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Franck wandte sich ab. Es kam darauf an, sich auf das Wichtige zu konzentrieren und nicht über etwas nachzugrübeln, was zu nichts führte.

»Weil es spukt, deshalb.«

Lars Gilberg führte die dünne Kippe mit aschgrauen Fingern an die Lippen und sah zu den zwei Polizisten hoch, die vor ihm in die Hocke gegangen waren.

Simon und Kari hatten drei Stunden gebraucht, bis sie ihn unter der Grünerbrua gefunden hatten. Sie hatten ihre Suche im Ila-Hospiz begonnen, wo Gilberg allerdings seit einer Woche nicht mehr gesehen worden war. Danach waren sie im Café der Stadtmission in der Skippergata gewesen, auf der Plata am Hauptbahnhof, die noch immer als Umschlagplatz für Drogen her­halten musste, und zuletzt bei der Heilsarmee in der Urtegata. Die dort erhaltenen Informationen hatten sie zur Elchstatue am Fluss geführt, die die Grenze zwischen Speed und Heroin markierte. Kari hatte Simon auf dem Weg dorthin erklärt, dass der Markt für Amphetamin und Methamphetamin von der Elchstatue bis zur Brücke im Viertel Vaterland fest in der Hand von Albanern und Nordafrikanern war. Vier Somalier standen um eine Bank herum in der Sonne und traten von einem Fuß auf den anderen, die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen. Einer von ihnen nickte, als Kari ihm das Bild zeigte und deutete nach Norden in Richtung des Flussbereichs, in dem Heroin verkauft wurde. Dann fragte er mit einem Augenzwinkern, ob sie als Marschverpflegung nicht ein Gramm Crystal brauchten. Ihr Gelächter verfolgte Simon und Kari, als sie dem Pfad in Richtung Grünerbrua folgten.

»Du willst nicht mehr im Ila wohnen, weil du glaubst, dass es da spukt?«, fragte Simon.

»Ich glaube das nicht, Mann. Ich bin mir da verflucht sicher. Es war vollkommen unmöglich, in diesem Zimmer zu wohnen, das war schon besetzt, als ich gekommen bin, das habe ich ganz deutlich gespürt. Wenn ich nachts aufgewacht bin, habe ich zwar nie einen gesehen, aber ich wusste genau, dass mir gerade zuvor noch jemand ins Gesicht gepustet hatte. Und das war nicht bloß in meinem Zimmer so, frag mal die anderen da oben!« Gilberg starrte missbilligend auf seine abgebrannte Kippe.

»Und deshalb campst du lieber hier?«, fragte Simon und hielt ihm seine Snusdose hin.

»Spuken oder nicht, ich halte es in diesen engen Zimmern sowieso nicht aus. Und das hier …« Gilberg klopfte mit der Hand auf die Unterlage aus Zeitungen und den löchrigen Schlafsack neben sich. »… ist im Sommer doch klasse.« Er zeigte nach oben. »Ein Dach, das nicht leckt. Aussicht über das Wasser. Gratis und in unmittelbarer Nähe zum öffentlichen Nahverkehr und zu Geschäften. Was will man mehr?« Er nahm drei Snuspäckchen aus Simons Dose, schob sich eines unter die Oberlippe und steckte die anderen beiden in die Tasche.

»Und du arbeitest jetzt als Pastor?«, fragte Kari.

Gilberg legte den Kopf in den Nacken und sah fragend zu ­Simon.

»Wegen dem Kragen, den du trägst«, sagte der Polizist. »Wie du ja vielleicht in deinen Morgenzeitungen gelesen hast, wurde hier etwas oberhalb ein Pastor im Fluss gefunden. Tot.«

»Nee, davon weiß ich nichts.« Gilberg nahm die Snuspäckchen wieder aus der Tasche und steckte sie zurück in die Dose, bevor er sie Simon reichte.

»Die Kriminaltechnik wird keine zwanzig Minuten brauchen, um festzustellen, dass das der Kragen des toten Pastors ist, Lars. Und dann sitzt du zwanzig Jahre wegen Mordes.«

»Mord? Von Mord stand da nichts …«

»Aha, du liest also doch Zeitung. Der Mann war tot, bevor man ihn in den Fluss geworfen hat. Das konnten wir an den Blut­ergüssen sehen, die er hatte. Er ist auf den Steinen aufgeschlagen, aber die Haut reagiert anders, wenn man schon tot ist. Verstanden?«

»Nein.«

»Soll ich dir das wirklich erklären? Oder soll ich dich daran erinnern, wie schrecklich eng so eine Gefängniszelle ist?«

»Aber ich habe ihn nicht …«

»Na ja, auch als möglicher Verdächtiger musst du damit rechnen, ein paar Wochen in Untersuchungshaft zu sitzen. Und die U-Haft-Zellen sind noch kleiner.«

Gilberg sah sie nachdenklich an und saugte ein paarmal fest an dem Snuspäckchen.

