Выбрать главу

Das Buch

Sonny Lofthus sitzt im modernen Hochsicherheitsgefängnis Staten in Oslo. Seine kriminelle Karriere begann, als sein Vater Ab sich das Leben nahm. Ab Lofthus war Polizist. Kurz vor seinem Tod gestand er, korrupt gewesen zu sein. Dieser Verrat zerstörte Sonnys Leben. Jetzt, viele Jahre später, hört er von einem Mitgefangenen, dass alles ganz anders gewesen ist. Sonny will Rache. Er flieht aus dem Gefängnis, denn die Verantwortlichen sollen für ihre Verbrechen büßen.

Der Autor

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört mit der Serie um Kriminalkommissar Harry Hole zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Auch Der Sohn stieg in Norwegen, England, Dänemark und den Vereinigten Staaten ganz oben in den Bestsellerlisten ein. Jo Nesbø lebt in Oslo.

Jo Nesbø

Der Sohn

Kriminalroman

Aus dem Norwegischen

von Günther Frauenlob

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Die Originalausgabe erschien 2014

unter dem Titel Sønnen

bei Aschehoug, Oslo.

ISBN 978-3-8437-1029-9

© 2014 by Jo Nesbø

© der deutschsprachigen Ausgabe

2014 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

»Suzanne« – M+T: Leonard Cohen © by 1966 Leonard Cohen Strange

Music Inc; Subverlag: EMI Music Publishing Germany GmbH

Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München

Umschlagfoto: © Nik Keevil / Arcangel Images

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Von dort wird er kommen, zu richten

die Lebenden und die Toten

Teil I

Kapitel 1

Rover starrte an die weiß gestrichene Wand der länglichen, elf Quadratmeter großen Gefängniszelle. Biss auf den etwas zu hoch geratenen goldenen Schneidezahn im Unterkiefer. Er war jetzt an dem schwierigsten Punkt seiner Beichte angelangt. Es war still, allein das Kratzen seiner Fingernägel über die tätowierte Madonna auf seinem Unterarm war zu hören. Der Junge ihm gegenüber saß mit überkreuzten Beinen auf dem Bett und hatte kein Wort gesagt, seit Rover hereingekommen war. Bloß genickt, sein zufriedenes Buddha-Lächeln aufgesetzt und auf einen Punkt auf Rovers Stirn gestarrt. Sie nannten ihn Sonny. Als Jugendlicher sollte er zwei Menschen ermordet haben, und es hieß, dass sein Vater ein korrupter Bulle gewesen war und er selbst irgendwie besondere Fähigkeiten hatte. Es war schwer zu sagen, ob der Junge zuhörte, seine grünen Augen lagen wie der Rest des Gesichts hinter den langen, verfilzten Haaren verborgen, aber eigentlich war das egal. Rover wollte nur, dass ihm seine Sünden vergeben wurden und er die berühmte Segnung erhielt, damit er tags darauf mit reinem Gewissen durch das Tor des Hochsicherheitsgefängnisses Staten treten konnte. Rover war kein religiöser Mann. Aber eine Beichte konnte ja nicht schaden, schließlich hatte er sich ehrlich vorgenommen, sein Leben zu ändern. Er holte tief Luft:

»Ich glaube, sie kam aus Weißrussland. Minsk ist doch in Weißrussland, oder?« Rover blickte kurz auf, aber der Junge auf dem Bett antwortete nicht.

»Nestor hat sie immer Minsk genannt«, sagte Rover. »Und dann hat er gesagt, ich soll sie erschießen.«

Es war echt von Vorteil, sich jemandem mit einem derart ausgebombten Herzen anzuvertrauen. Da konnte man sicher sein, dass keine Namen und keine Details in Erinnerung blieben, es war irgendwie, wie mit sich selbst zu reden. Vermutlich gingen die Häftlinge des Staten deshalb zu ihm und nicht zum Pastor oder Psychologen.

