»Wie versprochen …«, flüsterte der Ältere. »Hier ist er.«
»Aber ich sehe keinen Maulwurf«, sagte der Junge.
»Vertrau mir, er kommt noch.«
»Hauptkommissar Simon Kefas«, donnerte der Große. »Und Sonny Lofthus. Wie lange habe ich darauf gewartet. Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Die Bewegungen des Jungen waren steifer als die des älteren Mannes, als sie gegenüber von dem großen Mann Platz nahmen.
Ein Mann kam lautlos durch die Schwingtür, die zur Küche führte. Wie die anderen hatte er breite Schultern und einen Stiernacken. »Sie sind allein gekommen«, sagte er und stellte sich zu den beiden anderen des Willkommenskomitees, so dass sie hinter dem Jungen und dem Alten eine Art Halbkreis bildeten.
»Ist es zu hell hier drinnen!«, fragte der Große den Jungen, der noch immer seine Sonnenbrille trug.
»Ich sehe, was ich sehen will, aber danke der Nachfrage«, sagte der junge Mann tonlos.
»Gute Antwort, ich wünschte mir, ich hätte auch noch so junge, frische Augen.« Der Große zeigte auf seine Augen. »Wussten Sie, dass mit fünfzig die Lichtempfindlichkeit der Augen schon um dreißig Prozent reduziert ist? So gesehen, ist das Leben eine Wanderung ins Dunkel und nicht ins Licht, nicht wahr? No pun intended, was Ihre Frau angeht, Kefas, aber deshalb sollten wir alle so früh wie möglich lernen, auch ohne unsere Augen durchs Leben zu navigieren. Wir müssen uns die Fähigkeiten des Maulwurfs aneignen, mit anderen Sinnen zu erkennen, ob vor uns Hindernisse und Bedrohungen sind.«
Er breitete die Arme aus. Seine Hände wirkten wie zwei Baggerschaufeln.
»Oder man kauft sich einen Maulwurf, der dann für dich sieht. Das Problem mit Maulwürfen ist nur, dass sie sich meistens unter der Erde aufhalten, so dass sie leicht verlorengehen. Wie ich meinen verloren habe. Ich habe keine Ahnung, wo er abgeblieben ist. Und wenn ich richtig verstanden habe, sind auch Sie auf der Suche nach ihm?«
Der Junge zuckte mit den Schultern.
»Lassen Sie mich tippen. Kefas hat Sie mit dem Versprechen hierhergelockt, dass Sie dem Maulwurf begegnen, stimmt’s?«
Der Ältere räusperte sich: »Sonny ist freiwillig zu diesem Treffen mitgekommen, weil er Frieden schließen will. Er meint, die Rechnung seines Vaters ist inzwischen beglichen. So dass beide Seiten Frieden schließen können. Um Ihnen zu zeigen, dass er es wirklich ernst meint, hat er das Geld und das Dope mitgebracht, das er Ihnen gestohlen hat. Als Gegenleistung sollte dann aber auch die Jagd auf ihn abgeblasen werden. Könnte uns jemand die Koffer bringen?«
Der Große nickte dem Blonden zu, der die beiden Aktenkoffer auf den Tisch legte. Der Ältere streckte die Hand nach einem Koffer aus, aber der Blonde schlug sie weg.
»Also bitte«, sagte der Ältere und hob beide Hände. »Ich wollte nur zeigen, dass Herr Lofthus ein Drittel des Geldes und ein Drittel der Drogen mitgebracht hat. Den Rest bekommen Sie gegen die Zusage einer Waffenruhe, vorausgesetzt natürlich, wir kommen hier wieder lebend raus.«
Kari schaltete den Motor des Wagens aus und sah hinüber zu dem Neonschild an der Wand des früheren Werkstattgebäudes. Rote Buchstaben bildeten die Worte A-K-E-R B-R-Y-G-G-E. Menschen quollen aus den Fähren, die gerade angelegt hatten.
»Sind Sie wirklich sicher, dass Sie als Polizeipräsident ohne Backup zu diesen Kriminellen reingehen sollten? Ist das Risiko nicht zu hoch?«
»Ein Freund von mir hat immer gesagt«, erwiderte Pontius Parr und überprüfte seine Pistole, bevor er sie wieder ins Schulterhalfter steckte, »kein Risiko, kein Gewinn.«
»Hört sich schwer nach Simon an«, sagte Kari. Sie warf einen Blick auf die Uhr am Turm des Rathauses. Zehn nach sieben.
»Genau«, sagte Parr lächelnd. »Und wissen Sie was, Adel? Ich habe das Gefühl, dies wird ein ehrenhafter Tag für uns. Außerdem möchte ich, dass Sie anschließend mit mir zu dieser Pressekonferenz gehen. Der Polizeipräsident und die junge Beamtin.« Er schmatzte, als ließe er sich die Worte auf der Zunge zergehen. »Ja, ich glaube, das gefällt denen.« Er öffnete die Beifahrertür und stieg aus.
