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»Mein Name ist Kari Adel. Man hat mir gesagt, dass ich Ihnen helfen soll. Ich wollte Sie schon am Tatort ansprechen, aber Sie waren plötzlich weg.«

Die Frau sah mehr nach ambitionierter Bankerin denn nach Polizistin aus. Simon kippte den Stuhl noch weiter nach hinten. »Welchem Tatort?«

»Kuba.«

»Und woher wissen Sie, dass es sich um einen Tatort handelt?«

Er konnte sehen, wie sie ihr Gewicht verlagerte. Einen Ausweg suchte. Es gab keinen.

»Möglicher Tatort«, sagte sie.

»Und wer hat gesagt, dass ich Hilfe brauche?«

Sie zeigte mit dem Daumen nach oben, um anzudeuten, von wo der Befehl kam.

»Eigentlich bin ich es, die Hilfe braucht. Ich bin neu.«

»Frisch von der Polizeihochschule?«

»Anderthalb Jahre im Drogendezernat.«

»So neu und dann schon im Morddezernat? Gratuliere, Adel. Entweder haben Sie Glück gehabt, oder Sie haben gute Verbindungen oder Sie sind …« Er hängte sich fast waagerecht in den Stuhl und fischte die Snusdose aus der Hosentasche.

»Eine Frau«, schlug sie vor.

»Ich wollte eigentlich gut sagen.«

Sie wurde rot, und er entdeckte einen Anflug von Verärgerung in ihren Augen.

»Sind Sie gut?«, fragte Simon und schob sich ein Päckchen Snus unter die Oberlippe.

»Die Zweitbeste an der Hochschule.«

»Und wie lange wollen Sie im Morddezernat bleiben?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wenn es Ihnen im Drogendezernat nicht gefallen hat, warum sollte es Ihnen dann hier gefallen?«

Sie verlagerte erneut ihr Gewicht. Simon war sich sicher, dass er einen Treffer gelandet hatte. Sie war eine von denen, die nur ein kurzes Gastspiel gaben, um sich dann in die höheren Ränge zu verabschieden. Gut. Vermutlich würde sie irgendwann der Polizei ganz den Rücken kehren. Wie es all die smarten Typen aus dem Dezernat für Wirtschaftskriminalität gemacht hatten. Ihr Know-how hatten sie mitgenommen und Simon im Stich gelassen. Man blieb nicht bei der Polizei, wenn man klug und ambitioniert war und ein Leben wollte.

»Ich bin gegangen, weil der Tatort nichts mehr hergab«, sagte Simon. »Aber sagen Sie mir doch mal, wo Sie jetzt ansetzen würden.«

»Ich würde mit seinen Angehörigen reden«, sagte Kari Adel und hielt nach einem Stuhl Ausschau. »Seine Wege nachzeichnen, bevor er im Fluss landete.«

Die Art, wie sie sprach, deutete darauf hin, dass sie aus der östlichen Hälfte der Weststadt kam. Eine Gegend, in der man alles daransetzte, nicht auf der falschen Seite des Flusses eingeordnet zu werden.

»Gut, Adel, und seine Angehörigen …?«

»Zuallererst seine Frau. Bald Exfrau. Sie hatte ihn gerade vor die Tür gesetzt. Ich habe mit ihr gesprochen. Gewohnt hat er im Hospiz, in Ila. Gibt es hier eigentlich irgendwo noch einen Stuhl …?«

Gut. Wirklich gut.

»Den brauchen Sie jetzt nicht«, sagte Simon, stand auf und stellte fest, dass sie mindestens fünfzehn Zentimeter größer war als er. Trotzdem musste sie wegen ihres engen Rocks zwei Schritte für einen von seinen machen. Gut so, aber diese Klamotten würde sie sicher bald wieder in den Schrank hängen. Morde wurden in Jeans aufgeklärt.

»Sie haben hier keinen Zutritt.«

Martha stand vor der Eingangstür des Ila-Hospizes und betrachtete die beiden. Die Frau kam ihr bekannt vor. Ein derart großer, hagerer Körper blieb einem in Erinnerung. War sie beim Drogendezernat? Sie hatte blonde, leblose Haare, war nahezu ungeschminkt und hatte den etwas leidenden Gesichts­ausdruck, den so viele verwöhnte Töchter aus gutem Hause hatten.

Der Mann war das komplette Gegenteil. Etwa eins siebzig groß und Anfang sechzig. Tiefe Falten im Gesicht. Darunter aber auch Lachfalten. Er hatte graue, lichte Haare, und seine Augen signalisierten »Freundlichkeit«, »Humor«, aber auch »Hartnäckigkeit«. Dieser Musterung unterzog sie gewohnheitsmäßig jeden, der zum obligatorischen Aufnahmegespräch zu ihr kam, schließlich musste sie wissen, was auf sie zukam. Natürlich irrte sie sich manchmal, in der Regel lag sie aber richtig.