»Was wollt ihr?«

»Dass du uns sagst, was passiert ist.«

»Das weiß ich doch nicht, habe ich doch schon gesagt.«

»Du hast gar nichts gesagt, Lars. Es hört sich aber an, als wäre es dir wichtig, nichts zu sagen. Warum?«

»Es geht doch bloß um diesen Kragen. Der ist einfach an Land getrieben und dann …«

Simon stand auf und nahm Gilberg am Arm. »Komm, dann gehen wir.«

»Moment!«

Simon ließ ihn los.

Gilberg senkte den Kopf. Atmete schwer. »Das waren Nestors Leute. Aber ich kann nicht … Du weißt, was Nestor mit Leuten macht, die …«

»Ja, das weiß ich. Und du weißt auch, dass er es erfährt, wenn dein Name in den Verhörprotokollen des Präsidiums steht. Deshalb schlage ich vor, dass du uns jetzt ganz genau erzählst, was du weißt, und ich überlege mir dann, ob wir es vielleicht dabei belassen können.«

Gilberg schüttelte langsam den Kopf.

»Jetzt, Lars!«

»Ich hab da unten auf der Bank unter den Bäumen gesessen, bei der Sannerbrua. Ich war nur zehn Meter weg und habe sie oben auf der Brücke ganz genau gesehen. Ich glaube aber nicht, dass sie mich gesehen haben. Das Laub ist im Sommer ja ziemlich dicht. Sie waren zu zweit. Der eine hielt den Pastor fest, während der andere den Arm so komisch um seine Stirn legte. Ich war so nah, dass ich das Weiß in den Augen des Pastors sehen konnte. Da war nur Weiß, der muss die Pupillen irgendwie komplett weggedreht haben. Er hat aber keinen Laut von sich gegeben. War mucksmäuschenstill. Als wüsste er, dass es keinen Sinn macht, sich zu wehren. Dann hat der Kerl seinen Kopf nach hinten gekippt, wie so ein scheiß Chiropraktiker. Ich habe es knacken gehört, echt, ich mach keine Witze. Das klang wie ein Zweig im Wald.« Gilberg drückte sich den Zeigefinger auf die Oberlippe, blinzelte zweimal und starrte vor sich hin. »Dann haben sie sich umgesehen. Mann, die hatten gerade mitten auf der Sannerbrua jemanden umgebracht, waren aber total cool und gelassen. Aber mitten im Sommer ist Oslo ja auch manchmal merkwürdig leer. Dann haben sie ihn am Ende des Geländers über den Rand der Mauer nach unten gestoßen.«

»Das passt zu den Steinen, die da aus dem Wasser ragen«, sagte Kari.

»Er lag einen Moment da, bis das Wasser ihn gepackt und weggespült hat. Ich habe vollkommen still dagesessen und mich nicht gerührt. Wenn diese Typen mitbekommen hätten, dass ich sie gesehen habe …«

»Aber das hast du«, sagte Simon. »Und du warst so nah dran, dass du sie identifizieren könntest, wenn du sie wiedersehen würdest.«

Gilberg schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Hab sie schon vergessen. Das ist einer der Nachteile, wenn man immer alle möglichen Drogen nimmt. Man wird verdammt vergesslich.«

»In deinem Fall ist das wohl eher ein Vorteil«, sagte Simon und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

»Und woher wusstest du gleich, dass die für Nestor arbeiten?« Kari trat unruhig von einem Bein aufs andere.

»Wegen der Klamotten«, sagte Gilberg. »Die sehen alle gleich aus, als hätten sie eine Charge Anzüge geklaut, die eigentlich für den Bestatterverband gedacht war.« Er schob das Snuspäckchen mit der Zunge zur Seite. »Klar?«

»Wir geben dem Fall wieder erste Priorität«, sagte Simon zu Kari, als sie mit dem Wagen zurück in Richtung Präsidium fuhren. »Ich will, dass Sie Vollans Bewegungen der beiden Tage vor seiner Ermordung kartieren und wir uns so eine Übersicht verschaffen über alle, absolut alle, die mit ihm zu tun hatten.«

»Okay«, sagte Kari.

Sie fuhren am Blå vorbei und hielten für eine Gruppe junger Leute. Bestimmt auf dem Weg zu irgendeinem Konzert, dachte Simon und blickte in Richtung Kuba. Auf dem Open-Air-Platz bemerkte er eine große Leinwand. Kari rief gerade ihren Vater an, um ihm zu sagen, dass sie nicht zum Essen kommen könne. Auf der Leinwand wurde ein Schwarzweißfilm gezeigt. Bilder aus Oslo. Fünfziger Jahre. Simon musste gleich an seine Jugend denken. Für die jungen Leute von heute war das sicher nur eine kuriose Welt, etwas Vergangenes, allenfalls charmant und unschuldig. Er hörte Gelächter.