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»Hallo.«

Johannes drehte sich um.

Sonny hatte nur geflüstert. Der Junge sah mit seinen eingefallenen Wangen und dem wilden Blick blass und fast durchsichtig aus. Wie ein Engel, dachte Johannes.

»Tag, Sonny. Hab gehört, dass du auf der Isolation warst. Wie geht’s dir?«

Sonny zuckte mit den Schultern.

»Du hast eine verdammt gute Linke«, sagte Johannes und zeigte auf die fehlenden Zähne in seinem Kiefer.

»Ich hoffe, du kannst mir das vergeben?«

Johannes schluckte. »Ich bin es, der Vergebung braucht, Sonny.«

Die beiden blieben stehen und sahen sich an. Johannes bemerkte, dass Sonny sich versicherte, dass niemand sonst auf dem Flur war. Er wartete.

»Willst du für mich ausbrechen, Johannes?«

Johannes ließ sich Zeit, er drehte die Worte in Gedanken hin und her, um zu sehen, ob sie dann vielleicht einen Sinn ergaben. Schließlich fragte er:

»Wie meinst du das denn? Ich will doch gar nicht ausbrechen. Außerdem: Wo sollte ich denn hin, die würden mich doch gleich wieder einsperren.«

Sonny antwortete nicht, aber die Verzweiflung in seinem Blick sprach Bände.

»Du willst … du willst, dass ich irgendwie nach draußen komme, um dir Boy zu besorgen.«

Sonny antwortete noch immer nicht, hielt dem Blick des alten Mannes aber mit der üblichen Intensität stand. Armer Junge, dachte Johannes. Dieses verfluchte Heroin.

»Warum fragst du gerade mich?«

»Weil nur du Zugang zum Kontrollraum hast. Außer dir kann das keiner machen.«

»Falsch, ich bin der Einzige, der Zugang zum Kontrollraum hat und daher weiß, dass das nicht klappt. Die Türen kann man nur mit registrierten und autorisierten Fingerabdrücken öffnen. Und meine gehören nicht gerade dazu, Sonny. Ich kann sie auch nicht einfach hinzufügen, denn dafür braucht es eine Bestätigung von vier verschiedenen Stellen. Ich habe diese Formulare gesehen …«

»Alle Türen können vom Kontrollraum aus geöffnet und geschlossen werden.«

Johannes schüttelte den Kopf. Er sah sich noch einmal um und versicherte sich, dass sie noch immer allein waren. »Selbst wenn man rauskommen würde, warten draußen doch noch die Wachleute an der Einfahrt. Und die verlangen von jedem, der rein oder raus will, den Ausweis.«

»Von absolut jedem?«

»Ich weiß nicht, außer vielleicht morgens direkt nach dem Wachwechsel, und entsprechend dann noch mal nachmittags und abends. Dann lassen sie bekannte Autos und Gesichter einfach so fahren.«

»Und Leute in Wachuniformen?«

»Vermutlich auch, ja.«

»Wenn du dir also eine Uniform besorgen und während des Wachwechsels fliehen würdest?«

Johannes legte Zeigefinger und Daumen an sein Kinn. Seine Wangenknochen schmerzten noch immer.

»Und wo sollte ich so eine Uniform hernehmen?«

»Aus Sørensens Garderobenschrank im Umkleideraum. Den kriegst du locker mit einem Schraubenzieher auf.«

Sørensen war ein Gefängnisangestellter, der seit mehr als zwei Monaten krankgeschrieben war. Nervenzusammenbruch. Johannes wusste, dass man das längst nicht mehr so nannte, aber egal, es war in jedem Fall ein schreckliches Chaos der Gefühle. Er hatte das selbst schon erlebt.

Johannes schüttelte den Kopf. »Und womit sollte ich alter Mann die Wachen bedrohen?«

Sonny zog sein langes weißes Hemd hoch und fischte das Zigarettenetui aus seiner Hosentasche. Er steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und machte ein Feuerzeug an, das wie eine kleine Pistole aussah. Johannes nickte langsam. »Es geht nicht um Drogen. Ich soll da draußen etwas anderes für dich machen, nicht wahr?«

Sonny zog die Flamme in die Zigarette und atmete den Rauch aus. Er kniff die Augen zu.

