat«, erklärte Sethos. »Er handelt, damit die Maat ihren rechten Platz erhält. Dein Handeln sei den Göttern wohlgefällig, Ramses. Sei der Hirte für dein Volk, schenke den Menschen, ob klein oder groß, ihr Leben, sei wachsam bei Tag wie bei Nacht, und nutze jede Gelegenheit, sinnvoll zu handeln.«
»Das ist deine Aufgabe, Vater, und die wirst du noch lange erfüllen.«
»Ich habe den Tod gesehen, er kommt näher. Sein Gesicht ist das der Göttin des Westens, jung und lächelnd. Das ist keine Niederlage, Ramses, das ist eine Reise. Eine Reise in die unendliche Weite des Alls, auf die ich mich vorbereitet habe und auf die du dich vorbereiten solltest vom ersten Tag deiner Herrschaft an.«
»Bleib noch, ich flehe dich an!«
»Du bist zum Befehlen geboren, nicht zum Flehen. Für mich ist es an der Zeit, den Tod zu erleben und die Prüfung zur Verwandlung ins Unsichtbare zu bestehen. Wenn mein Leben gerecht war, wird der Himmel mich aufnehmen.«
»Ägypten braucht dich.«
»Seit Götterzeiten ist Ägypten die einzige Tochter des Lichts, und der Sohn Ägyptens sitzt auf einem Lichterthron. Nun wirst du, Ramses, meine Nachfolge antreten, mein Werk fortsetzen und es noch übertreffen, denn du trägst den Namen ‹Sohn des Lichts ›.«
»Ich habe noch so viele Fragen an dich, noch so viel zu lernen.«
»Seit deiner ersten Begegnung mit dem wilden Stier habe ich dich vorbereitet, denn niemand kennt den Augenblick, da das Schicksal zuschlägt. Du allerdings wirst seine Geheimnisse ergründen müssen, denn du wirst ein ganzes Volk zu führen haben.«
»Ich bin noch nicht bereit.«
»Niemand ist es je. Als dein Ahn, Ramses der Erste, diese Erde verließ, um der Sonne entgegenzufliegen, war ich genauso verängstigt und verloren wie du heute. Wer zu regieren wünscht, ist ein Narr oder ein Versager. Nur die Hand Gottes greift nach einem Mann, damit er sich opfere. Als Pharao wirst du der erste Diener deines Volkes sein, ein Diener, der kein Anrecht mehr hat auf Ruhe und friedliche Freuden. Du wirst allein sein, nicht verzweifelt allein wie ein Verirrter, aber ähnlich dem Kapitän eines Schiffes, der die wahre Natur der ihn umgebenden geheimen Kräfte ergründen muß, um den richtigen Weg zu weisen. Liebe Ägypten mehr als dich selbst, dann wird der Weg sich dir eröffnen.«
Das Gold der untergehenden Sonne verklärte das friedvolle Antlitz Sethos’. Vom Leib des Pharaos strahlte eine Helligkeit aus, als sei er selbst eine Lichtquelle.
»Dein Weg wird voller Fallstricke sein«, verhieß er, »und du wirst gefährliche Feinde zu bezwingen haben, denn der Menschheit ist das Böse lieber als die Eintracht. Aber die Kraft zu siegen trägst du im Herzen, wenn du es zu weiten verstehst. Nefertaris magische Kraft wird dich schützen, denn ihr Herz ist das einer großen königlichen Gemahlin. Sei der Falke, der hoch in den Himmel aufsteigt, mein Sohn, und blicke auf die Welt und die Menschen mit seinem scharfen Auge.«
Sethos’ Stimme erlosch, seine Augen blickten über die Sonne hinweg in eine andere Welt, die nur er zu sehen vermochte.
Chenar zögerte noch, seine Verbündeten zum Angriff aufzufordern. Daß Sethos verloren war, daran zweifelte niemand mehr, doch sein Tod mußte erst bestätigt und verkündet werden. Jedes übereilte Vorgehen würde seinen Plänen zuwiderlaufen. Zu Lebzeiten des Pharaos wäre kein Aufruhr entschuldbar. Und anschließend, wenn der Thron siebzig Tage lang verwaist bliebe, die Zeitspanne der Mumifizierung, würde Chenar auch nicht den König, sondern Ramses angreifen. Und niemand würde Ramses beistehen, die Krone zu erlangen.