»Nestor hatte sie und acht andere Mädchen unten in Enerhaugen in einen Käfig gesperrt. Osteuropäerinnen und Asiatinnen. Ziemlich jung, Teenager. Falls sie schon so alt waren. Minsk war ein bisschen größer und stärker als die anderen. Und ihr gelang es dann auch abzuhauen. Sie schaffte es bis in den Tøyenpark. Da hat Nestors Hund sie dann gepackt. Der hatte so eine Argentinische Dogge, kennst du die?«

Der Blick des Jungen blieb unverändert, aber er hob eine Hand, führte sie zu seinem Bart und durchkämmte ihn mit den Fingern. Der Ärmel seines weiten, schmutzigen Hemds rutschte nach unten und offenbarte Wundränder und Einstiche. Rover fuhr fort:

»Das sind so wahnsinnig kräftige Albinohunde. Die bringen alles und jeden um, auf den ihr Herrchen zeigt. In Norwegen sind die eigentlich verboten, aber Nestor hatte den von einem Züchter aus Rælingen, der importiert die Welpen aus Tschechien, angemeldet als weiße Boxer. Ich war mit Nestor da, als er den Hund gekauft hat. Mehr als fünfzig Riesen in bar. Und so verdammt süß, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass daraus mal …« Rover hielt abrupt inne. Er wusste, dass er über den Hund sprach, um nicht über das reden zu müssen, was er eigentlich loswerden wollte.

»Egal …«

Egal. Rover starrte auf die Tätowierung auf seinem anderen Unterarm. Eine Kathedrale mit zwei Türmen. Eine für jede verbüßte Strafe. Dabei hatte keine davon mit der Sache zu tun. Aber wen interessierte das schon. Er hatte Handfeuerwaffen in den MC-Club geschmuggelt und einige davon in seiner Motorradwerkstatt modifiziert. Das war seine Spezialität. Er konnte das so gut, dass er irgendwann nicht mehr unsichtbar gewesen und geschnappt worden war. Aber Nestor hatte ihn nach der ersten Haftstrafe gleich wieder ins Warme geholt. Oder ins Kalte, je nachdem. Er hatte ihn mit Haut und Haaren gekauft, damit seine Leute – und nicht diese MC-Typen oder andere Konkurrenten – die besten Waffen hatten. Rover hatte so in wenigen Monaten mehr Geld gemacht, als er jemals in seiner kleinen Motorradklitsche hätte machen können. Nur dass Nestor immer mehr verlangt hatte. Viel mehr. Zu viel.

»Sie lag da in dem kleinen Wäldchen, und das Blut pumpte nur so aus ihr raus. Sie sah uns an, bewegte sich nicht. Der Köter hatte ihr einen Teil des Gesichts herausgerissen, man konnte ­direkt die Zähne sehen.« Rover schnitt eine Grimasse. Er musste endlich zur Sache kommen. »Nestor meinte, es sei an der Zeit, ein Exempel zu statuieren, um den anderen Mädchen zu zeigen, was sie riskierten. Und dass Minsk mit diesem Gesicht ohnehin wertlos sei …« Rover schluckte. »Und dann hat er mich aufgefordert, das zu tun … ihr ein Ende zu machen. Ich sollte ihm meine absolute Loyalität beweisen. Mit meiner alten, etwas modifizierten Ruger MK2. Ich wollte das auch machen. Echt. Das war nicht der Punkt …«

Rover spürte den Kloß im Hals. Wie oft hatte er an diese Nacht im Tøyenpark gedacht? An das Mädchen ohne Wange? Mit sich und Nestor in den Hauptrollen, während die anderen nur stumme Beobachter waren. Sogar der Köter hatte die Schnauze gehalten. Hundert Mal? Tausend? Trotzdem wurde ihm erst jetzt, da er es zum ersten Mal laut aussprach, wirklich bewusst, dass das alles kein Traum, sondern Wirklichkeit gewesen war. Besser gesagt, seinem Körper schien es erst jetzt bewusst zu werden, seinem Magen. Rover atmete schwer durch die Nase, um die Übelkeit in den Griff zu bekommen.