»Würdest du das machen?« Seine Stimme klang so warm und brüchig.

»Wenn du mir dann meine Sünden vergibst«, sagte Johannes.

Arild Franck entdeckte sie gleich, als er um die Ecke kam. Sonny Lofthus hatte Johannes die Hand auf die Stirn gelegt. Der Alte stand mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen da. Sie ­sahen aus wie zwei verfluchte Homos. Er hatte auf dem Monitor im Kontrollraum gesehen, dass sie miteinander redeten. Manchmal ärgerte er sich, dass sie nicht alle Kameras mit Mikrofonen ausgestattet hatten, schließlich hatte er ihren wachsamen Blicken entnehmen können, dass sie nicht gerade über das Wetter redeten. Dann hatte Sonny etwas aus der Tasche gezogen und der Kamera den Rücken zugedreht, so dass er nicht erkennen konnte, was es war. Danach war allerdings Zigarettenrauch aufgestiegen.

»He! Hier in meinem Gefängnis wird nicht geraucht, verstanden?«

Johannes’ grauer Kopf wippte nach oben, und Sonny ließ die Hand sinken.

Franck ging zu ihnen und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Hau ab und geh irgendwo putzen, Halden.«

Franck wartete, bis der Alte außer Hörweite war. »Worüber habt ihr geredet?«

Sonny zuckte mit den Schultern.

»Ach ja, du hast ja Schweigepflicht.« Arild Franck lachte bellend. Das Geräusch wurde zwischen den kahlen Wänden hin und her geworfen. »Und, Sonny, hast du inzwischen nachgedacht?«

Der junge Mann drückte die Zigarette an der Schachtel aus, steckte beides wieder ein und kratzte sich am Unterarm.

»Juckt das?«

Sonny antwortete nicht.

»Ich denke, es gibt Schlimmeres als Jucken. Vermutlich auch als Drogensucht. Hast du mal von dem aus der 121 gehört? Der wollte sich am Lampenhaken aufhängen, hat das dann aber wohl bereut, nachdem er den Stuhl weggetreten hatte, und sich deshalb den Hals aufgekratzt. Wie war noch mal sein Name? Gómez? Díaz? Aber egal, auf jeden Fall war das einer von denen, die für Nestor gearbeitet haben. Es gab damals eine gewisse Unruhe. Angeblich soll er geredet haben. Beweise gab es nicht, aber manchmal reicht ja schon der Verdacht. Es muss seltsam sein, mitten in der Nacht im Gefängnis im Bett zu liegen und nichts mehr zu fürchten, als dass die Zellentür nicht verschlossen sein könnte. Dass jemand im Kontrollraum mit einem simplen Tastendruck dafür gesorgt haben könnte, dass alle Mörder dieser Einrichtung freien Zutritt haben.«

Der junge Mann hatte den Blick gesenkt. Aber Franck sah die Schweißtropfen auf seiner Stirn. Dieser Kerl würde schon noch zur Vernunft kommen. Falls er klug war. Franck mochte keine Todesfälle in seinen Gefängniszellen, sie führten immer nur zu Nachforschungen, wie plausibel sie auch sein mochten.

»Ja.«

Es kam so leise, dass Franck sich automatisch nach vorn beugte. »Ja was?«, wiederholte er.

»Morgen. Morgen kriegt ihr euer Geständnis.«

Franck verschränkte die Arme vor der Brust und wippte auf den Füßen auf und ab. »Gut. Dann komme ich morgen früh mit Harnes wieder. Und dieses Mal machst du keine Dummheiten, verstanden! Und noch was, schau dir, bevor du ins Bett gehst, noch mal den Lampenhaken an.«

Der Junge hob den Kopf und begegnete dem Blick des stellvertretenden Gefängnisleiters. Franck hatte längst den Glauben aufgegeben, dass die Augen ein Spiegel der Seele waren. Dafür hatte er zu viele unschuldige Blicke gesehen, während ihm die Leute das Blaue vom Himmel herunter gelogen hatten. Außerdem war das ein seltsamer Ausdruck. Spiegel der Seele? Hieß das nicht eigentlich, dass man seine eigene Seele sah, wenn man dem anderen in die Augen blickte? Vielleicht. War ihm der Blick dieses Mannes deshalb so unangenehm?