»Wir wollen auch gar nicht hereinkommen«, sagte der Mann, der sich als Hauptkommissar Kefas vorgestellt hatte. »Wir sind vom Morddezernat. Es geht um Per Vollan. Der wohnte doch hier …«

»Wohnte?«

»Ja, er ist tot.«

Martha schnappte nach Luft. Das war immer ihre erste Reaktion, wenn sie erfuhr, dass wieder jemand gestorben war. Sie fragte sich, ob sie so sicherstellte, dass sie selbst noch lebte. Dann kam die Überraschung: Vollans Tod war keine Überraschung. Per war kein Junkie, hatte nicht gemeinsam mit den anderen im Wartezimmer des Todes gesessen. Oder doch? Sie hatte da etwas gespürt, unbewusst verstanden. War auf das routinemäßige Luftschnappen deshalb der ebenso routinemäßige, mentale Kommentar »Hm, klar« gefolgt? Nein, so war es nicht, es war diese andere Sache.

»Er wurde im Akerselva gefunden.« Der Mann hatte wieder das Wort ergriffen. Auf der Stirn der Frau stand »Ich lerne noch«.

»Aha«, sagte Martha.

»Sie hören sich nicht überrascht an.«

»Nein, vielleicht nicht. Es ist immer ein Schock, aber …«

»Man gewöhnt sich in unserem Job daran, nicht wahr?« Der Mann nickte in Richtung der benachbarten Fenster. »Ich wusste nicht, dass das Tranen dichtgemacht hat.«

»Da soll jetzt eine schnieke Konditorei rein«, sagte Martha und verschränkte die Arme vor der Brust, als fröre sie. »Für die Lattemacchiato-Mamas.«

»Haben die sich auch hier breitgemacht? Tja …« Simon nickte einem alten Mann mit dem charakteristischen schleppenden Gang eines Junkies zu, der sich an ihnen vorbeidrückte. Er erwiderte den Gruß. »Viele bekannte Gesichter. Vollan war aber Gefängnispastor. Der Obduktionsbericht liegt noch nicht vor, aber wir haben an ihm keine Einstichstellen gefunden.«

»Er wohnte hier nicht als Abhängiger. Er hat uns immer mal wieder geholfen, wenn wir Probleme mit früheren Straftätern hatten. Sie haben ihm vertraut. Deshalb haben wir ihm vorübergehend ein Zimmer gegeben, als er zu Hause ausziehen musste.«

»Ich weiß. Was ich mich frage, ist, warum Sie nicht überrascht sind, wenn Sie wussten, dass er keine Drogen nahm. Es hätte doch ein Unfall sein können.«

»War es das?«

Simon sah zu der großen, hageren Frau. Sie zögerte, bis er ihr zunickte.

»Wir haben keine Anzeichen für eine Gewalttat gefunden, aber die Gegend am Fluss ist ja bekannt für ihre kriminelle Seite.«

Was für eine Aussprache, dachte Martha, bestimmt hat ihre Mutter sie am Esstisch immer wieder zurechtgewiesen und gesagt, dass sie nie einen anständigen Mann finden würde, wenn sie wie ein Bauarbeiter redet.

Hauptkommissar Kefas neigte den Kopf zur Seite. »Was denken Sie, Martha?«

Ihn mochte sie. Er sah aus, als wollte er sich wirklich um den Fall kümmern.

»Ich glaube, er wusste, dass er sterben würde.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Warum das?«

»Wegen dem Brief, den ich von ihm bekommen habe.«

Martha ging mit ihnen nach oben in den Besprechungsraum im ersten Stock, der vis-à-vis der Rezeption lag. Es war der mit Abstand schönste Raum des Hauses, komplett im gotischen Stil gehalten. Wobei die Konkurrenz nicht gerade groß war. Sie schenkte dem Hauptkommissar, der sich bereits über den Brief beugte, Kaffee ein. Seine Partnerin saß neben ihm, weit vorne auf der Kante des Stuhls, und tippte eine SMS in ihr Handy. Sie hatte höflich abgelehnt, als sie ihr Kaffee, Tee oder Wasser angeboten hatte. Als fürchtete sie, das Wasser könnte hier drinnen kontaminiert sein.

Kefas schob den Brief zu seiner Kollegin hinüber. »Darin steht, dass er seinen ganzen Besitz dem Hospiz vermacht.«

Die Kollegin schickte die SMS ab und räusperte sich.

Der Hauptkommissar wandte sich ihr zu. »Ja, Frau Adel?«

»Man sagt nicht mehr Hospiz, das heißt jetzt Wohnheim.«

Kefas sah sie aufrichtig überrascht an. »Warum das denn?«

»Weil wir auch Sozialarbeiter haben und weil hier auch ein Krankenzimmer ist«, sagte Martha. »Deshalb sind wir angeblich mehr als ein Hospiz. In Wahrheit geht es natürlich um den Begriff ›Hospiz‹, der ist hier bei uns ja ein bisschen belegt. Das klingt nach Tod, Alkohol, Randale und schlechten Wohnverhältnissen. Da greift man dann gern zum dicken Pinsel, malt die Fassade neu und vergibt andere Namen.«