Kari musste beinahe rennen, um auf der Promenade mit ihm Schritt zu halten.
»Und?«, fragte der Ältere. »Hört sich das nach einem Deal an, mit dem alle leben können? Sie kriegen zurück, was Ihnen gestohlen worden ist, und Sonny bekommt freies Geleit und verschwindet aus dem Land.«
»Und Sie kriegen Ihre kleine Provision für die Vermittlung, nicht wahr?«, ergänzte der Große lächelnd.
»Genau.«
»Hm.« Der Große sah Simon etwas unschlüssig an. »Bo, mach mal die Taschen auf.«
Der Blonde trat vor und versuchte, die Aktenkoffer zu öffnen. »Die sind verschlossen, Chef.«
»1«, sagte Sonny mit weicher, fast flüsternder Stimme. »9–9–9.«
Der Blonde stellte die Ziffern ein. Hob den Deckel und drehte den geöffneten Koffer zu seinem Chef.
»Guck mal einer an«, sagte der Große und nahm einen der Beutel mit der weißen Substanz. »Ein Drittel. Wo ist der Rest?«
»An einem geheimen Ort«, sagte der Ältere.
»Natürlich. Und der Code für den Koffer mit dem Geld lautet?«
»Es ist derselbe«, sagte Sonny.
»1999, das Jahr, in dem dein Vater von uns gegangen ist, nicht wahr?«
Der Junge antwortete nicht.
»Okay?«, fragte Simon, der angestrengt lächelte, und klatschte in die Hände. »Können wir jetzt gehen?«
»Oh, ich dachte, wir würden noch zusammen essen«, sagte der Große. »Sie mögen doch Hummer? Oder etwa nicht?«
Keine Reaktion.
Er seufzte tief. »Ehrlich gesagt, ich mag auch keinen Hummer. Aber wissen Sie was? Ich esse ihn trotzdem. Warum? Weil das von einem Mann in meiner Position erwartet wird.« Die Anzugjacke öffnete sich etwas, als er die Arme ausbreitete, und seine breite Brust kam zum Vorschein. »Hummer, Kaviar, Champagner. Ferraris, bei denen Ersatzteile fehlen, Exmodels, die Unterhalt fordern, Einsamkeit auf der Yacht und Hitze auf den Seychellen. Wir machen viel, was wir eigentlich gar nicht wollen, nicht wahr? Aber man muss sich mit so etwas umgeben, um die Motivation aufrechtzuerhalten. Nicht meine, aber die der Leute, die für mich arbeiten. Sie brauchen diese Statussymbole. Die sichtbaren Beweise für all das, was ich erreicht habe. Und was sie erreichen können, wenn sie ihren Job machen, verstanden?« Der Große steckte sich eine Zigarette zwischen die fleischigen Lippen. Sie wirkte vor dem gewaltigen Gesicht seltsam klein. »Aber natürlich sind das auch Machtsymbole, um potentiellen Konkurrenten und Gegnern zu zeigen, in welcher Position ich bin. Das Gleiche gilt für Gewalt und Brutalität. Eigentlich mag ich das gar nicht. Aber manchmal sind diese Dinge für die Motivation einfach nötig. Damit mir alle bezahlen, was sie mir schulden, und niemand auf die Idee kommt, gegen mich zu arbeiten …« Er zündete sich die Zigarette mit einem Feuerzeug an, das wie eine Pistole aussah. »Zum Beispiel gab es da mal jemand, der für mich Waffen modifiziert hat. Er ist ausgestiegen. Ich akzeptiere, dass ein Mann lieber an Motorrädern herumschraubt, als Schusswaffen herzustellen. Ich kann aber nicht akzeptieren, dass er eine Uzi an einen Dritten weitergibt, von dem er weiß, dass er bereits mehrere meiner Leute getötet hat.«
Der Große klopfte mit dem Zeigefinger gegen das Aquarium.
Simon und Sonny folgten seinem Finger mit dem Blick. Der Jüngere zuckte zusammen, der Ältere starrte nur ins Wasser.
Auf den weißen Stein mit den wogenden Fäden. Es war kein Stein. Und es war auch kein Kristall, der blinkte. Es war ein Goldzahn.
»Mag sein, es wirkt übertrieben, einem Mann den Kopf abzuschlagen, aber manchmal sind bestimmte Maßnahmen notwendig, wenn es um Loyalität geht. Ich bin sicher, dass Sie da ganz meiner Meinung sind, Herr Hauptkommissar.«
»Entschuldigung?«, sagte Simon.
Der Große legte den Kopf leicht auf die Seite und betrachtete ihn. »Probleme mit dem Gehör, Herr Kommissar?«
Simon richtete den Blick nun wieder auf den Großen. »Ich fürchte, das ist das Alter. Es wäre leichter für mich, wenn Sie etwas lauter sprechen könnten.«